Herrin über 4000 bunte Plastiktüten

25.9.2020, 12:54 Uhr
Herrin über 4000 bunte Plastiktüten

© Foto: Robert Gerner

Der Mensch, der Deutsche speziell, so heißt es, ist ein Jäger und Sammler. Er hortet Briefmarken und Münzen, er steht auf Bierdeckel und Zinnkrüge. Leute mit großem Geldbeutel sammeln historische Autos, Leute mit kleinerem Portemonnaie können von Fahrrädern gar nicht genug bekommen.

Es gibt Sammler mit einem Faible für Telefonkarten und wieder andere – darüber haben die Nürnberger Nachrichten jüngst berichtet – finden möglichst viele unterschiedliche Kugelschreiber ganz toll.

Das Phänomen des Sammelns

Diesen Artikel über eine 95-jährige Frau aus Adelsdorf, die mittlerweile 28 574 Schreibwerkzeuge ihr eigen nennt, las im Mantelteil dieser Zeitung Magdalena Kessel. Die Rentnerin aus Großschwarzenlohe hat Kontakt zu Kugelschreiber-Expertin Barbara Uhl aufgenommen. Weil sie vielleicht ein paar neue, ungewöhnliche Stifte für die rüstige Sammlerin übrig hätte.

Magdalena Kessel sammelt zwar selbst keine Kugelschreiber. Aber sie kennt sich mit dem Phänomen des Sammelns durchaus aus. Denn sie hat sich auf ein vielleicht noch ungewöhnlicheres Sammelgebiet konzentriert. Seit 40 Jahren hortet sie: bunt bedruckte Plastiktüten.

Das XS-Format

Dabei geht es nicht um die Tüten im XXXL-Format, mit dem Shoppingwütige Klamotten oder Großspielzeug aus Modetempeln und Kaufhäusern nach Hause schleppen. Magdalena Kessel haben es die Plastiktüten im S-, XS- oder XXS-Format angetan, die es früher zum Beispiel beim Einkauf in der Apotheke, in kleinen Boutiken, beim Friseur oder beim Metzger gab.

Wie Magdalena Kessel zu ihrem ungewöhnlichen Hobby gekommen ist? "Am Anfang steht natürlich die Begeisterung", sagt sie. Die vielen unterschiedlichen Motive sind ihr aufgefallen. Vor 40 Jahren hat sie dann begonnen, besonders schöne Exemplare zur Seite zu legen.

Niemals verbissen

Kessel wurde keine verbissene Sammlerin. Aber irgendwann sprach sich ihr neues Hobby im Familien-, Bekannten- und Freundeskreis herum. "Viele haben sich gewundert", sagt sie. "Aber dann haben sie mir aus ihrem nächsten Urlaub aus Spanien oder Italien doch wieder neue Plastiktüten mitgebracht.

Manche davon sind ganz profan rot und mit dem bekannten Apotheken-Zeichen bedruckt. Andere wiederum sehen aus wie richtige Kunstwerke. Sie zeigen Comicfiguren, sehenswerte Orte in großen Städten oder ganz besonders schöne Waren aus den Geschäften, aus denen die Tüten stammen.

Erst 100, dann 1000, jetzt 4000

Bald hatte Magdalena Kessel 100 Tüten beisammen, irgendwann waren es 1000. Weil man sie aufgrund ihrer unterschiedlichen Größe nicht in Alben oder Leitz-Ordner stecken kann, bekamen die Tüten ihren Platz in großen Kartons, die auf den Spitzboden des schmucken Reihenhauses in Großschwarzenlohe wanderten. Vier solcher Kartons sind inzwischen prall gefüllt.

Hin und wieder muss Magdalena Kessel aussortieren, weil manche Plastiktüten regelrecht zerbröseln. Ansonsten hat sie die guten Stücke bislang nur selten ans Tageslicht geholt. Seitdem die frühere Kommissioniererin im Arzneimittel-Großhandel im vergangenen Jahr in Rente gegangen ist, hat sie aber begonnen, die Tüten nach Themengebieten zu sortieren.

Wenige Gleichgesinnte

Ganz alleine mit ihrer ganz speziellen Sammelleidenschaft ist Magdalena Kessel übrigens nicht. Im Bayerischen Fernsehen trat einmal ein Apotheker aus Berlin auf, der das gleiche Faible hegte und pflegte. Auch von einer Gleichgesinnten aus Niederbayern kann Kessel berichten.

Zuletzt ist der Strom an neuen Plastiktüten übrigens ein wenig versiegt. Zwei Exemplare aus Japan waren an Weihnachten 2019 die letzten prominenten Neuzugänge in der Sammlung.

Nicht weiter vermüllen

Das hat seinen Grund: Deutschland und viele weitere Länder haben in den vergangenen Jahren und Monaten ein Verbot dieser früher so beliebten Form der Einwegverpackung auf den Weg gebracht. Plastiktüten gelten als der Inbegriff der Ressourcenverschwendung – und treiben die Vermüllung der Weltmeere auf die Spitze. Sie sind relativ leicht durch Behältnisse aus Altpapier oder Karton zu ersetzen.

Der ideelle Wert steigt

Magdalena Kessel findet das Plastiktüten-Verbot sehr gut. Natürlich aus Umweltschutzgründen. Aber auch, weil damit der (ideelle) Wert ihrer ganz persönlichen Sammlung steigt.

Denn auf alles, was in irgendeiner Form abgeschlossen ist – Saarland- oder DDR-Briefmarken, Hinterlassenschaften untergegangener Radhersteller – ist für einen echten Jäger und Sammler von ganz besonderer Bedeutung. Auch wenn dieser Sammler auf Plastiktüten steht.

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