Roth ausgewählt für Uni-Projekt

Tabuthema Demenz: Wer und was kann Angehörigen helfen?

13.8.2021, 15:00 Uhr
Schlager aus seiner Jugend werden auf diesem Archiv-Foto einem 95jährigen an Demenz erkrankten Patienten in der Kreisklinik auf einem Tablet-Computer vorgespielt.

© Tobias Tschapka, NN Schlager aus seiner Jugend werden auf diesem Archiv-Foto einem 95jährigen an Demenz erkrankten Patienten in der Kreisklinik auf einem Tablet-Computer vorgespielt.

Manchmal, ganz selten, lacht ihr Mann noch. Unvermittelt. Unbegründet. „Das ist schön – aber zu selten“, sagt Monika. So soll sie hier heißen. Denn sie spricht über ein Tabuthema. Das ist Demenz immer noch, die Angehörigen sollen unerkannt bleiben. Aber sie bekommen eine Stimme: Beim „Rathausgespräch für pflegende Angehörige“ in Roth sind sie dabei.

Sie erzählen von der Krankheit, vom „Müssen“, das jeden Tag auf ihnen als Partner, Sohn oder Tochter lastet. Von ihren Gefühlen, die sie haben, wenn der geliebte Mensch allmählich „verschwindet“. Und davon, was ihnen fehlt, welche Hilfe sie brauchen, um nicht selbst kaputt zu gehen unter der Last.

Projekt der Universität Heidelberg

Das Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg hat ein Projekt auf die Beine gestellt: Pflegende Angehörige von Demenzkranken sollen wirksam entlastet werden. Gelingen kann das nur, wenn man weiß, was ihnen hilft, und wenn Unterstützer gesucht und gefunden werden. Das Institut will das Thema „in die Mitte der Gesellschaft tragen“, also in die Stadt.

Mit bundesweit 20 Kommunen hat die Universität Kontakt aufgenommen und sie in das Projekt eingebunden. Dass die Stadt Roth zu diesen wenigen Städten gehört – in Bayern ist nur noch Gauting dabei – freut die städtische Seniorenbeauftragte Brigitte Reinard ganz besonders, denn der Umgang mit Demenz ist ihr seit Beginn ihrer Arbeit vor fünf Jahren „ein wichtiges Anliegen“.

So kommt es, dass sich zum – coronabedingt digitalen – Rathausgespräch mit der Heidelberger Projektleiterin, der Gerontologin Dr. Stefanie Wiloth, Betroffene in jeder Hinsicht treffen. Da sind die drei pflegenden Angehörigen, deren Namen wir geändert haben – neben Monika noch Ester, die Tochter einer dementen 83-Jährigen, und Peter. Seine Ehefrau ist seit 2017 und nach mehreren Operationen „schleichend“ in die Demenz geglitten. Sie erzählen von ihren Erlebnissen und ihrer Hilflosigkeit nicht nur gegenüber der Krankheit, sondern auch gegenüber den Krankenkassen, Behörden und Einrichtungen.

„Eine wahnsinnige Herausforderung“

Zugeschaltet sind deshalb die Akteure in der Stadt: ein Hausarzt, die Vertreterin eines Sportvereins, der Volkshochschule, des Pflegestützpunktes, der Stadt und des Landratsamtes. Sie sollen mit diesem Forum die Gelegenheit bekommen, „Ideen zu entwickeln, um das Tabuthema neu zu diskutieren und die Familienpflege von Demenzkranken zu erleichtern“, wie Projektleiterin Wiloth hofft. Denn die Krankheit, die in unserer alternden Gesellschaft immer gegenwärtiger wird, bedeutet tatsächlich „eine wahnsinnige gesellschaftliche Herausforderung“, wie Bürgermeister Ralph Edelhäußer sagt.

Es fängt schon beim Geld an: Monika berichtet, dass sie das Glück hat, sich eine 24-Stunden-Kraft leisten zu können – allerdings nicht mehr, wenn sie 9,60 Euro Mindestlohn für 24 Stunden täglich bezahlen muss. Was dann, überlegt die 77-Jährige. „Ohne sie wäre ich aufgeschmissen.“

Kurze Auszeiten zum Krafttanken

Peter erzählt, dass er für seine zunehmend orientierungslose Frau, die seit zwei Augen-Operationen auch nicht mehr gut sehen kann, längst die Hausarbeit übernimmt. „Ich bin Lehrling“, gesteht er. Gerade sucht er nach einer Tagespflege für seine Frau. Welche ist am geeignetsten? Wohin kann man sich wenden? Ein Ansprechpartner wäre gut, der die Situation kennt und Ratschläge geben kann. Auch die kurzen Auszeiten, die er sich zwei Mal wöchentlich gönnt – „zum Walken in den Wald“ – seien elementar wichtig, um wieder Kraft zu tanken.

Nicht nur körperlich und organisatorisch immer am Limit der Belastbarkeit, sondern „tief traurig“ sind die Angehörigen. „Mein Ansprechpartner fehlt mir“, sagt Monika. Kommunikation ist nicht mehr möglich: „Ich verstehe ihn nicht, er versteht mich nicht mehr.“

Ester ist froh, dass die Demenz ihrer Mutter noch nicht so weit fortgeschritten ist. Die 83-Jährige kann noch einfache Tätigkeiten übernehmen. „Zwiebeln schälen, Briefe eintüten – das macht sie.“ Aber natürlich weiß sie: Es ist absehbar, dass mehr Hilfe nötig ist.

Angehörigen in ihrer Traurigkeit helfen

Für die Vertreter der Gesellschaft wird bei dem Gespräch klar: Es gibt zwar schon zahlreiche Angebote. So berät zum Beispiel Petra Lobenwein vom Pflegestützpunkt Angehörige mit Demenz und leitet Gesprächsgruppen – nicht zuletzt wegen der eifrigen Arbeit vor Ort ist Roth als Kommune in das Projekt der Heidelberger Uni aufgenommen worden. Aber die Angebote sowohl für Angehörige als auch für die Betroffenen selbst müssen noch mehr und noch vielschichtiger werden.

Den Angehörigen in ihrer Traurigkeit helfen, Kraftquellen bieten und klarere Tipps von Profis – auf die drei wichtigen Schlagworte fokussiert sich Ottilie Tubel-Wesemeyer, die am Landratsamt den Bereich Senioren und Soziales leitet. Astrid Elsel von der TSG 08 Roth will auch Menschen mit Demenz eigene Sportangebote machen. Und Melanie Hanker vom Bereich Kultur und Bildung bei der Stadt Roth kann sich vorstellen, dass man deutlich mehr „kleine Auszeiten“ für pflegende Angehörige anbieten kann.

Kooperieren will man auch mit Vhs-Leiterin Petra Winterstein. „Gerade Musik und Bewegung sind ganz wichtig für Menschen mit Demenz“, weiß Brigitte Reinard. Die Seniorenbeauftragte setzt bereits Ideen um, die Betroffenen und Angehörigen helfen. „Aber es bringt nichts, wenn jeder was eigenes anbietet. Die Parallelstrukturen müssen aufhören.“ Also müssen Netzwerke geknüpft und Treffen vereinbart werden, mahnt Hausarzt Dr. Jürgen Büttner an.

Ein erstes ist bereits terminiert: Am 14. September treffen sich die städtischen Akteure im Rahmen des Universitäts-Projekts. Dann geht die Arbeit weiter.

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