Glosse: Manche Menschen bringen Pech beim Fußball

19.7.2020, 05:58 Uhr
Ja, er kam tatsächlich noch, der rettenden Treffer von Fabian Schleusener. Das lag aber sicher nicht an einer bestimmten Person...

© Sportfoto Zink / Daniel Marr, Sportfoto Zink / Daniel Marr Ja, er kam tatsächlich noch, der rettenden Treffer von Fabian Schleusener. Das lag aber sicher nicht an einer bestimmten Person...

Vorausschicken möchte ich, dass ich üüüüüüberhaupt nicht abergläubisch bin. Dinge passieren so oder so. Ob ich zuerst meinen rechten oder meinen linken Strumpf anziehe, spielt keine Rolle. Meistens jedenfalls. Dass es in der Relegation für den Club aber noch einmal eng werden würde nach dem 2:0 im Hinspiel gegen Ingolstadt, das wusste ich spätestens, als am Samstag um 19 Uhr ein Freund von mir vor der Haustür stand. Um 19 Uhr! Zur Halbzeit! Der Relegation! Beim Stand von 0:0! In Ingolstadt! Gegen Nürnberg!

Er brachte mir, und jetzt kommt’s, eine Tupperbox zurück! Von einem Treffen in der Woche zuvor. Und noch schlimmer: Er sagte, er könne sich ein paar Minuten dazusetzen. Und mit mir (und meiner Tochter) das Spiel anschauen. Ja, genau zu diesem Zeitpunkt wusste ich, dass es noch schiefgehen könnte in der Relegation.

Argentinien geht auf seine Kappe

Es war nämlich nicht irgendein Freund. Es war genau der wirklich sehr, sehr gute Freund, der mir schon 1986 das WM-Endspiel zwischen Deutschland und Argentinien versaut hatte. Ich bin, wie gesagt, nicht abergläubisch. Doch das hatten die Deutschen damals nur verloren, weil er seinerzeit bei uns im Wohnzimmer saß und dauernd den Argentiniern die Daumen gedrückt hat.

In erinnere mich: Als Rummenigge und Völler in der 74. und 80. Minute den 0:2-Rückstand egalisiert hatten, sprintete ich in den ersten Stock und holte meine damals achtjährige Schwester wieder aus dem Bett. Als ich wieder zurück im Wohnzimmer war, hatte aber dieser Maradona schon diesen Ball durch die Schnittstelle der deutschen Abwehr gespielt (das Wort Schnittstelle wurde allerdings erst später erfunden). Ein gewisser Jorge Burruchaga flog mit wehendem Haar der Walz aus der Pfalz (Spitzname: Hans-Peter Briegel) davon und ließ dem deutschen Torhüter Harald Toni Schumacher keine Chance. 3:2. Aus. Vater, Mutter, Bruder und ich konsterniert. Und mein Freund tanzte auf dem Sofa.

"Einmal hörte ich sogar ein 'ach'"

Diesmal, so ehrlich muss ich sein, tanzte er nicht. Er saß. Doch kaum hatte er Platz genommen, stand es nicht mehr 0:0 (also gewissermaßen 2:0 für Nürnberg inklusive des Hinspiels), sondern 3:0 für Ingolstadt. Man kann also nicht behaupten, dass es sich bei meinem Freund fußballtechnisch um einen Glücksbringer handelt.

Immerhin: Anders als 34 Jahre vorher feuerte er nicht den Feind an, sondern machte, wenn Nürnberg den nächsten Ball slapstikmäßig ins Aus stolperte, nur "uuh" oder "aah" oder "ooh", einmal hörte ich sogar ein "ach".

Dann fuhr er davon

Doch als der deutsche Rekordabsteiger zum zweiten Mal in seiner 120-jährigen Geschichte endgültig dem gähnenden Abgrund namens 3. Liga entgegen torkelte, hatte der Fußballgott doch noch ein Einsehen, nach Ablauf der regulären Spielzeit und auch nach eigentlichem Ablauf der Verlängerung. In einer allerletzten Aktion spielte der lange Erras einen völlig blinden Rückzieher in den Ingolstädter Strafraum, wo ein bisheriger Saisontotalausfall namens Schleusener den Ball so schlecht traf, dass er gemeinsam mit einem letzten verzweifelten Ingolstädter Abwehrspieler über die Torlinie kullerte. 3:1. Nürnberg gerettet, Ingolstadt nicht aufgestiegen. "Nein", sagte mein Freund. "Unfassbar." Dann fuhr er auf seiner roten Vespa davon.

Mir, dem alten Clubfan, taten danach die tapferen Ingolstädter leid. Sie tränkten ihren schönen Rasen im schönen Audi-Sportpark so sehr mit ihren Tränen, dass der Platzwart in den nächsten drei Monaten bestimmt nicht mehr gießen muss. Am liebsten hätte ich ihnen durch den Fernseher zugerufen: "Grämt Euch nicht. Irgendwann gibt es Gerechtigkeit." Auch wenn es wie bei mir – von 1986 bis 2020 – 34 Jahre dauern sollte.

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