Corona-Welle

Kreisklinik muss OP-Programm herunterfahren

16.11.2021, 13:45 Uhr
Operationen in der Kreisklinik Roth. Ein Teil der planbaren Eingriffe wurde schon verschoben. Weitere Einschränkungen sind denkbar.  

© Guntram Rudolph Operationen in der Kreisklinik Roth. Ein Teil der planbaren Eingriffe wurde schon verschoben. Weitere Einschränkungen sind denkbar.  

Landrat Herbert Eckstein hatte zur Sitzung nämlich Dr. Stefan Schmitzer, den Leiter des Gesundheitsamtes Roth-Schwabach, und die Rother Klinik-Vorständin Nadine Ortner eingeladen. Sie zeichneten für die nächsten Wochen und Monate ein Bild in dunklen Farben. Sie ließen vor allem Zahlen und Statistiken sprechen. Und machten damit deutlich, warum Bayern und Deutschland da steht, wo es jetzt steht. Und warum andere die Pandemie so gut wie überwunden haben. Der Reihe nach.

Das Gesundheitsamt

Stefan Schmitzer ist nicht zu beneiden. Eine fast dreimal so hohe Inzidenz als im Vorjahr, aber nur noch halb so viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Dr. Stefan Schmitzer  

Dr. Stefan Schmitzer   © Tobias Tschapka

Längst kommt Unterstützung für den Amtsarzt wieder von anderen Behörden. Vom Landratsamt in erster Linie, aber auch vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten oder vom Straßenbauamt. Sie helfen vor allem bei der Kontaktnachverfolgung.

"Wenn die Lage so bleibt, schaffen wir es mit Mühe", sagte Schmitzer im Ausschuss. Aber ob sie wirklich so bleibt? Schmitzer ist skeptisch.

Zu tun gibt es im Gesundheitsamt mehr als genug. Aktuell gibt es alleine im Landkreis mehr als 1000 Infizierte, in Schwabach nähert sich diese Zahl der 400. Die Ansteckungszahlen pro Woche und 100000 Einwohner haben am Wochenende die 500-er-Marke überschritten. Die Nachbar-Landkreise melden noch höhere Werte. "Da kann man sich schon mal ausmalen, wohin die Reise geht", so Schmitzer. "Wir werden uns vorübergehend an vierstellige Werte gewöhnen müssen." Sprich: An Inzidenzen von über 1000.

Die Folgen der Booster-Impfungen und des zunehmenden Drucks auf Ungeimpfte: Dieses Bild entstand am vergangenen Samstag vor dem Schwabacher Rathaus, wo man sich den ersten, zweiten oder dritten Piks ohne jede Anmeldung holen konnte. Die Menschen warteten im strömenden Regen geduldig.  

Die Folgen der Booster-Impfungen und des zunehmenden Drucks auf Ungeimpfte: Dieses Bild entstand am vergangenen Samstag vor dem Schwabacher Rathaus, wo man sich den ersten, zweiten oder dritten Piks ohne jede Anmeldung holen konnte. Die Menschen warteten im strömenden Regen geduldig.   © Arno Heider, NN

Einmal mehr machte Schmitzer deutlich, dass alles an einer ausreichend hohen Impfquote hängt. Um die Delta-Variante des Virus in Schach zu halten, müsste die Quote bei den über 60-Jährigen bei 90 Prozent, bei den übrigen Erwachsenen bei 85 Prozent liegen. Das habe das Robert-Koch-Institut schon im Sommer gesagt. Tatsächlich liegen sie in Bayern bei 83,4 beziehungsweise bei 72,2 Prozent.

Umgekehrtes Verhältnis

Der Landkreis Roth, das zeigen die von unserer Zeitung wöchentlich veröffentlichten Impfzahlen, dürfte sich in diesem bayerischen Schnitt bewegen.

Trotzdem: Während im Land die Geimpften klar in der Mehrzahl sind, ist es bei den Infizierten genau umgekehrt. 21 Prozent der aktuellen Covid-19-Fälle im Landkreis Roth sind Menschen, die doppelt geimpft sind. Aber 79 Prozent sind Ungeimpfte.

In den Bundesländern mit höherer Impfquote sind die Probleme beileibe nicht vorbei, aber doch eher beherrschbar.

Andere Länder in Europa, so Schmitzer, haben die Pandemie gewissermaßen überwunden. In Portugal mit einer fast 100-prozentigen Impfquote bei den Erwachsenen liege die Sterblichkeit bei Corona-Infektionen nicht mehr bei eineinhalb Prozent wie in Deutschland, sondern bei 0,1 Prozent. Damit hat das Virus einen Großteil seines Schreckens eingebüßt. "Das hat dann die Qualität einer schweren Erkältungswelle", so Schmitzer. "Oder einer Grippewelle."

Ein bisschen anders liege der Fall in England. Dort sei die Impfquote insgesamt zwar nicht viel höher als in Deutschland. Aber der Anteil der geimpften Senioren sei höher. Zudem sei der Rest der Bevölkerung schon durchseucht (was das Königreich mit einer im europäischen Vergleich sehr hohen Sterberate bezahlt hat). Jetzt noch vorhandene Impflücken würden durch eine "Nachdurchseuchung" geschlossen, so Schmitzer.

Wäre das auch eine Option für Deutschland, als ständig über die nächsten Beschränkungen zu diskutieren? "Wir wollen diese Durchseuchung möglichst lange strecken, damit im Krankenhaus wirklich jeder die Behandlung erhält, die er benötigt", hielt der Amtsarzt entgegen. Was uns zu Punkt zwei bringt:

Das Krankenhaus

Roth ist keine hochspezialisierte Klinik für Corona-Patienten. Es gibt hier "nur" fünf Intensivpflegeplätze mit Beatmungsmöglichkeit. Auf dreien davon lagen am Montag Menschen mit einer schweren Covid-19-Erkrankung. Einer davon ist doppelt geimpft, gehört aber zur Altersgruppe der Hochbetagten, bei denen der Impfschutz nach einigen Monaten spürbar nachlässt. Die anderen beiden: Ungeimpfte. Alle drei Patienten müssen beatmet werden, einer davon "invasiv".

Schon jetzt, so berichtete Vorständin Nadine Ortner, habe die Klinik ihr geplantes OP-Programm wieder reduzieren müssen. Sollte ein vierter Corona-Patient die Intensivstation benötigen - auf Normalstation werden derzeit zehn Covid-19-Fälle betreut - wird der Plan weiter ausgedünnt. Es sei nicht ausgeschlossen, dass man in absehbarer Zeit nur noch Notfälle operieren könne, weil alle Kraft auf die Pandemiebekämpfung gelegt werden müsse.

Auf Normalstation könnte die Klinik ohne größere Einschränkungen noch vier Patienten aufnehmen. Doch ob das reicht? Erkrankte landen erst mit etlichen Tagen Verzögerung im Krankenhaus. Und vor zwei Wochen war die Inzidenz nur etwa ein Drittel so hoch wie heute.

Diejenigen, die mit Corona in der Klinik liegen, für die kommt eine Impfung zum jetzigen Zeitpunkt zu spät. Für alle anderen werden die Anstrengungen derzeit wieder deutlich intensiviert. Was uns zum dritten Punkt bringt.

Die Impfung

So wie Corona in Wellen übers Land zieht, so ist es auch bei der Impfung. Zuerst war der Impfstoff knapp und das Interesse dafür zu groß. Dann wurde das Land von Impfstoff überschwemmt, aber (fast) keiner wollte ihn mehr. Jetzt hat sich der Wind wieder gedreht. "Wir spüren einen sprunghaften Anstieg des Interesses", so Jörg Pfaffenritter vom Landratsamt Roth in der Sitzung des Kreisausschusses. Doch es sei gar nicht so einfach, die auf Geheiß der großen Politik zurückgefahrenen Kapazitäten in den Impfzentren von heute auf morgen wieder auf- und auszubauen. Ärzte müssten wieder rekrutiert und andere Fachkräfte eingestellt werden.

Überhaupt die Vorgaben aus der großen Politik oder von vorgelagerten Behörden und Ministerien: Soll es die Auffrischungs-Impfung ("Booster") nun für alle über 70-Jährigen (Empfehlung der Ständigen Impfkommission), für alle über 60-Jährigen (Noch-Gesundheitsminister Spahn) oder für alle (Vorschlag aus Bayern) geben? Soll der Abstand zwischen dem zweiten und dem dritten Piks sechs Monate (Stiko, Spahn) oder nur fünf (Bayern) betragen? "Mit jeder neuen Nachricht läuft bei uns die Hotline im Gesundheitsamt heiß", berichtete Amtschef Stefan Schmitzer.

Im Landkreis Roth verfährt man vorerst so: Das Impfzentrum in Roth hat seine Öffnungszeiten wieder ausgeweitet. Vorerst bekommt man die Spritze ohne Anmeldung. "Walk in" heißt dieses Modell.

Die Landkreis-Spitze

Und doch setze man Prioritäten, sagte Landrat Herbert Eckstein. Vorrang hätten immer die, die bislang noch ungeimpft sind. Weil sie nicht nur das größte Risiko für sich selbst haben, sondern auch das größte Risiko für andere sind. Danach könne man "boostern", wobei Eckstein auch hier gerne bestimmten Berufsgruppen Vorrang gewähren möchte: Pflegekräften, medizinisches Personal, Lehrerinnen und Lehrern, Erzieherinnen und Erziehern.

Darüber hinaus geht der Landkreis wieder hinaus in die Gemeinden, um dort Auffrischungsimpfungen anzubieten. Die Gemeinden wurden angeschrieben. Zehn haben bislang Interesse gezeigt. "Die ersten Termine stehen", machte Jörg Pfaffenritter deutlich.

Eckstein warnte schon jetzt: "Das, was wir tun können, werden wir organisieren." Aber es gebe einen Flaschenhals, was den Impfstoff angeht, aber auch was das Personal angeht, das ihn verimpfen könne. "Wir werden nicht alle Erwartungen erfüllen können."

In Sachen Veranstaltungsmanagement warb der Landrat noch einmal ausdrücklich um Zurückhaltung. Dass inzwischen (fast) alle Gemeinden ihre Weihnachtsmärkte abgesagt hätten, fand Eckstein in Ordnung. Nur weil andere etwas falsch machen - Stichwort Karnevals-Auftakt in Köln -, sei das doch kein Grund, um selbst auch etwas falsch zu machen.

Für diejenigen, die dem Glühwein-Ausschank auf dem heimischen Advents- oder Weihnachtsmarkt hinterhertrauern, hatte Eckstein, leicht genervt, diesen Ratschlag parat: "Die können ja derweil in der Hotline helfen. Da wird jede Unterstützung gebraucht."

Der Kreistag

Und was kann der Kreistag, was können die Kreisräte tun inmitten der vierten Welle? Klare Ansagen, klare Aussagen oder doch weiter mit gutem Zureden versuchen, die Impfquote nach oben zu treiben? "Es nützt ja nichts, die Leute zu beschimpfen. Wir müssen weiter versuchen, die Impfskeptiker zu überzeugen", fand Michael Kreichauf.

Andere hatten spürbar mehr Mühe, sich zurückzuhalten. "Zu lange habe man zu viel Rücksicht auf Ungeimpfte genommen", klagte Markus Mahl (SPD). Dabei sei es doch wissenschaftlich erwiesen, dass Ungeimpfte "einen wesentlichen Anteil" zur jetzigen Lage in der Pandemie beitragen würden.

Mahls Kollege Werner Langhans (CSU) warf jenen, die die Impfung verweigern, obwohl sie sich impfen lassen könnten, "mangelnde Solidarität mit den Schwächeren" vor. "Ich sehe da schon eine gewisse Verrohung der Gesellschaft."

Keine Kommentare