Eine große literarische Verbeugung

11.11.2011, 08:07 Uhr
Eine große literarische Verbeugung

© Schmitt

Erst vor zwei Wochen ist der 68-jährige Romancier und Lyriker mit dem bedeutendsten deutschen Literaturpreis ausgezeichnet worden. Nun hieß es für ihn schon wieder „business as usual“. Bei einer etwa einstündigen Lesung in der Synagoge hat Delius sein jüngstes Buch vorgestellt.

„Die Frau, für die ich den Computer erfand“ ist ein fiktionaler Monolog des Ingenieurs Konrad Zuse, der in den Jahren 1935 bis 1938 mit der ersten Universalrechenmaschine den Urvater aller Computer gebaut hat. Zuse war also eine Art deutscher Steve Jobs, dessen Genialität allerdings an vielen Stellen viel zu spät erkannt wurde.

Doch das ist nur eine Facette des knapp 300-Seiten-Werks. Denn Delius stellt nicht nur die „tragische Geschichte diese verkannten Erfinders“ und die besessene Realisierung seiner größten Idee in den Mittelpunkt. Nein, Delius kennt auch die Motivation dafür. „Ohne Eros entwickelt sich nichts im Leben, nicht einmal der Bau von Rechenmaschinen“, lässt er seinen Protagonisten sagen. Denn Zuse ist verliebt, und das treibt ihn an. Die Auslöserin seines Begehrens ist indes schon lange tot. Ada Lovelace, Mathematikerin und Assistentin an einem englischen Lehrstuhl des 19. Jahrhunderts, hat es ihm so sehr angetan, dass er drei Jahre lang Blechteile sägt, um seinen Traum zu verwirklichen.

„Ein faustischer Mensch“ sei er. Das habe Zuse einmal von sich gesagt, so Delius, und erklärt, dieses Zitat habe ihn auch angeregt, den Roman zu schreiben.

Doch es ist keineswegs das „ewig weibliche“, das Zuse so beeindruckt. Vielmehr ist es seine Vorstellung von Ada als einziger kongenialer Partnerin, die ihn hinreißt. „Mathematiker trifft Mathematikerin, das ist wie ein Urknall“, stellt Zuse fest.

Die Frau, für die er den Computer erfand, also lediglich ein Hirngespinst? Sehr wohl, muss man feststellen, das aber im allerbesten Sinne. „Besser eine Phantasiefrau im Kopf als ein Kinderschänder werden wie Dr. Faust“, sagt er. Schließlich schwängerte Faustus das Gretchen, als es erst 14 Jahre alt war. Die Pathologie hier wie dort wird allerdings durchaus sichtbar, wenn Zuse zugibt: „Frauen waren mein Problem, entweder war ich zu stürmisch oder zu tollpatschig. Da musste die Phantasie helfen.“

Doch die Zuhörer in der überfüllten Synagoge erfahren noch mehr über die Verbindung zwischen einem der wichtigsten zeitgenössischen Literaten und seinem technischen Pendant aus dem 20. Jahrhundert. Denn das Buch hat einen „tieferen biographischen Grund“, wie Delius verrät. Zuse und er waren einmal Nachbarn. Fünf Kilometer vom Heimatdorf des Schriftstellers entfernt, in der Nähe des hessischen Bad Hersfeld, hat Konrad Zuse 1949 in seiner Firma „die modernsten Maschinen Europas“ gebaut. „Das hat mich fasziniert.“

Der Alleskönner

Friedrich Christian Delius gilt vielen Kritikern als „68er“. Moderator Klaus Neunhoeffer, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Schwabacher Stadtrat, referiert das Attribut, erklärt es aber auch. Dieses Etikett habe er erhalten „als Autor, der politische und gesellschaftliche Auseinandersetzungen beobachtend thematisiert“. Delius begann seine literarische Arbeit in den 1960er-Jahren mit gesellschaftskritischer Lyrik und dokumentarischen, stark satirischen Texten. Seit den 70er-Jahren schreibt er vorwiegend Romane, häufig zu Themen aus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, z. B. zum Deutschen Herbst.

Neunhoeffer beschreibt den promovierten Germanisten als eine Art Fußballmannschaft der Literatur. Schließlich repräsentiere er viele Gattungen der Stilistik: „Lyriker, Dramatiker, Hörspielautor, Essayist, Romancier, Satiriker und Polemiker.“ Für Delius offenbar eine zutreffende Einordnung, nennt er Neunhoeffers Vorstellung doch „sehr gescheit. Das erlebt man selten.“

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