Zehnjähriger steckte im Morast fest

5.11.2010, 15:24 Uhr
Zehnjähriger steckte im Morast fest

© Elke Bodendörfer

Nein, diese Geschichte, hat sich nicht irgendwo in einer anonymen Großstadt zugetragen. Der Vorfall ereignete sich vor einer Woche, an einem kalten Herbsttag am Babenbachweiher am südlichen Stadtrand von Roth.

„Eigentlich wollte ich mich mit Freunden am Spielplatz hinter dem Weiher treffen, doch dann sah ich kleine Fischchen. Die wollte ich rausholen“, sagt Niklas Forster reumütig. Der Zehnjährige wohnt in dem Viertel um die Virchowstraße und so gehört auch der Weiher zu seinem „Spielrevier“. Normalerweise ist er voll Wasser und wird im Winter zum Schlittschuhlaufen genutzt. Doch am Freitag vor einer Woche wurde er abgelassen. Die Stadt Roth will ihn ausbaggern lassen, weil der als Regenrückhaltebecken genutzte Teich immer mehr versandet.

Das mit dem Fischen ging für Niklas allerdings mächtig in die Hose, weil er plötzlich in eine Art Schlickloch geriet. Er steckte bis zum Hintern im Morast fest und kam da aus eigener Kraft nicht mehr heraus. „Mein Bein war verdreht und tat schon weh“, erinnert er sich.

Zunächst versuchten vier Freundinnen ihn mit einem Seil rauszuziehen. Es ging nicht. Ein Freund holte schließlich seine Mutter zu Hilfe. Sie krempelte ihr Hose hoch, zog die Schuhe aus und watete durch den eiskalten Matsch. Sie kam bis auf einen Meter an den Jungen heran, blieb dann aber selbst stecken.

Das Geschehen blieb von Anwohnern und Passanten nicht unbemerkt. Eine Handvoll Menschen versammelte sich am Weiherrand und schaute nur zu. „Ich hab‘ die Leute angefleht zu helfen“, sagt Niklas’ Mutter Judith Forster. Doch keine Reaktion. Ein Mann meinte nur, er wiege über 100 Kilo und würde dann auch stecken bleiben. Einen Familienvater bat Judith Forster, dass er doch ein Brett holen solle, aber auch er unternahm nichts. Schließlich wurde Karin Klingberg, die mit ihren beiden Kindern ein Haus direkt am Weiher bewohnt, auf die Situation aufmerksam. Sie zog sich die Gummistiefel an und zögerte keine Sekunde. „Da gab es nichts zu überlegen“, erklärt sie im Nachhinein. Während Niklas dauernd verzweifelt rief: „Holt die Feuerwehr“, näherte sich Karin Klingberg vorsichtig dem kleinen Jungen und seiner Mutter. Auch ihr lief bald der Matsch über den Gummistiefelrand.

Mit bloßen Händen schoben die drei die oberste Schlammschicht beiseite. Als Judith Forster sich wieder einigermaßen bewegen konnte, zog sie zusammen mit der helfenden Nachbarin den mittlerweile schon ausgefrorenen Niklas aus dem Matsch. Und die Leute schauten weiterhin zu...

Über eine halbe Stunde war der Kleine im bitterkalten Schlamm festgesteckt, voller Angst und Panik. Nach einem heißen Bad in der Wanne, kam der kleine Dreckspatz schnell wieder auf die Beine, doch die seelischen Wunden sind noch nicht verheilt.

Vor allem seine Mutter kann es nicht glauben, dass bis auf Karin Klingberg niemand geholfen hat. Umso größer ist ihr Dank an die hilfsbereite Frau. Judith Forster fragt sich, warum nicht einmal große kräftige Männer in ihrer moralischen Verpflichtung so weit angetrieben werden können, einem kleinen Kind in Not zu helfen. „Wie weit ist unsere Weg-Schau-Gesellschaft denn schon gekommen? Was ist, wenn im Winter jemand ins Eis einbricht?“ Erklärungsversuche sind schwierig. Doch es gibt diverse empirische Untersuchungen, die belegen, dass der Einzelne umso untätiger ist, je mehr potenzielle, einander unbekannte Helfer am Ort des Geschehens sind. Zugleich hofft jeder, der andere solle einschreiten, aber letzten Endes hilft niemand. Damit sich so ein Drama am Babenbachweiher nicht wiederholt, würde es Judith Forster gut heißen, wenn die Stadt entsprechende Warnhinweise aufstellte oder Absperrbänder an dem Gewässer anbrächte. Nur wenige Tage nach dem Vorfall machte Karin Klingberg bereits wieder zwei Buben, die in dem Weiher rumstapften, auf die Gefahr aufmerksam.

Christian Arnold, zuständig für die Gewässer der Stadt Roth, meint allerdings, dass Warnhinweise oder Absperrbänder Kinder nicht abschrecken würden. Außerdem soll der Babenbach-Weiher eh bald ausgebaggert werden. Dazu muss er aber noch etwas austrocknen.

Niklas hat jedenfalls seine Lehren aus der Geschichte gezogen und will nie mehr in einen abgelassenen Weiher steigen, so versichert er.ebo