Boomtowns und Schrumpf-Citys

Roth/Schwabach: Welche Orte wachsen, welche schrumpfen?

5.9.2021, 07:04 Uhr
Für ein Bevölkerungswachstum braucht es Wohnraum - so wie er hier im Baugebiet auf dem Gelände der ehemaligen Stadtbrauerei in Roth entsteht.

© rot-4c-rhv-stadtbrauerei-wohnen-car-20210902-124223_app11_00.jpg, NN Für ein Bevölkerungswachstum braucht es Wohnraum - so wie er hier im Baugebiet auf dem Gelände der ehemaligen Stadtbrauerei in Roth entsteht.

Wie viele Einwohner könnte meine Gemeinde in Zukunft haben? Wie hoch wird dann voraussichtlich das Durchschnittsalter sein? Wie entwickeln sich einzelne Altersgruppen in den kommenden Jahren? Wo steht meine Gemeinde im Vergleich zum Landkreis und zum Regierungsbezirk? Diese und weitere Fragen zum demografischen Wandel beantwortet das Landesamt für Statistik im Demografie-Spiegel für Gemeinden anhand von Tabellen, Grafiken und Karten. Alle drei Jahre werden sie fortgeschrieben.

Der aktuelle Demografie-Spiegel zeigt die Bevölkerungsprognose für die Region Roth-Schwabach vom Jahr 2019 bis 2039.

Der aktuelle Demografie-Spiegel zeigt die Bevölkerungsprognose für die Region Roth-Schwabach vom Jahr 2019 bis 2039. © NN-Infografik

Die neueste Erhebung wurde dieser Tage veröffentlicht. Für jede einzelne bayerische Gemeinde prognostiziert sie die Entwicklung bei Kindern und Jugendlichen, der Bevölkerung zwischen 18 und 65 Jahren sowie bei den Senioren in Zahlen und stellt sie als Graphiken dar. Der „Demografie-Spiegel“ sei jedoch nicht die Bibel, sondern eine Arbeitsgrundlage für jede Gemeinde, betont Statistiker-Chef Thomas Gößl.

Der aktuelle Demografie-Spiegel zeigt erhebliche Unterschiede auf. Fazit: Bei mehr als der Hälfte der Gemeinden und Städte in Bayern sei mit einem Bevölkerungswachstum zu rechnen. Die Einwohnerzahl Bayerns wird demnach bis zum Jahr 2033 auf 13,5 Millionen Menschen anwachsen – das ist ein Plus von 2,6 Prozent verglichen mit der Gesamtbevölkerungszahl im Jahr 2019.

Weniger Wachstum in Bayern

Doch nicht alle Kommunen im Freistaat werden sich über mehr Einwohner freuen: Nach der Prognose der Statistiker wird etwa ein Drittel der Gemeinden einen Bevölkerungsrückgang erleben. Während die Gesamtbevölkerung Bayerns von 2005 bis 2019 noch um 5,3 Prozent wuchs, wird bis zum Jahr 2033 nur noch ein Zuwachs von 2,6 Prozent auf dann fast 13,5 Millionen prognostiziert. Zugleich wird die Bevölkerung immer älter. Während im Jahr 2019 noch 20,5 Prozent der Bayern mindestens 65 Jahre alt waren, werden es 2033 schon 25,5 Prozent sein.

„Diese Entwicklungen sind nicht in Stein gemeißelt und können sich zum Beispiel durch die Ausweisung neuer Baugebiete ändern. Sie sind aber ein wichtiges Steuerungs- und Planungsinstrument für künftige Entscheidungen in den Kommunen“, betonte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann bei der Vorstellung des Zahlenwerks.

Die aktuellen Bevölkerungsvorausberechnungen sind jedoch lediglich als Modellrechnungen zu verstehen, die die demografische Entwicklung unter bestimmten Annahmen zu Geburten, Sterbefällen und Wanderungen in die Zukunft fortschreiben. Die Annahmen beruhen überwiegend auf einer Analyse der bisherigen Verläufe dieser Parameter. Vorausberechnungen dürften also nicht als exakte Vorhersagen missverstanden werden, so die Statistiker. „Sie zeigen aber, wie sich eine Bevölkerung unter bestimmten, aus heutiger Sicht plausiblen Annahmen entwickeln könnte.“

Gewinner und Verlierer

Heruntergebrochen auf den Großraum Nürnberg: In Nürnberg selbst ist das Bevölkerungswachstum nahezu gestoppt. Hier wird bis zum Jahr 2033 sogar ein minimales Minus von 0,1 Prozent auf dann 518.040 Einwohner erwartet. Erlangen soll immerhin noch von 112.530 auf 114.100 Einwohner anwachsen, Fürth sogar von 128.500 auf 134.960 und Schwabach von 41.000 auf 42.800.

Eine Überraschung ist das voraussichtliche Wachstum in Schwabach nicht. Die Entwicklung liegt im Trend der vergangenen Jahrzehnte. 1960 hatte die Einwohnerzahl bei rund 26.400 gelegen. Seitdem ging es immer nach oben. 2015 wurde die Marke von 40.000 überschritten. „Die Entwicklung zeigt, dass Schwabach als attraktiver Wohnort gilt“, sagt Oberbürgermeister Peter Reiß. „Ein moderates Wachstum ist durchaus erstrebenswert. Gleichzeitig ist es immer eine Herausforderung, auch die entsprechende Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, vor allem Kitas, Schulen, aber auch Senioreneinrichtungen.“

Ein gutes Beispiel sei Wolkersdorf. „Dort entsteht am Unteren Grund ein neues Wohngebiet. Und darin ist auch eine neue Kita vorgesehen“, erklärt Reiß. Stehen aber langfristig überhaupt genug Wohngebiete dem wachsenden Angebot gegenüber? Schließlich ist Schwabach flächenmäßig sehr begrenzt.

Genug Wohngebiete geplant

Die Stadt verweist auf die Planungen auf dem ehemaligen Niehoff-Gelände, im Bereich Wiesen- und Herderstraße sowie in Forsthof-Süd. „Nach Einschätzung des Bauamts reicht das“, erklärt Pressesprecher Jürgen Ramspeck. „Wir fühlen uns gut gerüstet“, betont Peter Reiß. „Wir können und wollen auch nicht die Zugbrücke hochziehen, dann würde die Stadt unattraktiv.“

Künftige Boomgemeinden im Landkreis Roth sind im Hinblick auf den Bevölkerungszuwachs laut Statistik die Gemeinden Hilpoltstein (von aktuell 13.731 auf 14.800 im Jahr 2039) und Allersberg (von 8374 auf 9000). Eine Stagnation weist das Zahlenwerk für die Kreisstadt Roth und für die Gemeinden Heideck und Spalt aus. Besonders auffällig sind laut Statistik die rückläufigen Bevölkerungszahlen für Wendelstein (15.800 auf 15.500) und Röttenbach (3100 auf 2900).

„Boomtown-Bürgermeister“ Markus Mahl verweist auf die hervorragende Lage von Hilpoltstein hinsichtlich der Straßen- und Bahnanbindungen in die Großräume Nürnberg und Ingolstadt. Zudem würden die hervorragende Infrastruktur, die neuen Baugebiete, die Vereinsvielfalt und das Kulturangebot und nicht zuletzt das Freizeitangebot durch den Rothsee und die Anbindung an das überregionale Radwegenetz für Hilpoltstein als attraktiven Wohnort sprechen. „Wir als Stadt haben in den vergangenen Jahren viel dazu beigetragen, dass es sich in der Burgstadt gut arbeiten und wohnen lässt.“

Die Bevölkerung altert

Auf der anderen Seite schlägt in der Statistik die immer älter werdende Bevölkerungsstruktur auch auf Hilpoltstein durch. Älter als 65 Jahre sind demnach aktuell 2400 Personen, 2039 sollen es 4000 Frauen und Männer sein. „Diesen Trend, der nicht spezifisch Hilpoltstein betrifft, haben wir schon lange erkannt und darauf reagiert. So gibt es einen Seniorenbeirat, der sich um die Belange der älteren Mitbürger kümmert. Ferner haben wir den Plan für ein altersübergreifendes Wohnen auf unserer Agenda. Hilpoltstein ist auch beteiligt am seniorenpolitischen Gesamtkonzept des Landkreises. Bei jedem Gebäude, das wir planen und bauen, legen wir Wert auf Barrierefreiheit.“

"Boomtown" Allersberg? Hier wird gerade das Baugebeit St. Wolfgang erschlossen.

"Boomtown" Allersberg? Hier wird gerade das Baugebeit St. Wolfgang erschlossen. © Reinhold Mücke, NN

Auch Mahls Bürgermeisterkollege Daniel Horndasch aus Allersberg spricht von „Aufbruchstimmung“ und vorausschauenden Planungen, die dazu beigetragen hätten, dass Allersberg als Wohn- und Arbeitsort immer beliebter werde. Bieten könne die Marktgemeinde nicht nur kurze Wege in die Metropolregion. Die Lage an Autobahn und an Bahntrasse Nürnberg-München mit einer Haltestelle Allersberg spreche zudem für sich. Geplante Baugebiete wie Keinzel II und Am St. Wolfgang böten zudem gerade für Familien attraktive Wohnmöglichkeiten. Zudem ließen die Ausweisungen von neuen Gewerbegebieten erkennen, dass der Standort Allersberg für Betriebsansiedlungen geradezu ideal sei.

Die Marktgemeinde denkt aber auch an die älteren Mitbürger. Horndasch verweist hierbei auf die beiden Projekte für Betreutes Wohnen „Am Palmengarten“ und am „Alten Bahnhof“. „Wir haben schon in der Vergangenheit mit vorausschauenden Beschlüssen dafür gesorgt, dem demografischen Wandel erfolgreich zu begegnen.“

Unzulängliche Statistik?

Einwohner-Stagnation in der Kreisstadt Roth? „Es handelt sich lediglich um eine Modellrechnung auf Grundlage der Werte vergangener Jahre. Darauf basierend waren die Einwohnerzahlen für Roth schon immer relativ gleichbleibend prognostiziert, in der Realität haben wir in den vergangenen zehn Jahren aber einen Zuwachs von über 1000 Personen mit Erstwohnsitz zu verzeichnen gehabt“, erläutert Bürgermeister Ralph Edelhäußer. Auch seien die durchschnittlichen Geburtenzahlen der in Roth wohnhaften Kinder von 180 bis 200 auf stabile 250 Kinder pro Jahr angestiegen.

Aus Edelhäußers Sicht nicht berücksichtigt sind in der Statistik Projekte, die die Stadt bereits angestoßen habe und die noch kommen werden. „Beispielsweise die Ausweisung von neuen Wohnbaugebieten, wie an den Baumgartenwiesen, bald auch an der Zwillach in Eckersmühlen. Geplant sind zudem die Entwicklung des Leoni-Areals, sobald die Firma vollständig umgezogen ist. Für das Gebiet Westring-West und die Abenberger Höhe existiert eine Rahmenplanung, die bis 2039 aktuell werden wird.“ Von dem her rechnet Roths Bürgermeister, anders als das Statistische Landesamt, mit einer deutlich positiven Bevölkerungsentwicklung – und „dieser Trend wird bis 2039 auf jeden Fall anhalten“.

„Es werden weiterhin junge Familien zuziehen, sodass die Zunahme älterer Menschen zumindest prozentual nicht so ins Gewicht fallen wird, wie prognostiziert. Die Grafiken zeigen auch, dass wir mit dieser Zunahme der älteren Bevölkerung im Landkreis genau im Durchschnitt liegen. Dennoch sind bei allen genannten Wohn-Projekten bis auf das Gebiet an der Zwillach bereits seniorengerechte Wohnformen explizit vorgesehen, um der demografischen Entwicklung hier durch vorausschauende Planung zu begegnen“, sagt Edelhäußer.

Senioren im Fokus

Verwiesen wird auch darauf, dass die Stadt Roth schon länger eine Seniorenbeauftragte hat, die sich „mit viel Engagement um niederschwellige Angebote für Senioren kümmert aber auch Aufklärung betreibt, wie zuletzt beispielsweise anlässlich der Woche der Demenz“. Und: „Immer mal wieder führen wir mit Betroffenen auch einen Stadtrundgang zur Barrierefreiheit durch, um auch in der Stadtplanung auf Ältere und Menschen mit Behinderung

Laut Statistik schaut es für die Gemeinde Röttenbach hinsichtlich der Bevölkerungsentwicklung eher düster aus. Ausgewiesen wird ein Einwohnerrückgang um rund 200 auf 2900. „Das lässt mich dennoch ruhig schlafen“, sagt Bürgermeister Thomas Schneider. Denn: „Das Landesamt lag schön öfter daneben“, schmunzelt er. Seiner Meinung finde sich die tatsächliche Entwicklung im Demografie-Spiegel nicht wieder.

Das liege letztlich am Berechnungsmodell. So sei die Bevölkerung in den vergangenen Jahren nahezu um 25 Prozent gestiegen, laut den Statistikern hätte sie sinken oder bestenfalls stagnieren müssen. „Als ich 1996 erstmals zum Bürgermeister gewählt wurde, sind rund 1400 Einwohner gelistet gewesen, aktuell sind 3100.

Nachverdichtung schlägt sich nieder

Nachverdichtung ist vor Ort ein wichtiges Thema, ebenso der Geschosswohnungsbau. So würden beispielsweise im Süden Mühlstettens im Baugebiet „Am Lärchenfeld“ künftig fast so viele Ein- wie Mehrfamilienhäuser entstehen. Schneider erwartet folglich in den kommenden drei Jahren einen Einwohnerzuwachs von 300 Personen. „Der Standort Röttenbach hat an Anziehungskraft gewonnen. Wir müssen keine Werbemaßnahmen mehr im Ballungsraum in Gang setzen wie noch vor ein paar Jahren. Junge Familien von außerhalb stellen von sich aus vermehrt Anfragen nach geeignetem Wohnraum bei der Gemeinde.“

Schneider erwartet also in den kommenden Jahren weder einen Rückgang der Einwohnerzahlen noch eine Stagnation. „Wir werden eher ein Plus an Einwohnern vorweisen können“. Die Pandemie hätte auch dafür gesorgt, dass das Landleben wieder attraktiver gesehen werde. Die Standortfaktoren seien nicht von der Hand zu weisen: „Mit dem Auto kann man den Brombachsee in fünf bis sechs Minuten erreichen, über die B2 gelangt man in gut 20 Minuten nach Nürnberg, mit dem Zug in 26 Minuten“.

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