Schuberts "Winterreise" in Spalt: Von Exil zu Exil

3.4.2017, 05:45 Uhr
Schuberts

© Foto: Jürgen Leykamm

So setzt man sich also kurz vor Ostern mit einer kalten Welt auseinander. Mit der Erstarrung des Lebens, der nur die eigene Bewegung, die Reise entgegengehalten werden kann, wie die Lichteffekte im Gotteshaus verdeutlichen.

Da malen die Scheinwerfer virtuelle Fresken an die Decke, die dort buchstäblich zu gefrieren scheinen, ehe sie sich weiter drehen. Auch der Altarraum erscheint in eigenartigem Leuchten, das geheimnisvoll interagiert mit den Bildern, die auf einer großen Leinwand zu sehen sind. Sie zeigen Aufnahmen aus dem Spalter Land im Winter, aber auch alte Menschen, die im Winter des Lebens angekommen sind. Die meisten Werke stammen vom Spalter Fotografen Harald Stengel, der sogar eine gerade zufrierende Seifenblase mit der Kamera eingefangen hat.

Auch aus einem bloßen winterlichen Wegweiser "Spalt – Massendorf" an einem Waldweg wird ein idyllisches Kunstwerk. Eine von Schneetreiben umhüllte steinerne Sitzgruppe in einer Lichtung, eine mit Schneeflocken bedeckte Rosenblüte oder Islands Mitternachtssonne, die durch die runde Aussparung einer Eisscholle funkelt: Die Aufnahmen allein hätten schon für einen erfüllten Abend gereicht.

Doch hier unterstreicht alles, was das Auge erfasst, Schuberts Lieder selbst. Mit teils emotionaler Wucht gesungen werden sie vom Nürnberger Tenor Thomas Fahner, der fast nicht zu sehen ist, da er selbst unbeleuchtet bleibt — wie sein Pianist Stefan Wechsler aus Spalt und Kristin Langos, Pastoralassistentin der Pfarreien im Spalter Land, die die "Winterreise" mit der katholischen Erwachsenenbildung (KEB) Roth-Schwabach veranstaltet.

Langos setzt die verbalen Impulse, streut die Entstehungsgeschichte des Liederzyklus über einen ruhelosen Wanderer ein und nimmt den Besucher behutsam an der Hand beim schwierigen Durchstreifen der eigenen dunklen Seelenregionen, aus denen das Gefühl des Fremdseins kontinuierlich quellen will. Es ist die Heimatlosigkeit, die den Menschen von Geburt an von Exil zu Exil irren lässt, bis der Tod der Seele Asyl gewährt. So lässt die Sprecherin einen Dichter zu Wort kommen.

Doch Langos beleuchtet mit den Wortbeiträgen auch die innere Reise des Winters selbst. Von jemand, der früher einmal Zähne klappern ließ, zu jemandem, der heutzutage stattdessen das Klappern der Lifte hört. Aber auch die Zeiten, in denen die eigene "Entscheidungsfreude einfriert", kommen zur Sprache.

Immer wieder taucht die Frage auf: "Bin ich fremd in meinem eigenen Leben?" Diese Frage durchleiden etwa an Alzheimer Erkrankte und ihre Angehörigen täglich, wie in einem der Texte zum Ausdruck kommt.

Darin kommen existenzielle Bedrohungen zu Wort, die das Schicksal grausam wahr macht: Der Lungenkrebs, der Theaterregisseur Christoph Schliengensief das Leben nimmt, das Konzentrationslager als menschenverachtende Endstation für ein 18-jähriges jüdisches Mädchen.

Für die Lebenden bleibt die Frage des Wanderers, die er sich am Ende der Reise bei der Begegnet mit einem Leiermann stellt: "Soll ich mit Dir geh'n?" Verharrt man im "existenziellen Lamento" (Langos), oder geht man einen neuen Weg? So die Botschaft nach der Veranstaltung, die mit minutenlangem Applaus und einzelnen Bravo-Rufen belohnt wird.

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