Corona: Jeder 400. Schwabacher ist tot

5.5.2021, 06:00 Uhr
104 Menschen sind bisher in Schwabach an oder in Verbindung mit einer Covid-19-Erkrankung gestorben. In Relation zur Einwohnerzahl liegt die Gefahr in der Goldschlägerstadt zweieinhalb mal so hoch als im Bundesdurchschnitt.

© Socher/ Eibner-Pressefoto via www.imago-images.de, imago images/Eibner 104 Menschen sind bisher in Schwabach an oder in Verbindung mit einer Covid-19-Erkrankung gestorben. In Relation zur Einwohnerzahl liegt die Gefahr in der Goldschlägerstadt zweieinhalb mal so hoch als im Bundesdurchschnitt.

83,2 Millionen Menschen leben in Deutschland. 83.276 - Stand Montagnachmittag - sind seit März 2020 in Verbindung mit einer Corona-Infektion gestorben. Das heißt: Jeder 1000. in Deutschland lebende Mensch hat Corona nicht überlebt. So nüchtern, so brutal können Zahlen sein.


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Aber: In Schwabach (40.981 Einwohner, 104 Verstorbene) beträgt das Verhältnis nicht 1:1000 wie im deutschen Durchschnitt, sondern etwa 1:400. In der Goldschlägerstadt sind, gemessen an der Einwohnerzahl, also rund zweieinhalb mal so viele Menschen dem Virus erlegen als im Rest der Republik. Damit gehört Schwabach zu einer der am schlimmsten betroffenen Kommunen in ganz Deutschland. Selbst die stark im Fokus stehenden Bundesländer Sachsen (1:450) und Thüringen (1:550) schneiden im Durchschnitt besser ab. Woran liegt das?

Erklärungsversuche

Liegt es an "sehr mangelhaften" Hygienekonzepten in den Schwabacher Alten- und Pflegeheimen oder an einer "unzureichenden Kontrolle der Hygienekonzepte", wie der Schwabacher Dieter Heinl in einem Schreiben an Oberbürgermeister Peter Reiß mutmaßt? Kamen die (Schnell-)Tests zu spät? Wollten die Verantwortlichen in den Heimen ihren Bewohnerinnen und Bewohnern wenigstens etwas Kontakt zu ihren Angehörigen ermöglichen und haben damit Gutes gewollt aber Fatales verursacht?

Der Schwabacher Stadtrechtsrat Knut Engelbrecht verneint das alles. Gerade in den Alten- und Pflegeheimen habe jeder das Menschenmögliche getan. Auch Dr. Stefan Schmitzer, der Leiter des für die Kontrolle der Hygienekonzepte verantwortlichen Gesundheitsamtes Roth-Schwabach, hat schon zum Höhepunkt der zweiten Welle davor gewarnt, auf die Suche nach vermeintlich Schuldigen zu gehen. "Meiner Meinung nach steckt dahinter kein Versäumnis, es ist eher eine Frage von Glück und Pech", hatte Schmitzer gesagt. "Oder von Schicksal."

Statistische Besonderheiten

Nach Einschätzung von Knut Engelbrecht würden gerade in Schwabach einige statistische Besonderheiten zusammenwirken. Erstens hat die Stadt gemessen an ihrer Größe sehr viele Alten- und Pflegeheime, mit denen sie gewissermaßen auch das Umland mitversorgt: zwei der Arbeiterwohlfahrt, zwei von Diakonie/Diakoneo, eines der Caritas und zwei mit privaten Trägern (Novitas und Pflegeheim in Limbach). Zum Vergleich: Im Landkreis Roth leben zwar dreimal so viele Menschen, doch es gibt "nur" etwa doppelt so viele Alten- und Pflegeheime wie in Schwabach. In den Alten- und Pflegeheimen hat es in ganz Deutschland die meisten Corona-Toten gegeben.

Zweite statistische Auffälligkeit: Gerade als inmitten der zweiten Welle in ganz vielen Alten- und Pflegeheimen in ganz Deutschland jeden Tag hunderte von Senioren an Corona starben, hatte Nordbayern insgesamt und Schwabach ganz besonders erschreckend hohe Inzidenzen. Vorübergehend lag die Stadt unter den Top 20 der bundesdeutschen Corona-Hotspots.


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Und dritte Besonderheit: Schwabachs Größe, beziehungsweise mangelnde Größe. Kleinere Veränderungen der absoluten Zahlen würden sich viel stärker auf die Quote auswirken wie in einer Metropole wie Nürnberg. Anhand der Inzidenz, also der Zahl der Corona-Neuansteckungen binnen einer Woche, gerechnet auf 100.000 Einwohner, lässt sich das ganz gut demonstrieren. Eine neue Infektion schlägt in Schwabach mit 2,44 Inzidenzpunkten zu Buche. Im Landkreis Roth sind es angesichts von knapp 127.000 Einwohnern "nur" 0,79, in Nürnberg mit seinen mehr als 500.000 Einwohnern macht jede Infektion sogar nur 0,19 Inzidenzpunkte aus.

Viel größere Schwankungen

Für Schwabach bedeutet das viel größere Schwankungen als in größeren Einheiten. Was beim Anstieg des Infektionsgeschehens gilt, gilt auch im umgekehrten Fall wie dem aktuell scheinbaren Abflauen der dritten Welle. Innerhalb von einer Woche rutschte die Inzidenz von über 150 auf unter 100.

Dass an der Glück/Pech-Vermutung von Stefan Schmitzer etwas dran sein könnte, sieht man auch, wen es in Schwabach getroffen hat oder wen nicht. Sehr große Ausbrüche mit vielen Toten gab es im Awo-Heim an der Wittelsbacherstraße (nicht aber im Awo-Hermann-Vogel-Heim!) und in den Heimen der kirchlichen Träger (Caritas, Haus am Wehr). Das privat organisierte Novita-Heim blieb daqegen verschont. Dafür wütete das Virus in einem weiteren Novita-Heim im nahen Kleinschwarzenlohe fürchterlich.

Wie berichtet, waren in Schwabach die Sterbezahlen insgesamt im Dezember und Januar mit jeweils über 70 weit über dem langjährigen Schnitt. Seit Februar hat sich das wieder auf ein Normalmaß eingependelt: 42 im Februar, 36 im März, 35 im April. Auch in der vom Robert-Koch-Institut veröffentlichten Corona-Statistik tauchen - glücklicherweise - nur noch selten Schwabacher Sterbefälle auf. Im März und April waren es - so schlimm jeder einzelne Fall auch ist - nur vier.

Ein schwieriger Vergleich

Trotzdem: Auch wenn die Erklärungen von Stadt und Gesundheitsamt nachvollziehbar sind. Sie haben auch einige Schwächen: Wenn Schwabach zum Beispiel mit seinen Altenheimen einen Teil des Umlandes mitversorgt, dann müssten dort die Corona-Sterbefallzahlen eigentlich deutlich niedriger sein. Im Landkreis Roth war in der Tat die Gefahr, an einer Corona-Infektion zu versterben, im vergangenen Jahr nur etwas halb so groß wie in Schwabach: Jeder 768. Landkreisbürger ist bisher dem Virus erlegen. Und doch liegt auch der Landkreis über dem bayernweiten (1:924) und dem bundesdeutschen Schnitt (1:1000).

Wie weit die Spanne in Deutschland reicht, sieht man an einem anderen Beispiel: Der vor allem in der ersten Welle am schlimmsten getroffene Landkreis in Deutschland war Tirschenreuth. Dort ist jeder 274. Einwohner an oder in Verbindung mit Corona gestorben. Ganz im Norden, im Landkreis Plön an der Ostsee, hat das Virus dagegen nur 28 Menschenleben gefordert. Bei knapp 129.000 Einwohnern lag die Gefahr, an dem Virus zu sterben, bei 1:4599 - das ist weniger als ein Zehntel der Quote in Schwabach und fast ein 20. der von Tirschenreuth.

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