Klaus Cäsar Zehrers Lesung ein voller Erfolg

22.10.2017, 06:00 Uhr
Klaus Cäsar Zehrers Lesung ein voller Erfolg

© Detlef Gsänger

Zum Inhalt: Boston, 1910. Der elfjährige William James Sidis wird von der amerikanischen Presse als "Wunderjunge von Harvard" gefeiert. Sein Vater Boris, ein bekannter Psychologe mit dem brennenden Ehrgeiz, die Welt durch Bildung zu verbessern, triumphiert. Er hat William von Geburt an mit einem speziellen Lernprogramm trainiert.

Doch als William erwachsen wird, bricht er mit seinen Eltern. Er weigert sich später sogar, seine Intelligenz einer Gesellschaft zur Verfügung zu stellen, die von Ausbeutung, Profitsucht und Militärgewalt beherrscht wird.

"Das Genie" ist ein mitreißendes Buch geworden, das auf 656 Seiten fesselt. Es ist ein detaillierter und aufschlussreicher Roman, der niemanden unberührt lässt. Alle Fakten dieser schier unglaublichen Geschichte sind historisch verbrieft. Viele überzogen scheinende Stellen werden im Anhang durch Quellenhinweise belegt: Kaum zu glauben, dass sich das alles so oder ähnlich zugetragen hat. Zehrer hat die Personen zu neuem Leben erweckt und die Ereignisse packend in Romanform gegossen, die es wert wären, verfilmt zu werden.

Zum Autor: Zehrer wurde 1969 in Schwabach geboren. Sein Abitur legte er am Wolfram-von-Eschenbach-Gymnasium Schwabach ab. Zehrer studierte Angewandte Kulturwissenschaften in Lüneburg, war Praktikant in der Redaktion der Satirezeitschrift Titanic und promovierte 2002 an der Uni Bremen mit einer Dissertation zur "Dialektik der Satire". Der Kulturwissenschaftler lebt heute als freier Autor, Herausgeber und Übersetzer in Berlin.

Eine Liste aus dem Internet

Vorab verrät er bei seiner Lesung in Roth, dass er auf das Thema zufällig gestoßen sei, als er vor knapp neun Jahren beim sinnlosen Durchstöbern des Internets eine Liste der angeblich zehn intelligentesten Menschen aller Zeiten entdeckte. "Da waren einige Namen drauf, die ich gut kannte: Albert Einstein, Isaac Newton oder Leonardo da Vinci. Aber auf Platz eins dieser Liste war ein mir vollkommen unbekannter William James Sidis. Der soll angeblich sogar einen IQ von 250 bis 300 gehabt haben", sagt Zehrer.

"Wenn es jemanden gibt, der alle bislang gekannten Genies offenbar in irgendeiner Art und Weise übertrumpft hat, aber man weiß nichts von ihm, muss ja irgendetwas dahinterstehen", dachte sich der gebürtige Schwabacher. Und er wurde immer neugieriger. Als er dann noch las, dass dieser Sidis ein "exzentrisches Genie" gewesen sei, wurde er erst recht hellhörig und forschte weiter. "Da musste etwas Spannendes dahinter stecken, weil ich von diesem brillanten Geist nie was gehört habe".

Zum Genie erzogen?

In den 1980er-Jahren, so ergaben unter anderem seine Recherchen, wurde in den USA eine Biografie über William James Sidis verfasst, die längst vergriffen und auch nur auf Englisch erschienen ist, von einer Amy Wallace, die den ganzen Stoff auf biografische Weise, als Sachbuch zusammengefasst hat. Als Zehrer diese Frau besuchen wollte, war sie jedoch kurz zuvor gestorben.

Der Vater des Genies, Boris Sidis, einer der ersten Psychologen und Psychotherapeuten seiner Zeit, war felsenfest davon überzeugt, dass Intelligenz nichts mit Vererbung und dergleichen zu tun hat. Er war der Meinung, man kann jedes Kind zum Genie erziehen. Dazu gehört eine extreme Form der Früherziehung, die er bei seinem Sohn vom ersten Tag anwandte. "Die Eltern haben dem Kind nie Kinderlieder vorgesungen, Kinderbücher vorgelesen, sondern sofort an der Wiege mit griechischen Sagen angefangen", sagt Zehrer.

Reklamefigur will nicht mehr

Als William James Sidis vier Jahre alt war, hatte er sich schon Latein und Griechisch beigebracht, mit sechs sprach er zehn Sprachen und als Zehnjähriger referierte er schließlich vor Professoren in Harvard über seine Theorie der vierten Dimension. Der "Wunderknabe" war ein Star, über den fortwährend in den größten Zeitungen Amerikas berichtet wurde. Mit sieben Jahren hatte er schon die Zulassungsprüfung zur Harvard Universität und zum Massachusetts Institute of Technology (MIT) in der Tasche. Mit acht Jahren galt er bereits als "größter Mathematiker aller Zeiten".

Als Erwachsener brach er jedoch aus. Er konnte das öffentliche Interesse nicht leiden. Vor allem hasste er seine Eltern, die ihn als den lebenden Beweis für den Erfolg der Erziehungsmethode, als Reklamefigur benutzt haben. Er wollte für sich ein zurückgezogenes Gelehrtenleben führen. Mehr und mehr entfremdete er sich von dieser Gesellschaft. Vor allem, als er, der glühende Pazifist, im Auftrag eines Labors physikalische Kalkulationen durchführte, die, wie er später erfuhr, militärischen Zwecken dienten.

William James Sidis starb 1944 im Alter von 46 Jahren an Gehirnblutung. Er hinterließ unzählige Schriften, die bis heute weder unveröffentlicht oder fast unbeachtet geblieben sind. Dabei seien diese, so Zehrer, Zeugen eines einzigartigen Geistes.

Ein einsamer Mensch

Die Frage "Wie viel Bildung braucht der Mensch" beschäftigte Zehrer von Anfang an. Und das Thema, "Was ist richtige, geglückte Erziehung, was gehört dazu, zu einem vollkommenen Menschen, und wie kann man ein Kind bestmöglich fördern, damit es ein glückliches und erfolgreiches Leben führen kann". Dass man es damit auch übertreiben kann und dass daraus noch keine vollendete, abgerundete Persönlichkeit entstehen muss, wird am Beispiel William James Sides exemplarisch deutlich, wie der Roman zeigt.

Zehrer: "Ich glaube, er war nicht unglücklich mit sich, sondern eher mit der Gesellschaft. Er hat große Schwierigkeiten gehabt, Gleichgesinnte zu finden, logischerweise. Wenn man mit sieben Jahren die Zulassungsprüfung zum MIT besteht und zur Harvard University und den Highschool-Abschluss in der Tasche hat, da findet man wenige Kinder, mit denen man spielen kann. Das hat ihn zeitlebens zu einem sehr einsamen Menschen gemacht."

Diese außergewöhnliche und faszinierende Lebensgeschichte zu lesen, lässt einen das Buch am Ende betroffen zuschlagen und gibt einem einmal mehr die Erkenntnis, dass Wissen, Erfolg und Ehrgeiz nicht alles im Leben sind.

"Das Genie", von Klaus Cäsar Zehrer, 656 Seiten, Hardcover Verlag: Diogenes, ISBN: 978-325 7069 983, Preis: 25 Euro.

Keine Kommentare