Das "Queer Aurex" in Schwabach

Angenommen statt anzuecken: Ein Platz für queere Jugendliche

25.11.2021, 10:45 Uhr
„Queer Aurex“ heißt es jeden Montag von 17.30 bis 20 Uhr im Schwabacher Jugendzentrum in der Königstraße 20a. Für die meisten Gäste, die relativ regelmäßig reinschauen, ist das mehr als nur irgendein Jugendtreff. Denn hier ist ein diskriminierungsfreier Raum entstanden, wo alle sein dürfen, wer sie sind.

© Petra Bittner, NN „Queer Aurex“ heißt es jeden Montag von 17.30 bis 20 Uhr im Schwabacher Jugendzentrum in der Königstraße 20a. Für die meisten Gäste, die relativ regelmäßig reinschauen, ist das mehr als nur irgendein Jugendtreff. Denn hier ist ein diskriminierungsfreier Raum entstanden, wo alle sein dürfen, wer sie sind.

Dieses Starren! Auf der Straße, in der U-Bahn: „Sie glotzen, fotografieren oder filmen uns mit ihren Handys!“ Wenn Raven (17) und Tamara (20) als Paar unterwegs sind, kommen solche Szenen öfter vor. „Und du merkst so richtig, was in den Köpfen der Leute abgeht: ,Sind die zwei da lesbisch oder trans oder was’?“, erzählt die kleine Wut in Ravens Bauch.

Caro (13) erinnert sich indes noch genau, als sie zum ersten Mal Händchen haltend mit einer Freundin durch den Schwabacher Stadtpark lief: Lange habe es nicht gedauert, bis einer rief: „Dreckslesben!“, berichtet sie und senkt den Kopf.

„Ich war mein Leben lang das seltsame Kind“, sagt Noel (15). Qua Geburt dem weiblichen Geschlecht zugeordnet, sei das mit der sexuellen Orientierung zurzeit gar nicht so einfach, weil „verwirrend...“ „Aber eigentlich total egal“, meinen Alannah (21) und Samuel (25). Alannah definiert sich als demi-sexuell, die beiden haben vor kurzem zueinander gefunden.

So oder so. Wichtig ist, dass an Abenden wie diesen alles auf den Tisch darf. Wirklich alles. Ohne dass mit Spott, Häme, blöden Statements oder gar Diskriminierung zu rechnen wäre. Ganz im Gegenteil. Das, was hier zurückkommt, nenne sich „echtes Verständnis“, garantiert Carolin Hannamann. „Und Unterstützung“.

Vertrauen statt Spott

Es ist Montag, 17.30 Uhr. Um diese Zeit öffnet sich im Schwabacher Jugendtreff „Aurex“ der „Queer-Treff“. Hannamann hat die Leitung. Sie weiß genau, was lesbische, schwule, bi-, pan-, demi-, asexuelle, trans- oder interidente junge Menschen suchen: eine Atmosphäre des Angenommenseins, des Verstehens und Verstandenwerdens, kurz: des Wohlfühlens und Vertrauens.

Schließlich gebe es neben dem „Bienchen- und Blümchen“-Prinzip noch so viel mehr. Weit mehr als das, was der Biologieunterricht und die Schulbücher suggerierten. Darüber darf, darüber soll im „Queer Aurex“ gesprochen werden. „Wir haben nämlich alle auf ungefähr die gleiche Art einen an der Klatsche“, kommentiert Samuel das Ganze mit Sarkasmus, obwohl es ihm bitterernst ist.

Viele queere Menschen seien wegen ihrer Veranlagung psychisch labil. Weil sie’s von Jugend an aushalten müssten: Blicke, Sprüche, Anfeindungen, manchmal Gewalt. Weil da zunächst dieses Gefühl mitschwinge: Bin ich falsch? Und weil es verdammt schwer sei: seinen Platz finden. Genau deshalb, betont Samuel, „brauchen wir eine Anlaufstelle, wo wir im Miteinander Kraft sammeln, wo wir sicher sind.“

Sind sie. Als „Safe Spaces“ werden Räume bezeichnet, in die sich Menschen mit einschlägigen Diskriminierungserfahrungen zurückziehen können. Zu einem solchen Platz wird das „Aurex“ allwöchentlich für junge Menschen der LGBTQIA+-Community. Eigentlich schon seit 2020, dann platzte Corona dazwischen und der Treff konnte erst diesen Sommer richtig durchstarten.

Gaaaaanz viel Redebedarf...

„Es gibt zwar ein Programm mit verschiedenen Angeboten, doch der Redebedarf ist unheimlich groß“, erläutert Carolin Hannamann das Konzept. Mittlerweile kämen Zwölf- bis 27-Jährige aus Fürth, Schwabach, Roth und Umgebung her.

Aber braucht es diesen queeren Rückzugsort denn wirklich? Immerhin: 1994 wurde §175, der so genannte „Schandparagraf“, nach mehr als 123 Jahren endlich abgeschafft. Somit war die strafrechtliche Verfolgung von schwulen oder bisexuellen Männern tabu und das damit verbundene Ideal lautet seither: Die Entwürdigung nicht-heterosexueller Menschen gehört der Vergangenheit an, die Gesellschaft glänzt mit Toleranz...

„Schön wär’s“, meint Carolin Hannamann und zieht ein noch junges Beispiel aus dem Portfolio der Beleidigungen: „Im August lief bei uns eine Graffiti-Aktion. Im Zuge dessen haben wir ein von den Jugendlichen gestaltetes Motiv mit Pride-Flaggen und Regenbogen-Symbol auf den Martin-Luther-Platz gemalt. Wir wollten sichtbarer werden in Schwabach. Motto: ,Bunt bewegt’!“ Doch es habe nicht nur positive Resonanz darauf gegeben, sondern auch schiefe Blicke - und Hasskommentare.

Alannah hat dieses paradoxe Phänomen schon öfter beobachtet: „Kann durchaus sein, dass die Gesellschaft auf dem Weg ist und sich in Sachen Vielfalt öffnet.“ Komisch nur: „Je mehr wir uns raus trauen an die Öffentlichkeit, desto mehr Hass kommt auf. Ich glaube, die denken, wir greifen an!“

Bloße Existenz eckt schon an

Nicht selten kämen die Hater-Beiträge aus dem rechten Spektrum – „ohne, dass wir groß was machen.“ Robin (15) beschleicht deshalb das ungute Gefühl: „Allein durch unsere Existenz ecken wir an. Das ist krass!“ Und es widerspricht bereits dem Minimalkonsens der Gruppe: „Wir wollen doch einfach nur sein dürfen, wie wir sind!“ Warum’s manchen Zeitgenossen so schwer falle, das zu akzeptieren?

„Vielleicht hat es was mit der Angst vor Veränderung zu tun“, mutmaßt Alannah. Der Mensch sei ein Gewohnheitstier und halte wohl lieber an hinlänglich Bekanntem fest – sprich: an der Heterosexualität. Mann liebt Frau, Frau liebt Mann. Die Religion spiele dabei keine ganz unbedeutende Rolle.

Natürlich sollte man mit Leuten, die alten Rollenmustern anhängen, im Gespräch bleiben, erklärt Samuel. Allerdings: „Wenn Argumente kommen wie: ,So ein Resozialisierungslager hatte schon was...’“ Oder: „Das ist nur eine pubertäre Phase!“ Oder der ,Klassiker’: „Wenn du als Frau Frauen liebst, hast du noch keinen Mann getroffen, der dir’s richtig besorgt“ – dann bestehe anschließend „wirklich keine große Lust mehr, zu diskutieren“, weiß Raven aus Erfahrung.

Da sei ein Queer-Treff, in dem die Anwesenden nur allzu gut wüssten, worum es geht, „wie das Aufladen einer Batterie!“ Ein Ort, wo xier sein kann, wer xier ist – mit allem was dazu gehört! In Ravens Fall heißt das: Ein selbstgewählter Name und ja, auch das Neopronomen ,xier’, das die Personalpronomina ,sie’ und ,er’ ersetzt („Ich kann mich da halt nicht zuordnen“), finden wie selbstverständlich Verwendung.

"Draußen" wird in Schubladen gedacht

„Draußen“ funktioniere das nicht. Da sei „Schubladendenken“ am Zug, die „Kategorisierung der Welt in Schwarz-Weiß“. Obwohl Schubladendenken ja per se nichts Kontraproduktives sei, findet Robin – „so lange die Schubladen offen bleiben und genügend Schubladen zur Verfügung stehen...“

In diesem Kontext dürfe etwas Grundsätzliches nicht vergessen werden: „Wir sind mehr als unsere Sexualität, wir sind Menschen. Menschen, die lieben!“, ruft Raven in den Raum, erntet ein kollektives Kopfnicken und Stimmengewirr. Jede/r hätte noch etwas dazu zu sagen, sprich: Die Diskussion könnte ewig weitergehen...

Doch das Essen ruft. Im Vorraum duftet es nach Tomatensoße, ein paar Treff-Gäste haben gekocht – wohl wissend: Das hält Leib und Seele zusammen. Tamara schnuppert, inhaliert das Aroma und atmet dann den Satz aus: „Ich könnte mir keinen geileren Montagabend vorstellen als hier mit euch!“

Der „Queer-Treff“ im Jugendzentrum „Aurex“ des Stadtjugendrings Schwabach findet montags, 17.30 Uhr bis 20 Uhr, in der Königstraße 20a in Schwabach statt. Instagram-Account: queer.aurex


Im Interview: Der BJR will die Lücke füllen

„Vielfalt ist der Normalzustand und nicht die Ausnahme“, proklamiert auch der Bayerische Jugendring (BJR). Nur schöne Worte? Nachgefragt haben wir beim BJR-Büroleiter und seit 2019 auch Queer-Beauftragten Patrick Wolf.

Herr Wolf, wie viele queere Jugendliche leben in Bayern?

Eine bayernweite Erhebung existiert bis dato nicht. Forschungen gehen aber davon aus, dass sich zwischen sieben und zehn Prozent der Menschen nicht als heteronormativ verorten.

LSBTQIA+-Treffs wie der im Schwabacher Jugendzentrum „Aurex“: Regel oder Sonderfall?

In Bayern existieren mehr als 1600 Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit mit pädagogischem Fachpersonal. Ihr Anliegen ist es, sich für eine tolerante, vielfältige Gesellschaft einzusetzen. Dazu tragen auch Angebote wie das „Queer Aurex“ bei, die sich zunehmend in den Jugendzentren etablieren. Daneben engagieren sich viele Vereine und Projekte für Lesben, Schwule, Bisexuelle, transidente, intergeschlechtliche und queere Menschen.

BJR-Queer-Beauftragter Patrick Wolf.

BJR-Queer-Beauftragter Patrick Wolf. © privat, NN

Welche offiziellen Anlaufstellen gibt’s denn aktuell für die junge Queer-Community?

Eine Übersicht findet sich unter www.bjr.de/queer. Darüber hinaus sind der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) Bayern, die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) oder „Strong!“ als LSBTQIA+-Fachstelle gegen Diskriminierung und Gewalt sowie die Angebote von Pro Familia oder der Aids-Hilfe wichtige Adressen.

Der BJR will sich ja für ein ganzes Bündel einschlägiger Maßnahmen einsetzen. Was davon ist auf dem Weg?

2018 hat sich der BJR zur sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt grundlegend positioniert. Wir kämpfen seither queer-politisch umfassend für die Verbesserung der Situation im Freistaat. Denn in Bayern existiert eine Lücke, die nicht allein durch engagierte Ehrenamtliche gefüllt werden kann. Hier braucht es zusätzliche fachliche Kompetenz - sowohl bei den Beratenden, als auch bei den Ansprechpersonen in Behörden, Verwaltung und Gesundheitswesen. Außerdem müssen die bestehenden Angebote bekannter werden.

Diese Situation wollen der BJR, der LSVD Bayern und die dgti angehen. In einer bayernweit einmaligen Kooperation haben sie sich zusammengeschlossen, um die Infrastruktur der LSBTIQ+-Community im Freistaat zu stärken. Im Mittelpunkt steht der Aufbau einer landesweiten Plattform zur Kommunikation, Vernetzung und Information. Besonders gestärkt werden soll der ländliche Raum. Das Projekt ist im Herbst 2021 gestartet und wird bis 2023 vom Bayerischen Sozialministerium gefördert.


Kleines Queer-ABC

queer: Personen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität von der gesellschaftlichen (Hetero-)Norm abweichen.

LGBTQIA+ (deutsch LSBTQIA+): Abkürzung aus dem Englischen für lesbisch, schwul, bisexuell, trans*, queer, inter*, asexuell.

heteronormativ: Einstellung, dass Heterosexualität (zwischen Mann und Frau) die Norm ist.

pansexuell: jemand fühlt sich emotional, romantisch und sexuell zu Menschen jeden Geschlechts hingezogen.

asexuell: kein Verlangen nach sexueller Interaktion.

demisexuell: sexuelle Anziehung kann nur empfunden werden, wenn bereits eine starke emotionale Beziehung zum Gegenüber besteht - egal welchen Geschlechts.

transident: Geschlechtsidentität stimmt mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht nicht überein.

interident: Menschen, die aufgrund körperlicher Merkmale nicht eindeutig männlich oder weiblich sind.

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