„Jeder trägt so seinen eigenen Rucksack“

8.2.2013, 17:11 Uhr
„Jeder trägt so seinen eigenen Rucksack“

© Weinig

Was muss das für ein Gefühl sein, seine Familie, seine Freunde, seine vertraute Umgebung, kurz: sein ganzes bisheriges Leben hinter sich zu lassen? Vielleicht sogar für immer. Was muss passiert sein, wenn man bereit ist, dieses Leben in eine Tasche zu packen für eine Reise ins Ungewisse? Unvorstellbar? Unvorstellbar! So unterschiedlich die 15 Männer und Frauen sind, die an diesem Abend um einen großen Besprechungstisch sitzen – sie alle können und wollen nicht das erleben, was die Menschen gesehen, gefühlt und gehört haben, um die sie sich seit Wochen in ihrer Freizeit kümmern. Seit Ende des vergangenen Jahres nimmt sich die Gruppe des guten Dutzends Asylbewerber an, die in Roth im landkreiseigenen Haus am Weinberg ein Übergangs-Zuhause gefunden haben.

Was anfangs ein bunt zusammengewürfelter Haufen von Freiwilligen war, ist mittlerweile eine eingeschworene Gemeinschaft. „Anschubhilfe“ leisteten Annegret Thümmler von „für einander“, der Kontaktstelle für bürgerschaftliches Engagement mit Sitz im Landratsamt, und die Sozialpädagogin Daniela Pfitzenmayer, die seit November 2012 beim Landkreis speziell für die Betreuung von Asylbewerbern angestellt ist.

Die beiden brachten die Gruppe zusammen, die sich nun auch in regelmäßigen Abständen im Domizil der kürzlich gegründeten „für einander“-Filiale Roth, in der Hilpoltsteiner Straße 1, trifft. Zumindest ist dieses Büro die erste Wahl, wenn es darum geht, einmal alle unter einen Hut zu bringen — was etwa alle drei bis vier Wochen der Fall ist. „Aber eigentlich geben wir uns oft die Klinke in die Hand, wenn wir im Haus am Weinberg sind“, erzählt Loni Weiß, der „Mann der ersten Stunde“.

Jetzt, als Ruheständler, habe er mit seiner freien Zeit etwas Sinnvolles tun wollen. Als er im November den Aufruf von „für einander“ gelesen habe, es würden ehrenamtliche Helfer gesucht, habe er sich gleich angesprochen gefühlt. „Ich war früher viel im Ausland und habe dort viele gute Erfahrungen gemacht. Jetzt will ich quasi ein bisschen davon zurückgeben“, so der ehemalige Dolmetscher.

Hildegard Genniges fand und findet es „als Rotherin einfach beschämend und peinlich, wenn ich sehe, wie wenig hier die Flüchtlinge offensichtlich willkommen sind. Sie zögerte nicht lange, wurde Teil des Helferkreises, brachte gleich noch einen Schwung Sprachlehrbücher im Wert von 500 Euro aus ihrem Laden mit.

Gründe, warum die Heimat verlassen wurde, kennen die Rother Helfer und Helferinnen meist nur sehr vage. „Was wir wissen ist, dass jeder so seinen ganz eigenen ,Rucksack’ zu tragen hat“, erzählt Eugen Balmberger. Der Rednitzhembacher betreut ein junges, iranisches Ehepaar vom Weinberg, ist quasi deren „Pate“ – denn nach diesem Prinzip hat sich der Helferkreis aufgeteilt. Jeder Asylbewerber, beziehungsweise die Paare und Familien, haben feste Ansprechpartner. Von Anfang an. „Das ist gut so“, sind sich alle einig. Denn nur so ließe sich das Vertrauen der Menschen gewinnen.

Es fehlt an Worten

Worte – das ist es, was beiden Seiten so oft fehlt. Birgit Gerner, die mit ihrer Mutter Rosie Anderl einmal in der Woche einen Sprachkurs im Haus anbietet, bedauert, dass die Zahl ihrer Schüler zusehends schrumpft. „Sie wollen wirklich Deutsch lernen. Das spürt man. Aber niemand spricht die Muttersprache des Anderen. Es geht radebrechend über Englisch. Nach den eineinhalb Stunden sind eigentlich alle fix und alle.… .“ Dennoch: Es soll weiter gehen. Es muss. „Weil die Sprache das Wichtigste ist, um hier, in Deutschland, wirklich anzukommen.“ Auch darin sind sich alle einig – ihre Schützlinge übrigens ebenso. „Leichter wäre es, wenn wir noch Helfer hätten, die beispielsweise Russisch, Persisch oder Kurdisch sprechen, hoffen Birgit Gerner und Rosie Anderl auf weitere Unterstützung.

Andererseits geht viel und vieles mit gutem Willen, besser: mit Gesten, Pantomime, Mimik. Anstrengend? Vielleicht. „Doch bekommt man dafür so viel zurück. So viel Dankbarkeit. Und erlebt eine herzliche Gastfreundschaft. Die Menschen, die wir besuchen, haben eigentlich nichts. Aber für einen gemeinsamen Tee reicht es immer“, sagt Loni Weiß.

Sozialpädagogin Daniela Pfitzenmaier hilft, kleinere und größere „Katastrophen“ im Alltag zu bewältigen, genauso aber ist sie Ansprechpartnerin für alle ehrenamtlichen Helfer, „ohne die ich aber gar nicht über die Runden kommen würde“, gibt sie gerne zu. Es sind viele Alltagsdinge, die der Helferkreis mit und für die Asylbewerber managt. Gerade wird Hände ringend in Roth eine Schulbegleiterin für ein 14-jähriges, Russisch sprechendes Mädchen, das Epileptikerin ist, gesucht. „Schwierig, aber hoffentlich nicht unmöglich“, gibt sich Loni Weiß optimistisch. Mal braucht es vom Sozialamt einen Krankenschein, mal muss ein Kinderwagen, eine Badehose (für einen gemeinsamen Schwimmbadbesuch) oder eine Fahrt nach Zirndorf organisiert werden. „Irgendwer kann immer helfen. Man muss nur fragen. Hier wird ganz viel ,genetzwerkert’“, freut sich Annegret Thümmler, wie schnell und gut der Rother Helferkreis nach dieser kurzen Anlaufzeit schon auf eigenen Füßen steht. Weil hier, so Thümmler, „Menschen mit Herzblut bei der Sache sind.“ CLAUDIA WEINIG

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