Bürgermeister in Kammerstein

Nach 24 Jahren: Walter Schnell macht am 30. April Schluss

Günther Wilhelm

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23.4.2020, 06:03 Uhr
Nach 24 Jahren: Walter Schnell macht am 30. April Schluss

© Foto: Günther Wilhelm

Walter Schnell war Konrektor der Schwabacher Johannes-Kern-Schule. 1996 wurde der Freie Wähler in seinem Heimatort Kammerstein erstmals zum Bürgermeister gewählt. Anschließend hat er so überzeugt, dass sogar auf Gegenkandidaten verzichtet wurde. Zudem ist Schnell stellvertretender Landrat und Bezirksrat sowie Vizepräsident der Evangelischen Landessynode Bayern.

Herr Schnell, wie sehen die letzten Tage Ihrer Amtszeit aus?

Walter Schnell: Die sind natürlich von Corona geprägt. Wir mussten zum Beispiel Vorsorge für unsere Kinder, für Feuerwehren und für Mitarbeiter in der Gemeinde treffen. Die Email-Flut der staatlichen Stellen ist dabei nicht nur hilfreich. Wir haben selbst Lösungen gefunden und sind ausgestattet. Schön zu erleben, wie sich Menschen helfen. Es gibt zu tun. Ich gebe Gas bis zum Schluss.

Bürger und Unternehmen sind von der Krise massiv betroffen, welche Auswirkungen befürchten Sie für die Gemeinden?

Walter Schnell: Auch auf sie kommen ganz schwierige Zeiten zu. Wir haben die ersten Anträge auf Stundung der Gewerbesteuer. Das wird die Haushaltspläne zerreißen. Zu klären sind auch die Kita-Gebühren. Wenn wir oder die caritativen Träger diese an die Eltern zurückzahlen müssen, dann geht das nicht ohne staatliche Hilfe. Ich gehe in einer Zeit, in der ich meinem Nachfolger Wolfram Göll eine besonders glückliche Hand wünsche und ihm auf Wunsch auch mit Rat und Tat zur Seite stehe.

Sie durften aus Altersgründen nicht mehr antreten. Hätten Sie es sonst nochmal getan?

Walter Schnell: Nein. Zum einen ist nach 24 Jahren ein Wechsel für die demokratische Kultur gut. Ich hatte schon vor sechs Jahren angeboten aufzuhören, aber nach intensiver Diskussion wurde ich gebeten, weiterzumachen. Zum anderen ist der Job eines Bürgermeisters strapaziös. Er muss in einer kleinen Gemeinde rund um die Uhr erreichbar sein. Ich habe immer vollen Einsatz gebracht, aber das kostet Substanz. Mit 67 Jahren hätte ich vermutlich nicht mehr die Kraft, das weitere sechs Jahre so zu leisten.

Abschied nach 24 Jahren. Mit welchem Gefühl gehen Sie?

Walter Schnell: Mit großer Dankbarkeit. Ich habe die Zeit genossen, meine Arbeit mit Herzblut gemacht und nie auf die Uhr geschaut. Ich hatte eine ganz hohe Arbeitszufriedenheit. Zusammen mit den Bürgern, dem Gemeinderat und dem Team der Verwaltung haben wir viel erreicht. Wenn man bedenkt, wo wir 1996 waren.

Wo stand die Gemeinde denn?

Walter Schnell: Damals bildeten die Gemeinden Kammerstein und Rohr noch die Verwaltungsgemeinschaft Schwabachtal mit Sitz in Schwabach. Die haben wir zum 31.12.1997 aufgelöst und zum 1.1.1998 das Rathaus im alten Forsthaus bezogen. Das war die erste wichtige Weichenstellung. Nach dieser Eigenständigkeit haben beide Gemeinden einen großen Aufschwung erlebt.

Woran machen Sie das fest?

Walter Schnell: Wir hatten unter den 16 Landkreisgemeinden die höchste Verschuldung und niedrigste Steuerkraft pro Einwohner. Deshalb war die zweite wichtige Weichenstellung, neues Gewerbe anzusiedeln. 1999 war Spatenstich für den Gewerbepark Barthelmesaurach. Die dortigen Flächen haben wir nicht verramscht, sondern für einen umweltfreundlichen Branchenmix gesorgt. Aber auch der Dienstleistungspark in Haag und die Autobahnraststätte Kammersteiner Land waren wichtige Meilensteine.

Wo steht die Gemeinde heute?

Walter Schnell: 1996 hatten wir keine 100 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze, jetzt sind es rund 900 wohnortnahe Arbeitsplätze. Eine so explosionsartige Entwicklung gab es sonst nirgends. Bei der Steuerkraft pro Einwohner liegen wir hinter Wendelstein und Roth auf Platz drei.

Wichtig für die Infrastruktur sind auch die beiden Einkaufsmärkte. Wie schwierig war es, Aldi von Kammerstein zu überzeugen?

Walter Schnell: Ganz schwierig. Wir waren die erste Gemeinde mit weniger als 5000 Einwohnern, wo ein Aldi-Markt gebaut wurde. Aber die bessere Nahversorgung war mir ganz wichtig. 1996 konnte man in der Gemeinde nicht mal mehr ein Brot kaufen.

In den zweieinhalb Jahrzehnten gab es auch große gesellschaftliche Veränderungen, etwa bei der Kinderbetreuung. Wie hat Kammerstein reagiert?

Walter Schnell: Die Vereinbarkeit von Beruf und Erziehung war eine Herausforderung. 1996 hatten wir zwei Kindergartengruppen mit 50 Kindern. Heute sind es drei Krippen-, fünf Kindergarten- und drei Hortgruppen mit rund 230 Kindern. Und der Bedarf steigt weiter. Im kommenden September eröffnet ein Bauernhofkindergarten in Poppenreuth mit Unterstützung der Gemeinde, und Diakoneo beginnt demnächst mit dem Bau einer neuen Kindertagesstätte in Barthelmesaurach.

Was waren die größten Investitionen?

Walter Schnell: Ich habe immer gesagt: 16 starke Dörfer ergeben eine starke Gemeinde. Etwa bei der Gestaltung der Dorfplätze ist ganz viel passiert. Am meisten Geld ist aber in den Kanalbau wie den Aurachtalsammler geflossen. In den letzten Jahren haben wir in acht Dörfern Kanalleitungen im Trennsystem gebaut. Leider sieht man davon am wenigsten.

Sie sind Kammersteins erster hauptamtlicher Bürgermeister geworden. War auch das ein Schlüssel zum Erfolg?

Walter Schnell: Mein Vorgänger Egon Braun hat ganz Wichtiges beim Zusammenführen der Gemeinde nach der Gebietsreform 1978 geleistet, als die heutige Gemeinde Kammerstein aus den alten Gemeinden Kammerstein, Barthelmesaurach und Volkersgau entstand. Neben dem Beruf war das schwierig. In den Amtsstuben der Bürgermeister gab es nur Teilzeitkräfte. Der Aufbau einer Verwaltungsgemeinschaft war eine große Aufgabe. Heute hat die Gemeinde über 50 Mitarbeiter, da braucht man einen Chef. Ich habe die Gemeinde immer wie mein eigenes Unternehmen geführt.

War es auch ein Vorteil, dass Ihr Vater Leonhard lange Jahre Kammersteins Bürgermeister war? Sie sind ja quasi in die Kommunalpolitik hineingewachsen.

Walter Schnell: Das war ein großer Vorteil. Lebenserfahrung ist durch nichts zu ersetzen. Als Gemeinde- und Kreisrat kannte ich auch schon die Themen, die Strukturen und viele Menschen.

Bei zwei Themen gab es in der Gemeinde hochemotionale Debatten. Das erste war die große Hühnermast, die einige Landwirte bauen wollten, viele Bürger aber ablehnten. Eine Zerreißprobe für Sie?

Walter Schnell: Als Bürgermeister habe ich die Interessen des Gemeinwohls zu vertreten. Natürlich habe ich mir bei einigen uneinsichtigen Landwirten nicht nur Freunde gemacht. Heute wird meine damalige Haltung verstanden. Man kann es nicht jedem recht machen.

Und dann war noch das Thema Schule. Das war das erste Mal, dass der Gemeinderat Ihnen bei einem wichtigen Thema nicht gefolgt ist. Die Gemeinde war nach zwei Bürgerentscheiden gespalten. Wie sehen Sie das im Rückblick?

Walter Schnell: Ich will da nicht mehr nachkarteln. Das war in einer Zeit, in der ich mich in den Meinungsbildungsprozess nicht so habe einbringen können, weil meine Frau bereits todkrank war. Wichtig ist jetzt, dass wir eine gute Lösung haben, die ich anfangs auch schon vorgeschlagen hatte: den Neubau in Kammerstein und den Erhalt der Schule in Barthelmesaurach.

Gibt es etwas Wichtiges, was Sie nicht erreicht haben?

Walter Schnell: Meine Vision war ein neues Gemeindezentrum zwischen Kammerstein und Barthelmesaurach im Bereich des alten Chausseehaus-Geländes mit einer Schule und Sportanlagen für beide Vereine. Aber da fehlte auf allen Seiten die Unterstützung, was auch in Ordnung ist. Jetzt haben wir andere gute Lösungen, wie aktuell das neue Bürgerhaus zeigt.

Immer mehr Kommunalpolitiker werden beleidigt und sogar bedroht. Ist das Bürgermeisteramt schwieriger geworden?

Walter Schnell: Die gestiegene Aggressivität ist deutlich spürbar. Gerade in den sozialen Medien ist der Stil zum Teil unterste Schublade. Aber die Bereitschaft der Bürger, sich zu engagieren, ist ungebrochen. Und jetzt zum Schluss bekomme ich auch viele nette Briefe und Anrufe von Menschen, die sagen "Schod, dassd gehst". Das ist das größte Lob in Franken, und das tut auch gut.


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Wie darf man sich Walter Schnell als Pensionär vorstellen?

Walter Schnell: In der Kommunalpolitik bleibe ich im Kreistag und Bezirkstag aktiv. Auch in der evangelischen Landessynode engagiere ich mich weiter. Und dann sind da noch meine drei Enkel, der Garten und die Waldarbeit. Ich werde hoffentlich auch Zeit zum Lesen und Schreiben haben. Ich bin fit, all das werde ich genießen. Aber zunächst freue ich mich darauf, wenn wir hoffentlich bald wieder einen Biergarten besuchen und gemeinsam lachen können.

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