Briefe an sich selbst

29.1.2016, 15:45 Uhr
Bei dem Projekt Klassenzimmer unter Segeln (KUS) der Friedrich-Alexander-Universität fahren 35 Schüler auf einem Segelschiff um die Welt. Unser Bild zeigt einen Landgang auf Teneriffa.

© KUS Bei dem Projekt Klassenzimmer unter Segeln (KUS) der Friedrich-Alexander-Universität fahren 35 Schüler auf einem Segelschiff um die Welt. Unser Bild zeigt einen Landgang auf Teneriffa.

Auch 15-Jährige haben ein Briefgeheimnis. Sie hat den Brief mit nach Kiel genommen. Dort lagert er in einem Tresor.

Das Abenteuer ihres Lebens

Gemeinsam mit 33 anderen Zehntklässlern aus ganz Deutschland, mit fünf Lehrern und elf Seeleuten hat sie sich dann auf dem Schulsegelschiff Thor Heyerdahl auf den Weg in die Karibik gemacht. Sie lernt dort auf dem Schiff für die Schule und arbeitet. Sie schiebt nachts Drei-Stunden-Wachen und hat in der Kombüse 16-Stunden-Dienste. Sie ist aber vor allem Teil eines wissenschaftlichen Projekts der Universität.

Inzwischen hat sie während eines dreiwöchigen Landaufenthaltes in Panama im Dschungel bei indigenen Völkern gelebt und den höchsten Berg des Landes bestiegen. Nicht bestiegen. Bezwungen. Das hat sie stolz gemacht.

Jetzt ist das Schiff auf dem Weg nach Kuba. Wenn die Thor Heyerdahl am 23. April wieder in Kiel einläuft, wird meine Tochter ihren Brief wieder erhalten. Sie kann ihn dann öffnen und nachschauen, ob das, was sie sich von der Reise erwartet hat, eingetroffen ist. Sie kann das machen. Sie muss es aber nicht. Sie muss auch niemandem Rechenschaft ablegen. Es ist ihr Brief, es ist ihr Inhalt.

Ein Brief geht auf die Reise. Zwischen dem Absenden und der Zustellung vergeht Zeit.

Ein Brief geht auf die Reise. Zwischen dem Absenden und der Zustellung vergeht Zeit. © dpa

Die CSU hat in dieser Woche ebenfalls einen so genannten Brief an sich selbst geschrieben. Genau genommen war es ein Brief an die Bundeskanzlerin Angela Merkel und an die Bundesregierung. In der Bundesregierung sitzt die CSU aber selbst. O.k., die CSU sagt, nicht die CSU habe den Brief geschrieben, sondern die Bayerische Staatsregierung. Aha! Wo ist nochmal der Unterschied?

CSU-Chef Horst Seehofer macht den Inhalt eines Briefes an Kanzlerin Merkel publik, bevor dieser zugestellt sein kann.

CSU-Chef Horst Seehofer macht den Inhalt eines Briefes an Kanzlerin Merkel publik, bevor dieser zugestellt sein kann. ©  Rainer Jensen/Archiv (dpa)

Wie dem auch sei. Die Spucke auf der 70-Cent-Briefmarke war noch nicht trocken, da haben der Ministerpräsident und seine Minister – ein seltsamer Stil – jedem gesagt, was in dem Brief steht. Dass das jetzt nicht mehr so weitergehen kann mit den Flüchtlingen; dass die Grenzen endlich wieder geschützt werden müssen; dass es jetzt die Obergrenze braucht; und dass, sollte die Kanzlerin nicht endlich in die Gänge kommen, die Staatsregierung die Bundesregierung verklagen wird. Noch bevor sich also ein Postbote auf den Weg von München nach Berlin machen konnte, wusste die Adressatin im Bundeskanzleramt, die offenbar nicht immer das Recht auf ein Briefgeheimnis hat, was in dem Brief steht, der ihr einen oder zwei Tage später zugehen würde.

Die Frage ist, warum es in einem solchen Fall überhaupt das Stilmittel eines Briefs braucht. Hat Seehofer Merkel in den vergangenen Wochen nicht oft genug gesehen? Da hätte er ihr seine Forderungen doch persönlich sagen können. Hat er ihre Telefonnummer verlegt? Sein Büro hätte ihm sicher helfen können. Und wenn ohnehin die ganze Welt den Inhalt kennen sollte, dann hätte Seehofer doch vor die vielen Kameras treten können, die tagtäglich vor seiner Staatskanzlei aufgebaut sind. Hätte man sich wenigstens das Porto gespart.

Ich sehe das ganze so: Das Schreiben meiner Tochter an sich selbst ist ein Brief. Und das Schreiben der CSU? Eine Drohung? Eine Verzweiflungstat? Ein letzter Wachrüttler? Entscheiden Sie selbst. Ein klassischer Brief aber ist es garantiert nicht.

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