Erste Adresse für schwergewichtige Patienten

15.12.2012, 08:34 Uhr
Erste Adresse für schwergewichtige Patienten

© Gerner

Seit kurzem hat es Chefarzt Dr. Thomas Horbach auch schriftlich: Die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Bauchchirurgie (DGAV) hat Schwabach als eines von bundesweit nur fünf Häusern als Adipositas-Referenzzentrum zertifiziert. Bayernweit steht das Stadtkrankenhaus allein auf weiter Flur.
 

Für das offizielle Foto wollte Diakon Klaus Seitzinger, der Geschäftsführer des Stadtkrankenhauses Schwabach, die Zertifizierungsurkunde an seinen Chefarzt überreichen. Doch Thomas Horbach bestand darauf, dass auch seine Kollegen, die Pflegekräfte und die Verwaltungsleute aufs Bild kommen. „Eine Zertifizierung ist keine One-Man-Show, das ist eine Mannschaftsleistung“, sagte er.

Also gruppierten sich mehr als ein Dutzend Frauen und Männer um ein gerahmtes Papier im DIN-A-3-Format, für das das Stadtkrankenhaus viel Mühe auf sich genommen hat. Die Unterlagen füllen mehrere Ordner, der Prozess der Zertifizierung hat über Monate hinweg das gesamte 170-Betten-Haus durchlaufen, von der Aufnahme über die stationäre Behandlung, die Operation, die Nachbehandlung und die gesamte Administration. Jetzt haben es Ärzte und Patienten schwarz auf weiß: An Fettsucht leidende Menschen sind im Stadtkrankenhaus Schwabach bestens aufgehoben.

Die Zahlen sprechen ja auch für sich. 150 bis 200 Frauen und Männer bekommen pro Jahr in Schwabach einen Magenballon oder ein Magenband gesetzt, einen Schlauchmagen oder einen Magen-Bypass gelegt. Meist per „Schlüsselloch-Operation“. Das Krankenhaus bietet inzwischen optimale Voraussetzung für die Behandlung extrem schwergewichtiger Patienten.

Es besitzt belastbare Rollstühle, besondere Betten und OP-Tische im XXL-Format. Gebracht wird die Kundschaft nicht selten in einem Spezial-Krankenwagen, der auch dann nicht in die Knie geht, wenn ein Mann Platz nimmt, der mehr als 250 Kilogramm auf die Waage bringt.

1500 Patienten pro Jahr

Doch die Operation ist bei fettsüchtigen Patienten nicht alles. Es gibt viele Vorgespräche, begleitende Therapien und Nachbehandlungen. „Pro Jahr kommen wir so mit 1500 Patienten in Kontakt“, erklärt Chefarzt Horbach. Künftig dürften es noch ein paar mehr werden.

Seit Herbst bietet das Stadtkrankenhaus nämlich zweimal im Monat spezielle Patientenseminare an. Einer der Inhalte dieser Abende: Die Aufklärung darüber, welche Unterlagen man bei seiner Krankenkasse vorlegen muss, damit die einer möglichen Operation auch zustimmt. Das „Ja“ der Kasse ist nämlich die Voraussetzung dafür, dass im OP-Saal die Lichter angehen. Nach Meinung von Thomas Horbach sind die Kassen in Deutschland in dieser Hinsicht viel zu restriktiv. Im Vergleich zu europäischen Nachbarn seien hierzulande die Adipositas-Eingriffe viel zu selten, obwohl man mit vergleichsweise geringem Aufwand viel erreichen könne. Will heißen: Die Erfolgsquoten nach operativen Eingriffen sind sehr hoch. Und auf Dauer für die Gemeinschaft der Beitragszahler auch billiger als der meist vergebliche Versuch, alleine mit der nächsten Diät das Problem, das Gewicht und damit später auch die (Behandlungs-)Kosten in den Griff zu bekommen.

Denn Adipositas führt ja auch zu vielen möglichen Spätfolgen. Das Risiko, an Diabetes, Asthma, Arthrose, Bluthochdruck und Krebs zu erkranken, steigt mit jedem Kilogramm, mit jeder Stufe auf dem berüchtigten Body Mass Index (Gewicht geteilt durch Körpergröße in Metern zum Quadrat). Ab einem BMI über 25 gilt man als übergewichtig, bei einem BMI jenseits der 30 spricht man von Adipositas. Bei Thomas Horbach landen regelmäßig Männer und Frauen auf dem OP-Tisch mit einem BMI-Wert weit über 60.

Diesen Manschen oft nach jahrelangem Leiden zu helfen, hält Stadtkrankenhaus-Geschäftsführer Diakon Klaus Seitzinger für eine „gesellschaftliche Notwendigkeit“. Für sein Haus selbst sei die Adipositas-Behandlung inzwischen ein „wichtiger Bestandteil im Leistungsspektrum“. Ein Bestandteil allerdings, der längst nicht so gut honoriert wird wie es vielleicht scheint. Bezahlt wird in der Regel nur die tatsächliche Behandlung. Die vielen Gespräche und Beratungen im Vorfeld gibt das Haus im Prinzip gratis hinzu. Die ganzen Vor-Investitionen vom Spezial-Rollstuhl bis zum Spezial-Bett ebenso.

„Beleg für Qualität“

Obwohl also die Rahmenbedingungen nicht optimal sind, haben Ärzte, Pflegekräfte und Verwaltung mit Nachdruck an der Zertifizierung gearbeitet. Dass Schwabach jetzt einziges bayerisches Adipositas-Referenzzentrum geworden ist, ist für Geschäftsführer Seitzinger „ein Beleg für die hohe Qualität und Fachkompetenz der Abteilung“. Der „kleine Kraftakt der Zertifizierung“ (Chefarzt Horbach) habe sich aber gelohnt. Das Gütesiegel dokumentiere, „dass sich unsere Patienten darauf verlassen können bestmöglich behandelt zu werden“. Mit der Zertifizierung geht auch eine Qualitätssicherung einher. Die fünf deutschen Referenzzentren in Schwabach, Recklinghausen, Gera, Karlsruhe und Berlin sowie das einzige deutsche Adipositas-Exzellenzzentrum in Frankfurt haben sich verpflichtet, regelmäßig an anerkannten Studien teilzunehmen oder diese zu initiieren. Zudem ist es mit dem Zertifikat nicht getan. Es gilt immer nur für drei Jahre. 2015 beginnt also der ganze Prozess von vorne. Bis dorthin, so schätzt Thomas Horbach, dürfte die Zahl der Fettsüchtigen in Deutschland weiter steigen. Dann leidet nicht mehr jeder Siebte im Land an Adipositas. Sondern vermutlich schon jeder Sechste.

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