Sportliche Bildungskoordinatorin

Triathletin Christine Waitz: Vom Sattel in den Sessel

20.6.2021, 14:00 Uhr
Christine Waitz kümmert sich seit April als neue Bildungskoordinatorin des Landkreises um die Verbesserung der Bildungsqualität vor Ort. Dabei sieht sie sich als Netzwerkerin.

© Tobias Tschapka, NN Christine Waitz kümmert sich seit April als neue Bildungskoordinatorin des Landkreises um die Verbesserung der Bildungsqualität vor Ort. Dabei sieht sie sich als Netzwerkerin.

Frau Waitz, ich hab´ da dieses Zitat gefunden: „Ein Zeichen von Bildung ist der Gebrauch von Fremdwörtern“. Überhaupt tue sich ein „gebildeter Mensch“ durch das Beherrschen einer Fremdsprache hervor. Entscheidendes Merkmal sei aber, dass er eine „höhere Schule“ durchlaufen habe. Wie bewerten Sie als neue Bildungskoordinatorin des Landkreises Roth eine solche Definition?
Interessante Frage! Mir fällt dazu ein persönliches Erlebnis ein: Vor meinem Studium an der Nürnberger Akademie der Bildenden Künste habe ich ein praktisches Jahr bei einer Schneidermeisterin absolviert. Wir arbeiteten damals an einem Projekt, für das meine Chefin spontan keine Lösung hatte. Mir war aus meiner Laien-Perspektive relativ schnell klar, wie´s funktionieren könnte. Ich hab´ ihr das gezeigt, sie war begeistert, meinte aber: „So macht man das eigentlich nicht!“
Was ich damit sagen will: Bildung sollte Menschen befähigen, Dinge zu reflektieren. Dazu braucht man nicht unbedingt vorgegebene Wege zu beschreiten oder einen entsprechenden Abschluss in der Tasche zu haben. Manchmal ist es besser, offen an etwas heranzugehen. Es muss die Chance geben, dass man sich und seine Talente beweisen darf.

Das ist heute aber nicht unbedingt das hervorstechendste Merkmal von Bildung ...
Bildung wird tatsächlich meistens als ein Papier verstanden, als Abschluss. Andererseits existieren zahlreiche Möglichkeiten, um zu einem individuellen Ziel zu gelangen ...

Ich geb´s übrigens zu: Die einleitenden Worte sind ziemlich angestaubt. Sie stammen von einem Pädagogen namens Paulsen anno 1903. Dass Bildung bürgerliche Schichten voneinander trennt und gesellschaftliche Chancen transportiert - daran hat sich aber kaum etwas geändert, oder?
In vielen Fällen macht es den Anschein, ja. Und während Corona scheint ein weiterer Rückschritt passiert zu sein. Es gibt Kinder und Jugendliche, die jede Menge Unterstützung beim Homeschooling hatten. Es gibt aber auch die, die Schiffbruch erlitten haben – nicht selten aufgrund von Sprachbarrieren. Wir werden wohl erst in einigen Jahren merken, was das alles nach sich zieht.

Wie kommen Sie dabei ins Spiel? Was ist – aus der Perspektive gesellschaftlicher Chancengleichheit betrachtet – Ihre Aufgabe im neuen Job?
Neben meiner Arbeit hier bin ich zurzeit parallel für die pädagogische Leitung der Ganztagsbetreuung an der Anton-Seitz-Mittelschule zuständig. Da kriegt man einiges mit und es liegt mir sehr am Herzen, die Bedürftigkeiten junger Menschen aufzugreifen.
Manche müssen von Anfang an mit Bedingungen klar kommen, die man sich für ein Kind nicht wünscht. Von daher wird eine zentrale Frage meiner Tätigkeit sein: Wie kann man in solchen Fällen einwirken?
Ich bin sicher nicht die Erste und Einzige, die sich darüber Gedanken macht. Doch ich sehe mich in einer Netzwerkerposition, in der ich möglichst viele Kontakte herstellen kann, um zu verstehen, was da draußen läuft und um gemeinsam mit anderen entsprechende Hebel anzusetzen.

Ein Stück weit wollen Sie also die Welt retten?
Ich bin Pragmatikerin und weiß, dass das leider nicht geht. Aber im Sport und bei meinen pädagogischen Aktivitäten, die immer damit verbunden waren, habe ich die Erfahrung gemacht, dass man Menschen auf vielen Ebenen unterstützen kann. Vor allem, wenn es darum geht, etwas zu schaffen. Etwas, das ein anderer oder man selber nicht von sich erwartet hätte. Ich kenne das. Mir wurde nämlich oft genug erzählt: ´Ich glaube kaum, dass du das hinkriegst!` Doch bloß, weil´s jemand sagt, heißt das noch lange nicht, dass es auch so ist.

Ich hab´ mal gespickt: Auf der Seite des Landratsamtes steht, Sie sollen Übergänge gestalten – etwa den von der Kita in die Klasse, Sie sollen Schule und Gesellschaft besser vernetzen, jungen Menschen in besonderen Lebenslagen helfen, die Bürgergesellschaft stärken und den demografischen Wandel gestalten. Das sind ehrgeizige Ziele. Und vor allem viele ...
Wie gesagt: Ich sehe meinen Posten als Netzwerkerstelle, ich bin nicht allein. Sicher werde ich viel mit Institutionen, Ämtern oder Einrichtungen zusammenarbeiten – vom Jugendamt und dem Kreisjugendring, über die Ehrenamtskoordination und kulturelle Einrichtungen bis hin zu Schulen und Kitas. Die Bildungsregion ist eine Schnittstelle.
Außerdem existieren Arbeitskreise, die unterschiedliche Schwerpunkte im Fokus haben: die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die kulturelle Bildung, Schule und Wirtschaft oder Sozialkompetenzen.

Sind Sie schon aktiv geworden oder befinden Sie sich noch in der „Einlesephase“?
Ich durfte tatsächlich schon zwei Aktionen stemmen, für die aber maßgeblich mein Vorgänger Michael Buchholz und besagter Arbeitskreis ´Vereinbarkeit Beruf und Familie` die Vorarbeit geleistet haben: zum einen die erneute Organisation der gemeinsamen Sommerferien-Betreuung für Kinder von Angestellten des Landratsamtes, der Kreisklinik, der Sparkasse und des BRK.
Zum anderen fand kürzlich ein Online-Vortrag mit Professor Gesterkamp statt. Das Thema hieß 'Familie und Schule in Zeiten von Corona'. Vor diesem Hintergrund könnte ich mir übrigens gut vorstellen, dass sich Interessierte zusammenfänden, um gemeinsam eine Art Corona-Bestandsaufnahme im Landkreis zu machen: Welche Probleme sind entstanden? Und vor allem: Wie können wir sie vor Ort angehen? Ich wäre dafür absolut offen - Anruf unter (0 91 71) 81 13 07 genügt!

Nun verbindet man Ihren Namen ja weniger mit einem Bürosessel als vielmehr mit einem Fahrradsattel. Sie sind gewissermaßen die „Vorzeigetriathletin“ des Landkreises. Was hat Sie bewogen, das eine gegen das andere zu tauschen – außer vielleicht, dass Sie zur Arbeit radeln können?
Ich bin immer noch Sportlerin, inzwischen allerdings weniger aktiv. Ich finde aber, dass sich vieles aus dem Sport gut in den neuen Beruf transferieren lässt. Vor allem die Frage: Wie baue ich Selbstbewusstsein auf? Das war immer ein Element meiner Tätigkeit als Coach.

Wird die Bildung im Landkreis Roth jetzt sportlicher?
Nein, das nicht. Aber „Resilienz“ ( = Widerstandsfähigkeit in schwierigen Situationen, Anm. d. Red.) ist zum Beispiel etwas, das im Sport unglaublich viel zählt. Inzwischen gilt diese Kompetenz als Dauerbrenner in allen Bereichen. Ich habe einschlägige Erfahrungen am eigenen Leib gesammelt: Wie kann man Einflüsse, die auf einen niederprasseln, auffangen und flexibel mit ihnen umgehen? Auch das will ich vermitteln.
Kurz gesagt: Ich würde gern pragmatische Lösungen für vorliegende oder auftretende Probleme im Bereich Bildung finden. Im Miteinander. Und ohne viele Fremdwörter.

BIOGRAFIE.
Christine Waitz (36) ist in Roth geboren und aufgewachsen. Sie absolvierte ein Studium der Kunstpädagogik an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg, bevor sie sich im Bereich Sport-Marketing und Coaching selbstständig machte. Bekannt wurde sie aber durch ihre sportlichen Erfolge: zweifache Altersklassenweltmeisterin beim Ironman Hawaii, Deutsche Triathlonmeisterin in der Langdistanz, mehrfache Challenge-Finisherin in Roth, Vizeweltmeisterin im 24-Stunden-Mountainbikefahren. Seit April ist sie Bildungskoordinatorin im Landratsamt.

DIE BILDUNGSREGION.
Bildungsregionen gehen zurück auf eine Initiative des Freistaates von 2012. Seither gibt es sie vielerorts in Bayern. Ziel ist es vor allem, die Zukunft junger Menschen mit einem passgenauen Bildungsangebot vor Ort zu sichern. Einem Angebot, das es ihnen ermöglicht, Teilhabechancen zu ergreifen. Hierzu fördern Bildungskoordinatoren und -koordinatorinnen nicht nur die Vernetzung und Zusammenarbeit verschiedener Bildungsakteure und -akteurinnen, sondern initiieren und begleiten auch neue Projekte, um den Bildungsprozess nachhaltig voranzutreiben. Auf diese Weise sollen regionale Netzwerke und Strukturen entstehen, die einen Beitrag dazu leisten, gesamtgesellschaftliche Herausforderungen zu meistern. Der Landkreis Roth ist seit 2014 offiziell Bildungsregion.

Quelle: Bayerisches Kultusministerium

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