Ein abgerutschter Pürierstab hätte fast das Aus bedeutet

2.1.2013, 09:29 Uhr
Ein abgerutschter Pürierstab hätte fast das Aus bedeutet

© Ammer

Bis eine Woche vor der WM war alles nach Plan gelaufen, doch dann kam Melanie Milles auf die verhängnisvolle Idee, sich einen Apfel für ihre Wettkampfdiät zu pürieren. Verhängnisvoll deshalb, weil sie sich keine Schüssel dafür genommen hatte und mit dem Pürierstab versehentlich die Kuppe ihres Daumens nahezu komplett absäbelte.

Wütend auf sich selbst

„Das war eine ziemliche Dummheit“, räumt die 30-Jährige ein, die deshalb auch richtig wütend auf sich selbst war. Die monatelange Trainingsarbeit schien von einer Sekunde auf die andere für die Katz‘ gewesen zu sein.

Diese Wut wandelte die ehrgeizige Kampfsportlerin dann aber in Energie um und ging bei den ISKA Amateur World Championships mit einem für sie völlig untypischen Kampfstil zu Werke. Wie ein wilder Stier sei sie aus ihrer Ecke gestürmt und habe ihre Finalgegnerin sofort voll attackiert, erinnert sich Melanie Milles, die sich selbst als klassische Konterboxerin bezeichnet.

Die Schmerzen ausgeblendet

„Normalerweise trickse und bluffe ich und versuche dadurch meine relativ geringe Körpergröße auszugleichen“, erklärt die 1,61 Meter große Rotherin, die diesmal aber so mit Adrenalin vollgepumpt war, dass sie auch den Schmerz in ihrem mit mehreren Stichen genähten und geschienten Daumen ausblenden konnte. Der Lohn für die ausgehaltenen Schmerzen war dann der bislang größte Erfolg in ihrer zehnjährigen sportlichen Karriere: Der Weltmeistertitel bei den Amateurinnen krönte ein Wettkampfjahr, in dem sie außerdem zweifache deutsche Meisterin im Kickboxen (Vollkontakt und K1-Rules) und bayerische Vizemeisterin im Boxen wurde.

Nach wie vor ist die 30-jährige in zwei Kampfsportarten aktiv und möchte auch künftig zweigleisig fahren. Beide Disziplinen hätten ihr Vor- und Nachteile, erklärt Melanie Milles. Beim Amateurboxen als olympischer Disziplin sei alles etwas besser und professioneller organisiert, beim Kickboxen hingegen sei noch mehr der komplette Körper gefordert. „Dafür geht es bei den Wettkämpfen hin und wieder etwas chaotisch zu. Da bin ich schon mal um 9 Uhr am Ring gestanden und um 21 Uhr erst drangekommen. Dann aber hatte ich gleich drei Kämpfe direkt hintereinander.“

Das Gewicht muss stimmen

Trotz solcher Unwägbarkeiten und des enormen Zeitaufwandes von bis zu 20 Stunden Training pro Woche machen ihr die Schinderei im Kraftraum und beim Sparring nach wie vor großen Spaß. Dafür nimmt sie auch gerne die Entbehrungen wie das akribische Achten auf ihr Gewicht in Kauf. 57 Kilogramm und kein Gramm mehr darf Melanie Milles haben, wenn sie vor den Wettkämpfen auf die Waage steigt, denn in der nächsthöheren Gewichtsklasse von 60 Kilogramm hätte sie laut eigener Aussage keine Chance mehr gegen die Konkurrenz.

Deshalb werden in den letzten Tagen vor einem Turnier die letzten Pfunde „abgekocht“. „Bei uns im Fitnessstudio kennen sie mich schon, wenn ich in meinem Schwitzanzug in die Sauna gehe“, erzählt Milles schmunzelnd.

Herzblut-Amateurin

Beim Kampfsport müsse man mit Herzblut bei der Sache sein, sonst werde das nichts mit Wettkampferfolgen, meint die 30-Jährige, die 2012 ihren kompletten Jahresurlaub in Trainingslagern und bei Turnieren „verboxt“ hat. Immerhin lässt sich ihr neuer Job – die gelernte Friseurmeisterin arbeitet nun als Vertriebsassistentin für einen Großhandel für Friseurbedarf – besser mit ihrer sportlichen Leidenschaft vereinbaren.

An ihrem Amateurstatus will sie freilich festhalten, obwohl sie schon mehrere Angebote für einen Wechsel ins Profi-Lager hatte. Doch das ist nicht ihre Welt, und so schlug sie auch die Möglichkeit aus, einmal gegen Profi-Weltmeisterin Christine Theiss anzutreten. „Dafür bin ich mir zu schade“, sagt Milles selbstbewusst. Ein Showkampf gegen die 15 Zentimeter größere Vollkontakt-Kämpferin, die sich sehr medienwirksam zu inszenieren weiß und deshalb auch im Röckchen kämpft – das muss nicht sein.

Brennen auf eine Revanche

Stattdessen brennt die Rother WM-Siegerin auf eine Revanche gegen Tiffany Caussens, gegen die sie im Finalkampf bei der bayerischen Meisterschaft im Boxen unglücklich den Kürzeren gezogen hat. „Das ist ein dunkler Fleck in meiner Biographie“, erzählt Melanie Milles und lacht. An dem Tag sei sie einfach schlecht gewesen, und zehn Sekunden vor dem Schlussgong habe ihr Weißenburger Betreuer dann auch noch das Handtuch geworfen. „Dabei hätte ich locker durchgehalten, aber er hat einfach die Panik bekommen.“

Also wird die 30-Jährige auch künftig unzählige Trainingseinheiten und Sparringskämpfe mit ihrem Trainer und Freund Kai Blauhorn absolvieren, den sie dabei übrigens auch schon mal – versehentlich – auf die Bretter geschickt hat. „Er schont mich da nicht und reizt mich bewusst bis aufs Blut. Deshalb bleibe ich im Wettkampf meistens auch cool“, berichtet die Rotherin, die auch nach ihrer aktiven Karriere dem Boxen und dem Kickboxen verbunden bleiben will.

Dieses Jahr macht Milles ihren Trainerschein und will sich dann noch intensiver um ihren Schützling, die 16-jährige Hannah Kühn kümmern. „Hannah hat ein Riesen-Potenzial. Ich fiebere schon ihrem ersten Kampf entgegen“, schwärmt die Mutter eines elfjährigen Sohnes, der ebenfalls Geschmack am Kampfsport gefunden und vor kurzem seinen ersten Wettkampf im Budokai-Karate bestritten hat. „Da war ich beim Zuschauen viel aufgeregter als bei all meinen eigenen Kämpfen.“

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