Kalbensteinberg: Kamel und Co im Ruhestand

18.6.2015, 17:44 Uhr
Kalbensteinberg: Kamel und Co im Ruhestand

© Fotos: Shaw

Ivan möchte kuscheln. Sanft drückt er seine weiche Schnauze an Dominik Schuberts Backe. Seit fast zehn Jahren kennt das Kamel den Zirkuschef – ebenso wie die meisten der 18 Pferde und Ponys, vier Hunde, drei Schafe, zwei Esel, das Lama und die Gans auf dem Hof der Schuberts. „Sie gehören zur Familie“, sagt der 61-Jährige. „Die Tiere haben uns unser ganzes Leben lang begleitet. Jetzt haben wir ihnen gegenüber eine Verantwortung.“

Familienwappen von 1479

Tiere, Artistik und die Schuberts – das gehört zusammen, seit der gebürtige Ellinger denken kann. Und noch viel länger: Den Zirkus Central gibt es seit fünf Generationen, die Familie dahinter lässt sich laut Familienwappen sogar bis ins Jahr 1479 zurückverfolgen. „Schon damals waren wir Gaukler und Komödianten“, erklärt Dominik Schubert.

Bis vor zwei Jahren zählte der Zirkus Central zu den mittelgroßen seiner Art – ein fahrender Betrieb mit bis zu 35 Mitarbeitern und zeitweise rund 50 Tieren. Sogar Tiger und Bären standen bis in die 1980er Jahre in der Manege. Danach beschränkten sich Schubert und seine Truppe wegen des Aufwands und des zunehmenden Drucks von Tierschützern auf weniger exotische Vierbeiner. Die einzigen „Zug’reisten“ sind Lama Prinz und Kamel Ivan.

Doch damit schwand auch das Publikum. „Heute kann man als Zirkus nur noch überleben, wenn man ganz groß oder ganz klein ist“, sagt Dominik Schubert. Nach zwei Wintern, in denen der Zirkus mangels Quartier und Treibstoff in Boxdorf und Raubersried „strandete“ und auf Almosen angewiesen war, zog das Familienoberhaupt den Schlussstrich.

Wie ein Lottogewinn

Dass der Schritt in die Sesshaftigkeit nach Kalbensteinberg führte, war eher Zufall. Denn mit 30 Tieren ein passendes Anwesen zu finden, erwies sich als nicht ganz einfach. So war die Entdeckung des zum Verkauf stehenden Hofs mit mehreren Hektar Grünland in Kalbensteinberg für die Schuberts „wie ein Lottogewinn“. Zusammen mit Zirkuschef Dominik zogen auch dessen Frau Anna-Maria, Sohn Franz (21) sowie mit Romina (24) und Tamara (37) zwei der acht Töchter dort ein.

Die Zirkuspferde haben in ihrer neuen Heimat nun massig Auslauf. Die stämmigen Ponys und die riesigen Friesen grasen auf einer großen Koppel hinter dem Hof, die robusten irischen Tinker dürfen sogar ganzjährig draußen auf der Wiese am Waldrand bleiben. Aufpassen müssen die Schuberts lediglich auf Mini-Pferd Sisco: Wenn der freche Rabauke, der in der Manege so manches Kunststück vollführt, einmal ausbüxt, piesackt er mit Vorliebe rempelnd und zwickend seine ungleich größeren Artgenossen.

Apropos Manege: Die gibt es auf dem Hof tatsächlich noch. Denn mit einem Teil der Innenausstattung ihres einstigen 2500-Mann-Zelts haben die Schuberts über der Scheune einen kleinen „Dachbodenzirkus“ eingerichtet. Dort können seit einiger Zeit Schüler der umliegenden Schulen hautnah Zirkusluft schnuppern und sich im Jonglieren, Einradfahren, Balancieren, Lassowerfen oder als Clown versuchen.

Mit den Tieren besuchen die Schuberts außerdem noch gelegentlich Straßenfeste, bei denen Kinder auf den Ponys reiten und Kamel Ivan streicheln dürfen – das nächste Mal beim Gunzenhäuser Bürgerfest am 4. und 5. Juli.

Auch für Kindergeburtstage und Ausflüge lässt sich der ungewöhnliche „Streichelzoo“ buchen. Ein wirklicher Zirkus ist das natürlich nicht mehr, aber eine gute Gelegenheit, die an die Arbeit in der Manege gewöhnten Tiere zu fordern und Spenden für den „Gnadenhof“ zu sammeln.

Dies bleibt freilich nicht ohne Kritik. Auf der Facebook-Seite „Kalber Gnadenhof für Zirkustiere“ erhalten die Schuberts nicht nur freundliche Kommentare. Die Ponys würden weiter „ausgebeutet“, heißt es dort. Ein „Gnadenhof“ sei etwas anderes.

Tage gezählt

Letzteres lässt sich nicht von der Hand weisen. Die Bezeichnung ist tatsächlich irreführend. Der Hof der Schuberts ist eher so etwas wie ein sesshaft gewordener „Zirkus im Ruhestand“, eine Art Gnadenhof für den gesamten ehemaligen „Zirkus Central“ und damit beispielhaft für eine ganze traditionsreiche Zunft, deren Tage gezählt sind.

Den Tieren geht es dort aber dem Augenschein nach ausgesprochen gut. Kaum ein Haushund oder Reitpferd hat so viel Auslauf wie die früheren Manegetiere. Die Vierbeiner sind gesund, und die „Arbeit“ beschränkt sich auf zwei, drei Veranstaltungen im Monat.

Zum Leben reicht das ohnehin nicht. Das ist auch Dominik Schubert bewusst. Der verbleibende Rest des Zirkus Central werde nach und nach immer kleiner werden und irgendwann ganz sterben. „Aber wir können die Tiere doch nicht einfach weggeben“, sagt der 61-Jährige. „Wenn man so aufgewachsen ist, kann man es sich anders gar nicht vorstellen“, bestätigt Sohn Franz.

Deshalb haben die Schuberts kürzlich einen Verein gegründet. Er soll helfen, die Tiere des „Gnadenhofs“ zu versorgen. Mit Fahrzeugen oder beim Mähen der Wiesen helfen gelegentlich auch die Dorfbewohner aus, die die Zirkusfamilie laut Dominik Schubert „sehr freundlich aufgenommen haben“.

Ein just an Heiligabend auf dem Hof geborenes Fohlen wurde vor einigen Wochen sogar vom Bürgermeister persönlich getauft.

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