Begehrt in der Pandemie

Kleingärten: "Da drin wird gelebt und gestorben"

25.8.2021, 06:04 Uhr
Seit 40 Jahren bewirtschaften Georg Klapper, Obmann der Kolonie am Hirschenzaun in Roth, und seine Frau einen Kleingarten.

© Tobias Tschapka, NN Seit 40 Jahren bewirtschaften Georg Klapper, Obmann der Kolonie am Hirschenzaun in Roth, und seine Frau einen Kleingarten.

Ein blühender Beginn war´s nicht. Denn als die ersten Schrebergärten, die heute eher Kleingärten genannt werden, als diese also in die Welt sprossen, keimten sie auf elendem Grund: Die Ära der Industrialisierung brach an. Eine Zeit, in der Armut, Krankheit und Tod Dauerschicht in der Unterschicht schoben. Weil viel zu viele Landflüchtlinge auf ein besseres Leben in den Städten und Fabriken hofften. Doch damit lagen sie daneben. Und zwar sowas von.

Noch ehe das 19. Jahrhundert seine Mitte erreichte, hatten die Kommunen zum Glück ein Erbarmen mit dem Jammer. Sie installierten sogenannte „Armengärten“, wo Familien auf gepachtetem Kirchenland Obst und Gemüse für den Eigenbedarf anbauen durften. Das seien die Anfänge gewesen, heißt´s.

So eine Laubenkolonie ist ein gesellschaftlicher Mikrokosmos, in dem es gar nicht so leicht sei, die Balance zwischen den unterschiedlichen Gartenpächtern herzustellen. Das weiß man auch in Roth. Vorstandsposten sind daher nicht immer einfach zu besetzen.

So eine Laubenkolonie ist ein gesellschaftlicher Mikrokosmos, in dem es gar nicht so leicht sei, die Balance zwischen den unterschiedlichen Gartenpächtern herzustellen. Das weiß man auch in Roth. Vorstandsposten sind daher nicht immer einfach zu besetzen. © Tobias Tschapka, no credit

Der Orthopäde Moritz Schreber, der damals für die Arbeiterkinder mehr Bewegungsräume forderte, aus denen später ebenfalls Gärten wurden, streift in diesem Zusammenhang erstmal kaum den Rasen. Aber wer´s genau wissen will, liest besser selber nach.

Werner Stürmer (55) und Georg Klapper (73) kennen den geschichtlichen Hintergrund jedenfalls. Zumindest so lala. Irgendwie sei´s ja auch ihre Geschichte. Denn Stürmer und Klapper sind Kleingärtner aus Leidenschaft. Vorsitzender des Kleingartenvereins „KGV Roth e.V.“ der eine (Stürmer); Obmann der Anlage am Hirschenzaun in der Hilpoltsteiner Straße, der andere (Klapper). Und spätestens seit Corona wissen die beiden Rother: Historie wiederholt sich. Nicht, dass Kleingärtner noch immer zu den Ärmsten der Armen zählen würden, nein. Aber dass solche Outdoor-Oasen Orte seien, um dem Elend, das aktuell ein pandemisches ist, zu entfliehen – ja!

Nachfrage? - Gewaltig!

Die Lust an der Laube. Sie habe sich zwar nicht erst mit dem Virus verbreitet, doch seitdem ganz besonders. Wenn er schätzen soll, sagt Werner Stürmer, dann hätten sich in Roth 2020/21 „locker noch 20 Parzellen mehr“ verpachten lassen - zusätzlich zu den 115 bestehenden, die sich auf sechs Kleingartenanlagen im Stadtgebiet verteilen: drei Areale entlang der Hilpoltsteiner Straße (Steinerne Eiche, Eiche, Hirschenzaun), zwei am Ostring und eines, das älteste, in der Sandgasse. Richard Reiter (64), Vorsitzender des Kleingartenvereins „Eichwasen 1996 e.V.“ bestätigt den Boom indes für Schwabach: „Die Nachfrage während Corona? - Gewaltig!“

Gleichfalls registriert hat Sandra von Rekowski den Trend. Klar, sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Dach- und „Bundesverband Deutscher Gartenfreunde e.V.“. Deshalb wisse sie freilich um die allgemeine „Sehnsucht nach der kleinen Freiheit in Pandemie-Zeiten“. Laut NDR-Bericht hätten 2020 etwa doppelt so viele Menschen in der Republik nach einem Gärtchen geschielt wie jahrs zuvor.

Ja zum grünen Lüngerl!

Doch von Covid 19 einmal abgesehen und stattdessen in die zuhauf gedruckten Gartenzeitschriften geschaut: „Das Bewusstsein für ökologische Themen ist insgesamt gestiegen“, so Rekowski. Drum wachse auch das Interesse an einem grünen Lüngerl stetig und treibe vor allem Vater, Mutter, Kind in den Kleingartenverein.

Allerdings: Vor die Parzelle haben diese Vereine das Warten gesetzt. Zwangsläufig. In der Bundeshauptstadt müssten sich Bewerber schon mal schlappe fünf bis sieben Jahre gedulden, ehe ein Gatter aufspringe.

Warum? - Darum: „Wenn einer einen Garten hat, hat er ihn“, erklärt Sandra von Rekowski. Danach werde quasi „drin gelebt und gestorben“. Werner Stürmer kann dem nur beipflichten: Wer nicht krank würde, gebe sein sprießendes Reich in der Regel kaum auf.

Horrende Ablöse

Und falls doch? Sollten Wartende einen wohlgefüllten Geldbeutel zur Hand haben. Die Ablösesumme für so ein gepflegtes Fleckchen Erde betrage nämlich „oft mal 10 000 Euro aufwärts“, weiß Richard Reiter. Natürlich stecke meist viel Material, Zeit und Herzblut in diesen Gevierten, die im Schnitt um die 370 Quadratmeter groß sind. Aber er könne hinter den Beträgen, die zwischen Vor- und Nachpächter bisweilen über den Tisch wandern, „als KGV-Vorsitzender überhaupt nicht stehen“, erklärt Werner Stürmer. Zumal das ja auch dem Ursprungsgedanken zuwider laufe: ökonomisch weniger gut gestellten Mitmenschen einen Erholungs- und Selbstversorgungsraum zu eröffnen.

Trotzdem: Die Nachfrage wäre da, die Preise würden gezahlt und der Verein habe kein Mitspracherecht. Hilfreich sei da ein Gutachter.

Apropos gut. Die positive Nachricht lautet: Ist der Löwenanteil erst berappt, läuft’s in finanzieller Hinsicht wieder beschaulicher. In Roth zum Beispiel wird nach der einmaligen Vereinsaufnahmegebühr (250 Euro) lediglich noch ein jährlicher Mitgliedsbeitrag (16 Euro) und die Jahrespacht (bis zu 130 Euro) erhoben. In Schwabach seien die Beträge wegen der „paradiesischen Lage“ des Vereinsgeländes ein wenig höher.

Über allem wacht das BkleinG

Wer endlich drin ist im Kleingartenverein, muss wissen: Ab hier gilt das Bundeskleingartengesetz (BkleinG). Die dicke Kladde dient dem friedlichen Miteinander, regelt Mittagsruhe wie Heckenschnitt. Und sie verhindert, dass jemand die lauschige Laube zum Dauerwohnsitz umfunktioniert. Von daher ist ein Stromanschluss häufig tabu.

In den Kleingartenanlagen hat alles seine Ordnung. Auf den Aushängen wird auf Mittagsruhe und Arbeitsdienste verwiesen. Richtungsweisend ist dabei immer das BkleinG, das Bundeskleingartengesetz.

In den Kleingartenanlagen hat alles seine Ordnung. Auf den Aushängen wird auf Mittagsruhe und Arbeitsdienste verwiesen. Richtungsweisend ist dabei immer das BkleinG, das Bundeskleingartengesetz. © Tobias Tschapka, NN

Darüber wollen sich die Rother KGV´ler aber lieber nicht mehr ausbreiten. Der Umstand, dass am Hirschenzaun Kilowattstunden fließen, hätte 2016 sogar den BR angelockt und die Gartler den letzten Nerv gekostet. Nur so viel: „Wir haben uns nix vorzuwerfen“, raunt Georg Klapper, während er an plätschernden Mini-Teichen, leuchtenden Geranienkästen, rotierenden Rasensprengern und hübsch geschmückten Hüttchen vorbeilotst.

Lauschig und gleichzeitig aufgeräumt ist es hier, in der Einrichtung am Park-and-Ride-Platz, den man zurzeit vor allem ansteuert, um einen Corona-Test zu absolvieren. Und ruhig, obwohl die B2 vor der Tür liegt.

Natur in "Drittelnutzung"

Bei zwei bunt bestrickten Baumstämmchen an einer akkurat gestutzten Ligustereinfriedung macht Klapper halt. Man betrete jetzt seine Domäne. Seit 40 Jahren ist der berentete Bäcker stolzer Besitzer eines Kleingartens.

Zuerst habe er´s in den Lohbeeten am Stadtpark recht ordentlich blühen lassen. Seit die Hobby-Gärtner aber Anfang der 2000er im Zuge der Kleinen Landesgartenschau umgesiedelt wurden, aktiviere er seinen grünen Daumen nun von früh bis spät am Hirschenzaun, wo sich 30 Gärten aneinanderreihen.

Klapper hat die „Drittelnutzung“, die das BkleinG vorschreibt, idyllisch umgesetzt: Da räkelt sich Gemüse und Salat in der Sonne, da strecken sich strahlende Blüten nebst üppigen Stauden dem Betrachter entgegen und da lädt ein Gartenhaus der Marke Eigenbau zum Bleiben. Passt. Versiegelte Fläche, Wirtschaftsbereich und Erholungszone zu etwa gleichen Teilen. So soll´s sein.

Zollstockgärten waren gestern

Wenn´s mancher etwas anders hält, werde schon mal „ein Auge zugedrückt“. Schließlich sollen auch der Tomatenkönig und der Blumenspezialist zu ihrem Recht kommen. Trampolins oder Wasserbassins für die Kinder seien mittlerweile ebenso gelitten. Inzwischen habe der Erholungswert den Selbstversorgergedanken eingeholt.

Zwischen Karotte und Kohlrabi fühlen sich die Klappers wohl. Arbeit sei das schon, aber sie fühlen sich hier "wie im Paradies".

Zwischen Karotte und Kohlrabi fühlen sich die Klappers wohl. Arbeit sei das schon, aber sie fühlen sich hier "wie im Paradies". © Tobias Tschapka, NN

„Zollstockgärten“? Nein, die wolle ohnehin niemand mehr. Gartenzwerge und Pestizide hätten ihre Blütezeit hinter sich, glaubt auch Gartenbau-Kreisfachberater Johannes Schneider. Stattdessen halten Insektenhotels, Blühstreifen und Fledermauskästen Einzug in den Kolonien. Richard Reiter untermauert´s.

Ja, man lasse der Natur wieder stärker Raum - einer „gepflegten Wildheit“, wie Werner Stürmer das nennt. Eingeschritten werde aber sehr wohl, „wenn dir beim Betreten eines Gartens das Unkraut schon durch die Stiefel wächst“, erläutert Reiter und seufzt.

Die richtige Balance - eine Kunst

Manchmal sei´s gar nicht so einfach, die richtige Balance innerhalb dieses gesellschaftlichen Mikrokosmos zu finden. Denn die Kleingartenpächter – inzwischen immer öfter mit großem Familien- und/oder einem Migrationshintergrund ausgestattet - seien nun mal ebenso bunt wie ihre völlig unterschiedlich gestalteten Parzellen. Das stelle den KGV-Vorstand oft vor Herausforderungen, weshalb sich Richard Reiter mit einem Nachfolger gerade schwertue, wie er zugibt.

„Loslassen, alte Strukturen aufbrechen und die Jugend einbeziehen!“, rät da Laura Winter vom Schreberjugend-Bundesverband. Der sät unter anderem praktische Bildungskonzepte im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung unters Jungvolk. Winter plädiert für mehr Allmende-, also Gemeinschaftsflächen, Mischkulturen und Biotope in den Kleingärten - „dann klappt´s auch mit der Neugier ganz junger Menschen“.

Diesbezüglich macht man sich am Rother Hirschenzaun allerdings keine Sorgen. Denn dort stehen zwei Hütten, die immer wieder quirliges Leben beherbergen. Es sind die des Waldkindergartens „Buchenzauber“...

Neues Denken im Kleingarten

In Deutschland gibt es knapp eine Million Kleingärten auf einer Fläche von 44.000 Hektar. Etwa 900.000 Hobbygärtner sind unterm Dach des „Bundesverbandes Deutscher Gartenfreunde e.V.“ (BDG) organisiert, wobei wohl um die fünf Millionen Menschen – inklusive Familie und Freunde – einen Kleingarten nutzen.

Der KGV Roth, der seine Flächen von der Stadt Roth pachtet, zählt aktuell 223 Mitglieder; dem KGV Eichwasen gehören 78 Gartler an, die 70 Parzellen bewirtschaften. Die meisten Kleingärten findet man in den Ballungsräumen, wo die Nachfrage das Angebot bei Weitem übersteigt. Deshalb brüte man dort über neuen, kreativen Konzepten - etwa die Teilung oder Gemeinschaftsnutzung vorhandener Kapazitäten. Auch Wohnungsbau und Kleingärten würden inzwischen nicht mehr separat, sondern „zusammengedacht“, heißt es seitens des BDG. [Quelle: BDG]

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