Mit Faust auf Kopf geschlagen: Polizist vor Gericht

22.3.2021, 09:52 Uhr
Mit Faust auf Kopf geschlagen: Polizist vor Gericht

© Foto: arifoto UG

Der Beamte soll bei einem Einsatz mit mehreren Streifen in einer Privatwohnung in Allersberg im April 2019 den erheblich alkoholisierten und randalierenden Wohnungsinhaber mehrfach mit der Faust auf den Kopf geschlagen haben, obwohl dieser bereits gefesselt und fixiert am Boden lag.

Schon in ihrer Vorrede stellte Richterin Dr. Andrea Martin klar: "Wir haben es hier mit drei Tabubrüchen zu tun: Ein Polizist schlägt nicht, ein Polizist lügt nicht und ein Polizist erinnert sich richtig."

In fünf Stunden bemühte sich das Gericht mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, die Vorfälle in der Wohnung während des sehr turbulenten Einsatzes vor zwei Jahren zu rekonstruieren. Das gelang nur teilweise. Auch, weil die Erinnerungen der Zeugen – Polizeibeamte, die am Einsatz beteiligt waren – nicht ausreichten, die genauen Abläufe in der laut Staatsanwalt Dr. Frank Beckstein "sehr dynamischen Situation" zu sortieren.

Ein Handyvideo wird aus Angst gelöscht 

Der Angeklagte jedenfalls bestritt, den Geschädigten geschlagen zu haben. Belastet wurde er aber durch zwei Nachbarn, die via offene Wohnungstür Zeugen des Polizeieinsatzes geworden waren. Auch ein Polizist beschuldigte später den Kollegen des Übergriffs. Alle anderen wollten etwas Derartiges nicht mitbekommen haben. Ein Handyvideo, das einer der Nachbarn von dem Vorfall gemacht hat, ist vor der Sicherstellung von diesem selbst gelöscht worden – aus Angst, deswegen Ärger zu bekommen. Dem Landeskriminalamt (LKA) sei es nicht gelungen, dieses wiederherzustellen, bedauerten Staatsanwaltschaft und Richterin.

Am Ende wurde der Angeklagte freigesprochen. Dass die Schläge stattgefunden haben, daran hegte Staatsanwalt Dr. Frank Beckstein in seinem Schlussplädoyer keine Zweifel. "Aber wir können den Beamten nicht eindeutig identifizieren."

Drohungen, Blut, Schreie: Das war geschehen  

Zum wiederholten Mal waren die Beamten der Polizeiinspektion Hilpoltstein ins Mehrfamilienhaus in Allersberg gerufen worden, weil der Wohnungsinhaber im Beisein mehrerer Familienmitglieder randalierte, herumbrüllte und lauthals wüste Bedrohungen ausstieß. "Ich schlitze meine Frau auf", soll er gedroht haben.

Der kräftige Mann ist sowohl der Polizei als auch dem Gericht als hoch aggressiv und schwer zu bändigen bekannt. Der Einsatz endete mit der Einweisung in eine psychiatrische Fachklinik.

Besorgte Nachbarn hatten die Polizei gerufen. Die ersteintreffende Streife fand den Mann in einem der hinteren Zimmer. Nach einer "bedrohenden Geste" wurde er von einem Beamten zu Boden gebracht. Dem sich heftig wehrenden Mann wurden die Hände hinter dem Rücken gefesselt.

Als es ihm gelang, sich loszureißen und in den Flur zu flüchten, brachte ihn ein Beamter einer mittlerweile als Verstärkung von der PI Roth hinzugekommenen Streife zum zweiten Mal zu Boden "Ich kann nicht ausschließen", so der zugreifende Beamte in seiner Aussage vor Gericht, "dass der Mann dabei mit dem Kopf gegen die Wand gestoßen ist."

Der Mann beleidigte, spuckte und tobte

Zum Liegen kam der Randalierer in den Scherben einer zu Bruch gegangenen Glasscheibe. Dabei zog er sich blutende Schnittwunden zu. Die Beamten versuchten, den tobenden, wüste Beleidigungen schreienden, spuckenden und tretenden Mann so zu platzieren, dass er weder sie noch sich selbst in Gefahr bringen konnte.

Drei Beamte hatten alle Hände voll zu tun, den Mann am Boden zu halten. Darunter auch der Angeklagte, sein Streifenpartner und ein den beiden nicht persönlich bekannter Beamter der PI Hilpoltstein.

Unterdessen trafen weitere Streifen ein. Es wurde nach Fußfesseln und einer Spuckschutzhaube gerufen – beides wurde aus dem Auto geholt. Beamte kümmerten sich um die weiteren Personen in der Wohnung, organisierten Verstärkung und einen Rettungswagen. Mehrere Polizeibeamte wurden vor Gericht befragt. Ein klares Bild ergab sich daraus nicht.

Die meisten Zeugenaussagen liefen darauf hinaus, dass die Beamten "am Mann" wohl mehrfach die Positionen bei der Fixierung des sich nach wie vor massiv zur Wehr setzenden Geschädigten am Boden gewechselt haben.

Nachbarn sahen die Schläge

An den Füßen, am unteren Rücken und im Bereich von Kopf und Schultern wurde der Mann danach von jeweils einem Beamten am Boden gehalten. Wann, wie oft und in welcher Konstellation, blieb nicht nachvollziehbar.

In dieser Situation soll der Geschädigte von einem Uniformierten mehrfach mit der Faust auf den Kopf geschlagen worden sein. Das schilderte ein Nachbar. Er habe das vom Hausflur aus gesehen und von der Wohnungstür aus gerufen: "Das dürfen Sie nicht!". Auch sei er in die Wohnung gelaufen, habe versucht, dem Beamten die Hand festzuhalten und habe schließlich ein Video von der Situation gemacht. Man habe ihn aus der Wohnung geschickt. Das bestätigte ein anderer Nachbar. Auch der ist sich sicher, die Schläge gesehen zu haben.

Die Gegenüberstellung: Ein Ding der Unmöglichkeit

Vor der Vernehmung hatte Richterin Dr. Andrea Martin beiden Zeugen unabhängig voneinander die drei Beamten im Gerichtssaal gegenübergestellt. Der erste Zeuge identifizierte dabei eindeutig einen der Beamten als Täter. Allerdings nicht den Angeklagten, sondern dessen Streifenpartner.

Er sei sich ganz sicher, er habe den Mann von der Haustür aus, im Flur und später noch einmal auf dem Video gesehen. Der zweite Zeuge konnte zwar bestätigen, dass zwei der Beamten an der Situation beteiligt waren, aber keinen als Täter wiedererkennen.

Tatsächlich sehen sich zwei der Beamten ausgesprochen ähnlich, haben vergleichbare Statur, tragen eine annähernd gleiche Frisur und einen ähnlichen Bart. In Uniform dürfte es für Fremde schwierig sein, sie voneinander zu unterscheiden. Auch eine Nachstellung der Szene auf dem Boden des Gerichtssaales trug nicht zur Klärung bei.

Späte Erinnerungen der Polizisten: "Wahrheit nicht ermittelt"

Unklar blieben auch viele Details, wie die Sache sich im Nachhinein entwickelt hat. In den ersten Protokollen zum Einsatzgeschehen ist von den Schlägen überhaupt nicht die Rede. Erst als die internen Ermittlungen der Polizei in Gang gekommen waren, erinnerte sich auch zumindest ein Polizeibeamter an die Schläge und benannte den späteren Angeklagten, dessen Namen er bei einem weiteren Kollegen erfragt hatte, als Täter. Eine hinreichende Erklärung dafür, warum er nicht schon vorher darauf aufmerksam gemacht hatte, dass bei dem Einsatz etwas aus dem Ruder gelaufen sein könnte, blieb er schuldig. Auch die anderen Beamten konnten sich sowohl bei den Vernehmungen als auch bei der Verhandlung nurmehr bruchstückhaft erinnern.

"Wir haben hier einen bunten Strauß an Varianten gehört", bilanzierte Staatsanwalt Dr. Frank Beckstein in seinem Schlussplädoyer, "jeder Zeuge hat was anderes erzählt. Das ergibt kein übereinstimmendes Bild." Deshalb gebe es in so einer Situation nur eine Konsequenz: Freispruch. Rechtsanwalt Christian Jäckle schloss sich an.

"So etwas darf nicht passieren"

Richterin Dr. Andrea Martin sprach den Angeklagten frei. Allerdings zeigte sie sich mit dem Verlauf des Verfahrens ausgesprochen unzufrieden. Es bleibe ein Verfahren, dem ein Nachgeschmack anhafte. "Wir haben hier heute nicht die Wahrheit ermitteln können."

Auch sie zeigte sich überzeugt davon, dass damals unmittelbarer Zwang aus dem Ruder gelaufen sei. "So etwas darf nicht passieren, damit muss die Polizei sensibel umgehen."

Sie sagte auch, dass es anders hätte laufen können: Es habe Ermittlungsfehler beim LKA gegeben und auch bei der PI Hilpoltstein sei "nicht alles glänzend gelaufen". Es fehle an offener Kommunikation.