Freiwillig schuften? Aber ja!

2.8.2020, 06:00 Uhr
Freiwillig schuften? Aber ja!

Die ganze Geschichte beginnt mit der großen Sehnsucht, die eine kleine Londoner Sekretärin einst im Herzen trug: Raus aus der Stadt, rein ins Ländliche!

Doch Sue Coppard, besagte Dame mit dem brennenden Sehnen nach mehr Natur, verfügte seinerzeit über keinerlei Connections zum Landvolk. Zunächst. Nachdem sie nämlich kurzerhand eine Annonce aufgab, wurde sie alsbald zum überzeugten "Bio-Volunteer" – einer freiwilligen Helferin auf nachhaltig geführten Bauernhöfen. Nicht immer, aber immer öfter. Und öfter ...  

Anfang der 1970er Jahre sei das gewesen. So jedenfalls steht´s – knapp gerafft – in der WWOOF-Chronik geschrieben. Denn Coppards Beispiel machte Schule. Ja, mehr noch. Sie trat weltweit eine Bewegung los: WWOOF (sprich: wuuf).

Als Gäste willkommen

Inzwischen gibt es in 132 Ländern auf dem Globus biozertifizierte Höfe, die auf ein einfaches System setzen: "Gäste willkommen!" Eben jene packen dann in der ökologischen Landwirtschaft mit an und erhalten im Gegenzug Verpflegung wie Unterkunft. Außerdem: ganz viel Fachkenntnis, kulturelle Erfahrungen, (Gast-)Freundschaft – aber kein Geld.

Was also kurz W-W-O-O-F heißt, meint in der Langversion: WorldWide Opportunities on Organic Farms. Zu deutsch: "Freiwillige Helfer auf ökologischen Höfen e.V.".

Bekannt aus Australien oder Neuseeland

Das Motto dazu lautet: "Lass´ dich überraschen von einer naturverbundenen Lebensweise auf dem Land!" Petra Sollmann hat das Prinzip kennen und schätzen gelernt. In Australien, Neuseeland – den Backpacker-Mekkas. "Dort ist WWOOFing gang und gäbe", weiß sie. Drum hat die 36-Jährige, die 2013 gemeinsam mit Ehemann Stephan einen Einödhof in Feinschluck bei Thalmässing übernahm, den Entschluss gefasst: "Das machen wir auch!"

Seitdem war schon so mancher WWOOFer auf dem Schluckerhof und hat mit hingelangt: beim Ampfer stechen, Salat pflanzen, Kompost sieben, beim Versorgen der Rinder, Schweine und Hühner, aber auch bei Projekten wie der Freilegung eines Gewölbekellers, beim Hofpflastern, bei der Scheunensanierung oder der Installation einer Photovoltaikanlage.

Wohlfühlfaktor inklusive

Wohlgefühlt hätten sich bislang alle, ist Petra Sollmann überzeugt: die Münchner, die aus ihrem städtischen Alltagstrott raus wollten, um etwas mit den Händen zu schaffen; die Französin, die Corona-bedingt in Deutschland festsaß, aus der Not eine Tugend formte und bei den Sollmanns Sprachkenntnisse sowie Handwerksfertigkeiten aufbesserte. Wohl nicht von ungefähr habe man den Gastgebern unisono versichert: "Wir kommen wieder!"

So soll´s sein, freut sich Jan-Philipp Gutt aus dem Vorstandsteam von WWOOF Deutschland. Und obschon die Buchstabenkombination hierzulande nicht unbedingt geläufig sei, wären´s mittlerweile immerhin gut 500 Bio-Höfe im Bundesgebiet, die knapp 3000 WWOOFern "etwas kitschig formuliert: unbegrenzte Möglichkeiten" offerierten...

Wenn vielleicht auch nicht unbegrenzt, so scheint das Spektrum an Optionen doch breit: Wer WWOOFen will, kann sowohl Familien auf deren kleinem Selbstversorger-Gut unter die Arme greifen, in einem alternativen Gärtnereibetrieb oder auf dem Pferdehof mithelfen, beim Weinbauern, Imker oder in der Käserei aktiv werden, sich im spirituell orientierten Kollektivprojekt sein Plätzchen suchen und auf einem Erlebnisbauernhof wie dem der Sollmanns für Aha-Effekte bei den Besuchern sorgen.

Mitgliedschaft und Anmeldung via Internet genügen, schon kann´s losgehen! Wobei sich derzeit freilich auch WWOOFer nach den geltenden Pandemiebestimmungen zu richten hätten, wie Gutt betont.

Interesse ist ausschlaggebend

Prinzipiell gilt jedoch: Ob man eine Woche oder mehrere Monate WWOOFt, mit oder ohne Anhang (Ja, WWOOFen geht auch zu zweit oder mit Kindern!), spiele – jedenfalls nach Absprache mit den Höflern – keine Rolle.

Alter? Sei auch nicht unbedingt ausschlaggebend, meint Jan-Philipp Gutt. Fit wäre prima, aber wichtig vielmehr: "Ein Interesse an der ökologischen Landwirtschaft mitzubringen und dem Lebensstil, der damit verbunden ist." Dazu brauche es ein Quäntchen Neugier, Aufgeschlossenheit und Abenteuerlust.

Das alles hat Katharina Winkler aus Heuberg Anfang Juni in ihren Kofferraum gepackt und ist nach Reith in Tirol gefahren. Dort, zwischen Kitzbühel und St. Johann, vor dem Massiv des Wilden Kaiser, "wo lange nix kommt, bis man endlich den Hof sieht", thront ein 700 Jahre altes Bauernhaus, in dem Hanspeter Foidl lebt.

"Mal was anderes ..."

Freiwillig schuften? Aber ja!

© Foto: Katharina Winkler

Foidl ist nicht nur ehemaliger Profi-Biathlet, sondern auch professioneller Imker mit einer kleinen Selbstversorger-Landwirtschaft, zu der unter anderem das junge, zutrauliche Shropshire-Schaf "Fight" gehört. "In das hab´ ich mich glatt verliebt", bekennt Katharina Winkler lachend.

Doch was, bitte schön, treibt die Kommandantin der Freiwilligen Feuerwehr Heuberg, die beruflich als IT-Referentin innerhalb der Eisenbahn-Konzernleitung ihre Frau steht, vom idyllischen Hilpoltsteiner Hinterland in die Einöde?

Achselzucken. "Ich wollt´ halt mal weg vom Schreibtisch, was Anderes sehen – und ich mag Berge ...", lautet die pragmatische Antwort. Kommendes Jahr stünden zudem Herausforderungen im Job an, "also hab´ ich mir gedacht: Wenn nicht jetzt, wann dann...?!"

Bereut hat Kathi Winkler diese sieben WWOOF-Wochen, die noch ganz frisch hinter ihr liegen, auf keinen Fall. "Das war wahnsinnig spannend, aber auch mit viel und nicht ganz leichter Arbeit verbunden." Wer also glaube, beim WWOOFen Hängematten-Relaxing betreiben zu können, der irre! Und zwar gründlich.

Katharina Winklers Aufgaben? "Alles rund um den Hof." Vom Versorgen der Tiere – Kühe, Schafe, Hühner – über Tätigkeiten im Gemüsegarten bis hin zu Bienenkästen-Transport und Honigabfüllung. "Man ist da gut bei sich", fasst sie ihre Einsichten zusammen, "aber man muss auch mit der Stille zurechtkommen." Außer Gackern und Muhen sei da mitunter nicht viel geboten – "für Städter bestimmt eine gute Erfahrung".

Anderer Bezug

Katharina Winklers persönlicher Mehrwert: "Ich war zu Gast bei unglaublich netten Leuten", die der 32-jährigen Heubergerin unter anderem das vermittelt hätten: Imkerei ist kein Kinderspiel. "Über Honigpreise werd´ ich ganz bestimmt nie mehr schimpfen", gesteht sie grinsend.

Doch abgesehen davon, dass man "einen anderen Bezug zum Lebensmittel kriegt", sei WWOOFen eine gute Gelegenheit, Reiselust, Erkenntnisgewinne und das Schließen neuer Bekanntschaften miteinander zu verknüpfen.

Fazit: Selbst wenn´s für Katharina Winkler künftig stressig werden sollte im Beruf, so sei sie sich doch ziemlich sicher: "Ich werd´mich in Reith wieder blicken lassen ...".

Das Netzwerk

WWOOF (Worldwide Opportunities on Organic Farms) ist ein globales Netzwerk, das von der Idee getragen wird, Menschen zusammenzubringen, die bereits einen naturverbundenen Lebensstil auf dem Land führen oder die ihn aktiv und auf praktische Weise kennen lernen wollen.

Im Zentrum stehen Aufenthalte von freiwilligen Helfern bei Biobauern oder auf Selbstversorgerhöfen. Zwischen den so genannten WWOOFern und den Hofbesitzern ("Höflern") findet ein, an ein Gastverhältnis angelehnter, geldloser Austausch statt, bei dem die WWOOFer, freiwillig mitarbeitend, in den Alltag auf dem Hof eingebunden werden.

Die Organisation wurde 1971 in London von Sue Coppard gegründet. Schätzungen zufolge sind weltweit mehr als 90 000 Menschen Mitglieder in WWOOF-Organisationen. Derzeit haben etwa 60 Länder eine nationale Organisation, darunter auch Deutschland (seit 1992). Daran sind aktuell um die 500 Höfe angeschlossen. Jede WWOOF-Organisation ist eigenständig und unabhängig. Es gibt kein weltweites Hauptbüro.

 

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