Kleine Feuerspucker: 36 Kinder werden zu Zirkuskünstlern

2.8.2019, 10:08 Uhr
Kleine Feuerspucker: 36 Kinder werden zu Zirkuskünstlern

© Foto: Lidia Piechulek

"Scher-ben! Scher-ben! Scher-ben!", rufen die sechs kleinen Fakire im Chor. Feuerfontänen aus einem Schlauch zu blasen, ist ihnen längst langweilig geworden. Lieber wollen die Kinder die scharfen Scherben spüren. Die schleichende Aufregung, die sich breitmacht, wenn das Gewicht des Körpers sich auf dem Scherbenberg verlagert, der Fuß langsam einsinkt und zum Stillstand kommt – und man auf magische Weise unverletzt bleibt, stolz dasteht und die Hände zum Himmel reckt. Am liebsten würden die sechs Kinder der Übungsgruppe immer wieder über Scherben laufen.

Die ganze Zeit überwacht Bernd Distler das Geschehen. Er ist gelernter Pyrotechniker, seit bald 30 Jahren selbst Zirkusartist und arbeitet beim Circus Courage. Etwa einen Monat im Jahr schlägt sein Team irgendwo in Bayern das Zirkuszelt auf und tritt selbst hinter die Kulissen: Dann stehen die Kinder im Vordergrund und können im Rahmen einer Zirkuswoche ihre versteckten Talente entdecken.

Kleine Feuerspucker: 36 Kinder werden zu Zirkuskünstlern

© Foto: Lidia Piechulek

 Der Kreisjugendring Roth veranstaltet zum ersten Mal eine solche Zirkuswoche. Kinder und Betreuerinnen verfolgen gleichermaßen mit leuchtenden Augen die Darbietungen am ersten Wochentag. Denn zunächst präsentieren die vier Mitglieder des Circus Courage selbst alle Künste, um den Kindern die Wahl zwischen den verschiedenen Showeinlagen zu erleichtern. Jedes Kind kann sich danach für je zwei bevorzugte Zirkuskünste entscheiden – und probt an den übrigen vier Tagen in Gruppen die Performance.

Für Zauberkünstler Bernd Distler ist es immer wieder "toll zu beobachten, wie die Kinder dabei aufgehen". Sie springen bei jedem neuen Trick über ihren Schatten und lernen, sich selbst mehr zuzutrauen.

Eigene Grenzen überwinden

Dabei sind die Zirkuskünstler dafür zuständig, auf die Kinder Acht zu geben und Gefahren einzudämmen. Wenn drei Kinder den Scherbenhaufen platt getreten haben, wird dieser also immer wieder neu aufgeschüttet. So ist das Risiko, dass die Scherben im Fuß stecken bleiben, gleich null. Warum, das sei an dieser Stelle nicht verraten.

Die Rother Zirkuswoche steht unter dem Motto "Zauber der Farben" – und so macht sich Reneé Zander, Leiter der Aktion des Circus Courage, daran, die Kostüme der Kinder entsprechend zu dekorieren. Denn wenn am Freitagabend um 19 Uhr der Vorhang fällt, soll für die Kinder alles perfekt sein. Dann kommen Eltern, Verwandte, Freunde und Gäste, um ihre Darbietung zu bestaunen. Eine zweite Vorführung wird es am Samstag um 11 Uhr geben.

Über 300 Kostüme hat der Circus Courage im Gepäck. Aber in jedem Jahr werden Garderobe und Styling individuell an das Programm angepasst: In den letzten Tagen näht und stickt Zander also in Handarbeit noch mehr Farbe in die Kleider.

Sich gegenseitig bestaunen

Der Tag der Zirkuskinder ist immer wieder von Pausen durchbrochen: Denn das Spielen und Ausruhen, das gemeinsame Nudel-Essen und Zuschauen bei anderen Übungsgruppen sollen nicht zu kurz kommen.

Zu groß ist die Faszination, wenn eines der Kinder Bärlappsporen aus einem kurzen Schlauch pustet und durch die Verpuffung eine Stichflamme entsteht: Ein Feuerschwall, so groß, als würde ein ausgewachsener Drache zum Angriff ansetzen. Als ebensolche werden die Fakire auch bei den Aufführungen verkleidet sein. Ein chinesischer Drache, unter dem sich sechs Kinder verstecken.

Erstaunlicherweise haben die Fakire recht schnell die Angst vor dem Feuer verloren. Die neunjährige Adele Edartaite verzieht zwar durchaus kurz einmal das Gesicht, als die Hitze des Feuers ihre Stirn streichelt. Aber: Angst hat sie keine, sagt sie.

Schon weniger mag sie da das Nagelbrett. Wenn sie die Füße auf das Meer aus spitzen Nägeln senkt, fühlt sich das einfach komisch an. "Wie wenn einem der Fuß einschläft!", ruft eines der Mädchen aus und lacht. "Schlimmer als das!", ruft ein anderes. Weil es für die meisten unangenehm ist, werden nur drei von ihnen den Nagelbrett-Trick vorführen.

Gemeinsam präsentieren sie allerdings, wie das Feuer die Haut berührt. Distler spannt einen Streifen Baumwolle stramm um einen langen Aluminiumstab. Sechs Mal wickeln und stopfen, dann tunkt er jede Stabspitze in gereinigtes Benzin.

Die neunjährige Adele ist die Erste, der Kopf des Drachen also. Sie entzündet ihr Feuer und überträgt es auf die Hand ihrer Nachbarin. Es berührt wie auf magische Weise die Haut, ohne sie zu verbrennen. Die Kinder stehen in fasziniertem Schweigen beieinander. So tragen sie das Feuer weiter von Kinderhand zu Kinderhand. Noch ist alles gut. Doch zu guter Letzt will Bernd Distler, dass jeder sein Feuer mit der eigenen Hand löscht.

Keine Angst vor dem Feuer?

In Adeles Blick schleicht sich erst Unglauben, dann Misstrauen, dann Angst. Soll sie wirklich? Während sie noch zögert, schreiten die anderen Kinder zur Tat – umschließen mit der ganzen Hand die Flammenspitze, sodass das Feuer den Sauerstoff verliert. Die Lichter erlöschen.

"Wenn du‘s willst, musst du‘s jetzt machen", sagt Distler eindringlich. Nur noch ihr Licht leuchtet im dunklen Raum. Fünf Kinder- und ein Erwachsenengesicht wenden sich ihr zu, dann wird es hektisch. "Jetzt oder nie – sonst bleibt nur die Glut, und die ist heiß", betont er.

Adeles Blick zuckt unruhig hin und her, sie würde lieber warten, bis die Flamme kleiner ist. Dass es dann mehr wehtut, fällt ihr schwer zu glauben. "Jetzt glüht‘s schon", sagt Distler noch.

Dann streckt das größte Mädchen der Gruppe mit gleichmütigem Blick die Hand aus. Umschließt die Flamme – und das Licht geht aus.

Info: Die Abschlusspräsentationen der Kinder finden in der Otto-Schrimpff-Straße 4 in Roth statt. Uhrzeiten: Freitag, 19 Uhr und Samstag, 11 Uhr. 

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