Jubel für junge Langnasen

21.11.2009, 00:00 Uhr
Jubel für junge Langnasen

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Es ist eine Weltstadt, die außerhalb Chinas noch kaum bekannt ist. Über zehn Millionen Einwohner hat Chengdu und ein Zentrum wie ein Gebirge aus Wolkenkratzern. Die boomende Wirtschaftsmetropole Westchinas war Gastgeber des «Deutsch-chinesischen Kulturfestivals» und ist die einzige Stadt im Riesenreich, in der es eine Waldorfschule gibt.

«So ist auch der Kontakt zu uns in Wendelstein entstanden», erklärt Schulleiter Wolfgang Debus die Einladung nach China. Musikalische Bildung wird in der Waldorfschule groß geschrieben. «Aber diese Konzertreise war ein einmaliges Erlebnis.»

Sechs Auftritte hat das Jugendorchester absolviert. An Schulen, in einem Nobelhotel, einem Park und im größten Konzertsaal der Stadt - zusammen mit dem besten klassischen Orchester der Region, dem «Sichuan Symphony Orchestra». «Das war der absolute Höhepunkt», sagt Volker Felgenhauer.

In nur drei Tagen wurde ein gemeinsames Programm mit berühmten Stücken wie Händels Feuerwerksmusik, aber auch chinesischen Volksliedern einstudiert. «Bei der ersten Probe waren beide Orchester wahnsinnig angespannt», erzählt Jonas’ Bruder Lucas. Der Zwölftklässler spielt die erste Geige und ist als «Konzertmeister» quasi Felgenhauers verlängerter Arm im Orchester. «Das Sichuan Symphony Orchestra ist ja kein Jugendorchester wie wir. Das sind Profis. Aber sie haben sich sehr um uns bemüht.»

«Langnasen» waren Sensation

Normalerweise kommen zu Symphoniekonzerten in Chengdu nur rund 300 Zuhörer. Beim Kulturfestival aber war die Halle mit ihren 900 Plätzen restlos ausverkauft. «Ich hatte die Nacht davor nicht geschlafen», gesteht Felgenhauer, «aber unsere Schüler haben eine ganz außergewöhnliche Leistung geboten.» Das empfanden die Zuhörer genauso. «Zum Schluss gab es Standing Ovations und vier Vorhänge. Wir Langnasen, wie die Chinesen die Europäer nennen, waren eine Sensation. Das hat meine Erwartungen absolut übertroffen.»

Eine Sensation für die Wendelsteiner war die gesamte Reise. 16 Tage China. Eintauchen in eine andere Kultur, in eine fremde, manchmal auch befremdliche Welt.

«Dermaßen gastfreundlich»

«Die Leute sind dermaßen gastfreundlich», beschreibt Volker Felgenhauer die Atmosphäre. «Wir konnten uns auch völlig frei bewegen», ergänzt Wolfgang Debus.

Die Schüler gaben sogar ein spontanes Konzert in einem öffentlichen Park. «Wir wollten auch für ganz normale Leute, die sich vielleicht kein Konzertticket leisten können, spielen», sagt Lucas. «Und auch da waren wir eine echte Attraktion. Da war sofort großes Gedränge. Die Leute waren richtig begeistert. Und wir einfach baff.»

Eine echte Herausforderung für die Wendelsteiner war erwartungsgemäß das chinesische Essen. «Ich wusste meistens gar nicht, was auf dem Teller ist. Es war nur wahnsinnig scharf. Man konnte es aber gut essen», erzählt Jonas. Noch gewöhnungsbedürftiger war der Umgang der Chinesen mit Tieren. «Auf dem Markt wurden lebende Frösche in Tüten verkauft. Es war widerlich.»

Eher abstoßend hat auf Lucas auch das Stadtbild gewirkt: «Da stehen Glaspaläste neben grauen Bruchbuden. Dann diese wahnsinnig vielen Menschen. Mann fühlt sich wie im Ameisenhaufen. Kinder spielen im Dreck, und eine Straße weiter siehst du die Ferraris.» Wolfgang Debus hat das ähnlich empfunden: «Man erlebt auf engstem Raum die größten Gegensätze.»

Besonders beeindruckend aber waren die Besuche in einigen Schulen. Die Waldorfschule Wendelstein hat 452 Schüler. Im Vergleich zu den 56 der Waldorfschule Chengdu ist das sehr viel. Und doch fast nichts gemessen an staatlichen Schulen. «Die haben in Chengdu im Schnitt 4000 Schüler», berichtet Wolfgang Debus.

«Schüler wie Maschinen»

Zahlen, die verblüffen. Was aber mehr als irritiert, das ist der Eindruck vom Schulalltag. Unterricht von 8 bis 21.30 Uhr. Das Wochenende endet am Sonntagabend: mit drei Stunden Unterricht.

Beim Sport müssen sich die Schüler wie Soldaten in Reih’ und Glied aufstellen. Vorne der Lehrer. Gymnastik nach dessen Trillerpfeife. «Die Schüler werden behandelt wie Maschinen. Das ist unvergleichbar mit uns», beschreibt Lucas seine Eindrücke.

Und erst die Unterbringung: «Wir besuchten ein Internat. Da haben vier Schüler in einem höchstens 20-Quadratmeter-Zimmer gelebt. Zwei Stockbetten mit dünnen Matratzen, ein schmaler Schrank, drinnen eine Schuluniform und ein Turnanzug, das war’s», erzählt Lucas weiter. «Ich könnt’ das nicht. Da möchte ich auf keinen Fall wohnen.»

Frische Luft in Amsterdam

Impressionen aus einem Land im Umbruch. In rasantem Tempo ist China auch zur ökonomischen Weltmacht aufgestiegen. Ein Land mit neuem Wohlstand und den Schattenseiten des Wirtschaftsbooms. «Als ich beim Rückflug bei der Zwischenlandung in Amsterdam aus dem Flugzeug gestiegen bin, da konnte ich wieder richtig atmen», sagt Jonas. Wolfgang Debus ging es genauso: «Da haben wir erst richtig gemerkt, wie schweflig die Luft in Chengdu ist.»

Und dennoch: Die erste China-Reise war nicht die letzte. «Ich will schon nochmal hin», sagt Lucas, sein Bruder Jonas nickt. «Aber dort leben: unvorstellbar.»

Ausführlich über die China-Reise berichtet das Jugendorchester im Rahmen ihres Konzerts am Freitag, 27. November, um 19 Uhr in der Aula der Waldorfschule Wendelstein, In der Gibitzen. Da die Plätze begrenzt sind, bittet die Schule um telefonische Kartenbestellung unter der Nummer (0 91 29) 2 84 60. Preis pro Karte: vier Euro.