Das lange Sterben der „Lokalbahn“

2.5.2012, 12:00 Uhr
Das lange Sterben der „Lokalbahn“

© Archiv Ruthrof

Zwei Sandsteingebäude, eine alte Mauer und der Straßenname „Am Alten Bahnhof“ in der Siedlung oberhalb des Wendelsteiner Kanalhafens — das sind neben einer Gebäudeaufschrift „Bahnhofsrestauration“ in der Nürnberger Straße die letzten Zeitzeugen, die an Wendelsteins große Zeiten als Ort mit eigenem Bahnanschluss erinnern. Im Mai 1962, vor genau 50 Jahren, nach jahrelangen Bemühungen um den Erhalt der Nebenbahnlinie, war endgültig Schluss.

„Ein Bahnhof ist entgleist“, so betitelte das Schwabacher Tagblatt im Mai 1962 einen Artikel, der über den Beginn der Rückbauarbeiten berichtete. 76 Jahre nach ihrer feierlichen Eröffnung im August 1886 endete damit eine Ära, die Wendelstein einen eigenen Bahnanschluss und der Eisenbahngeschichte des Freistaats ein Kuriosum bescherte: Die kürzeste Lokalbahn in ganz Bayern mit gerade einmal 5,3 Kilometern Streckenlänge mit 20 Minuten Fahrtzeit vom Endbahnhof in Wendelstein bis zum Umsteigebahnhof in Feucht.

Das lange Sterben der „Lokalbahn“

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Zwei Alternativen

Der kurze Rückblick in die Hintergründe um die Entstehung zeigt die Besonderheit der Bahnlinie: Vor allem wegen der nahen Steinbrüche und wegen der eingeschränkten Transportmöglichkeiten der Sandsteinprodukte mit den Treidelschiffen auf dem Kanal bemühte sich die Gemeinde Wendelstein seit 1860 um den Bau einer Bahnlinie.

Als mögliche Streckenführung arbeitete die Gemeinde unter Bürgermeister und Steinbruchbesitzer Wilhelm Jegel zwei Alternativen aus: Entweder von Wendelstein aus über „Zollhaus“ zum Dutzendteich und weiter bis zum Hauptbahnhof oder als kurze Stichstrecke von Wendelstein bis nach Feucht.

Da der Anstieg bei Zollhaus als zu kostenintensiv erschien, wurde 1879 in der entscheidenden Petition an den bayerischen Landtag die flache Strecke einer Stichbahn am Ludwigs-Kanal entlang, durch den Reichswald von Wendelstein über Röthenbach St.Wolfgang nach Feucht favorisiert. Dort war der Anschluss an die Hauptlinie Nürnberg-Regensburg möglich.

1882 wurde der Petition schließlich stattgegeben und die Planungen an das Verkehrsministerium weitergeleitet. Dieses führte 1883/84 die Projektierung durch und legte den Beschlussvorschlag zum Bau im Oktober 1884 wiederum dem Landtag vor.

In Wendelstein sollte demnach der Endbahnhof mit Stationsgebäude, Lokschuppen und Güterschuppen mit drei Gleisen entstehen, in Röthenbach St.Wolfgang eine Lager- und Wartehalle mit Abstellgleis und in Feucht am Bahnhof führte das Lokalbahngleis zur Hauptgleisanlage.

Da jedoch das Kanalamt zunächst noch Probleme mit dem Bahnbau direkt am Kanal und Hafen sah, verzögerte sich der Bau bis 1886. Erst im April des gleichen Jahres begann deshalb der Bau. Im Juli 1886 waren die Arbeit soweit fortgeschritten, dass eine Probefahrt stattfinden konnte. Am 1. August 1886 wurde die Lokalbahnstrecke offiziell und mit einer großen Feier vorgestellt.

Nach der Eröffnung galt die Bahnlinie trotz ihrer kurzen Strecke über Jahrzehnte als eine der rentabelsten in der Region. Unter der Woche konnten die Pendler nach Nürnberg zunächst dreimal täglich und 1907 schon sechsmal pro Tag den Zug nutzen. Für die „Städterer“, die an den Wochenenden das Umland unsicher machten, fuhren an den Wochenenden vor und nach 1900 sogar bis zu acht Zuggarnituren.

Nach 1945 war die Lokalbahn das wichtigste Transportmittel für die Wendelsteiner, um nach Nürnberg zu kommen und so fuhr 1948/49 an den Wochentagen der Zug achtmal nach Feucht und zurück, davon einmal sogar als Direktzug von Wendelstein bis zum Hauptbahnhof in Nürnberg.

Die einfache Fahrtzeit betrug 20 Minuten und kostete um 1900 gerade einmal 30 Pfennige für die II. Klasse und 30 Pfennige für die III. Klasse. Um 1950 kostete die einfache Fahrt 1 DM und die Hin- und Rückfahrt 1,20 DM.

Bus ersetzt Dampfross

Die zunehmende Motorisierung der Bevölkerung nach 1950 ließ jedoch die bis 1954 gewinnbringende Lokalbahn zum Zuschussbetrieb werden. Im März des gleichen Jahres beschloss die Bundesbahn deshalb, den Personentransport auf der Strecke im Folgejahr einzustellen. Mit der Einführung des Sommerfahrplans im Mai 1955 übernahm eine neugeschaffene Bahnbuslinie den Personentransport.

Trotz der Einstellung des Personentransports blieb es auf der Lokalbahnlinie „lebendig“, denn der Gütertransport fand weiterhin statt. Und dass Ausnahmen immer noch möglich waren, belegt eine Meldung im Schwabacher Tagblatt vom Dezember 1955: Wegen starken Glatteises wurden am 14. und 15. Dezember nochmals Personenzüge auf der Lokalbahn eingesetzt. 1957 war es dann am 7. Juli der „Besuch“ von Bundeskanzler Konrad Adenauer mit seinem Zug im Bahnhof und ein zweiter Aufenthalt von Adenauers Zug im Wendelsteiner Bahnhof am 11. September, der für die hiesige Bevölkerung in besonderer Erinnerung blieb.

Diese zwei Besuche gaben später den Anstoß zu ungewöhnlichen Aktionen der hiesigen Kommunalpolitiker. 1959 kündigte nämlich die Bundesbahn an, noch im Herbst des gleichen Jahres auch den Güterverkehr auf der Schiene einzustellen. Zusammen mit dem Schwabacher Landrat Eugen Tanhauser richteten die Bürgermeister von Wendelstein, Röthenbach St.Wolfgang, Klein- und Großschwarzenlohe sowie Raubersried daraufhin eine Petition an den bayerischen Landtag. Auf Druck des Landtags gab die Nürnberger Bahndirektion damals nochmals nach, verlängerte den Gütertransport aber nur um zwei Jahre bis zum Sommer 1961.

Doch schon im Januar 1960 beschloss die Bundesbahn wegen sinkender Stückgutzahlen beim Gütertransport auf der Lokalbahnlinie ab Wendelstein, auch den Gütertransport im gleichen Jahr einzustellen. Diesmal reichte eine erneute Petition an den Landtag nicht, deshalb reiste noch im Januar 1960 eine Delegation der Gemeinde Wendelstein mit Bürgermeister Johann Trinker an der Spitze nach Bonn, um beim Verkehrsminister vorzusprechen. Minister Seebohm war jedoch nicht anzutreffen und mit viel Glück gelang es der Delegation, einen Termin bei Bundeskanzler Konrad Adenauer zu ergattern und ihm die Probleme mit dem Bahnbetrieb zu erläutern.

Der Bundeskanzler nahm sich tatsächlich nach dem Termin der Sache persönlich an und erreichte, dass sich die Bundesbahn verpflichtete, den Gütertransport regulär bis zum Herbst 1961 durchzuführen. Zum 1. September 1961 endete jedoch die Pflicht der Bundesbahn, den Gütertransport auf der Bahnlinie Wendelstein-Feucht aufrecht zu erhalten. Im Herbst 1961 stellte die Bahnverwaltung die Gemeinde Wendelstein schließlich vor eine schwierige Wahl, um einen Weiterbetrieb der Bahn zu ermöglichen: Die Gemeinde konnte unter drei Konzepten auswählen, die alle jedoch problematisch waren.

Das erste Konzept sah vor, dass die Gemeinde alle Gebäude der Bahnlinie samt Gleiskörper kauft und für deren Unterhalt sorgt und die Bahn selbst nur noch die Strecke bei Bedarf befährt. Kaum besser war die zweite Idee, wonach die Gemeinde sich zu 50 Prozent am Gesamtunterhalt der Bahnstrecke beteiligen und zusätzlich die entstehenden Fehlbeträge ausgleichen sollte.

Teurer Vorschlag

Am weitesten ging der dritte Vorschlag, der den Kauf der gesamten Bahnanlage vorsah. Damit wäre die Gemeinde die neue Besitzerin ge-

worden und hätte als Träger einer

Privatbahn dem Wirtschaftsministerium die Bahnaufsicht überlassen müssen.

Die damals zugleich mit anderen wichtigen Infrastrukturmaßnahmen wie dem Straßen-, Siedlungs- und Versorgungsleitungsbau ausgelastete Gemeinde Wendelstein hätte zu dieser Zeit keines der Konzepte der Bundesbahn annehmen können. Deshalb lehnte der Gemeinderat im November 1961 schweren Herzens die Übernahme der Lokalbahnlinie ab.

Mit Beginn des Sommerfahrplans 1962 begann der Rückbau der Gleise vom Bahnhof Wendelstein. Die alte Bahntrasse durch den Wald wurde später zum Bau der neuen Straße von Wendelstein über Röthenbach St. Wolfgang zur A73 mitbenutzt.

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