Radsport-Idol Karl Kittsteiner

14.8.2020, 09:51 Uhr
Radsport-Idol Karl Kittsteiner
Radsport-Idol Karl Kittsteiner

Rund 400 Siege folgten in seiner langen erfolgreichen Karriere! Zwölf Mal stand er zwischen 1940 und 1955 bei Deutschen Bahn- und Straßen-Meisterschaften auf dem Treppchen! Für die folgenden Generationen des RC Herpersdorf mit den Rekordmeistern Fritz Neuser, Willi Fuggerer, Werner Löw, Gotthard Dinta und Steher-Weltmeister Horst Gnas war der "Kitt", wie ihn seine Freunde und Fans liebevoll nannten, das große Vorbild und Idol. Mit seiner außergewöhnlichen Radsport-Begeisterung und seinem urwüchsigen Humor blieb der Altmeister , der im Juni 100 Jahre alt geworden wäre, in der fränkischen Radsportszene bis heute unvergessen.

"Der Radsport hat mir viel gegeben, es waren die schönsten und interessantesten Jahre meines Lebens und ich habe dabei viel von der Welt gesehen", schwärmte Karl Kittsteiner oft. Als 14-Jähriger fuhr er am 23. September 1934 eigentlich mehr zufällig und aus Neugier sein erstes Radrennen. An diesen Tag erinnerte sich Karl Kittsteiner immer gerne: "Einmal im Jahr war beim RC Herpersdorf die Vereinsmeisterschaft. Es starteten damals alle Jahrgänge in einem gemeinsamen Wettbewerb. Da wollten mein Freund Konrad Kessler und ich endlich auch mal dabei sein. Man lächelte zunächst nur über uns und ließ uns schließlich dann doch mit unseren schweren Tourenrädern mitfahren!" Nach rund 40 Kilometern "Rund um Herpersdorf" lächelte niemand mehr. 1. Vorsitzender Konrad Schwab und Sportleiter Andreas Egerer konnten nur noch staunen, als die zwei Worzeldorfer Buben den Verein respektlos abgehängt hatten! Karl Kittsteiner gewann im Endspurt vor Konrad Kessler! "Neben meinen drei Deutschen Meisterschaften war das für mich einer der schönsten Siege, den ich wohl nie vergessen werde", schwärmte Kittsteiner oft von seinem Debüt.

Die zwei "K’s"

Beim RC Herpersdorf erkannte man damals sofort, welch außergewöhnliche Talente diese jungen Burschen waren. Sportleiter Andreas Egerer nahm sie beide unter seine Fittiche und er sorgte dafür, dass für sie sehr schnell zwei Rennräder angeschafft wurden, die damals ein kleines Vermögen wert waren. "Unsere Familien hätten diese Räder niemals kaufen können, zumal sie gar nichts von der Rennerei hielten, von der man die Schwindsucht bekommt, wie meine Mutter mich sehr eindringlich mahnte", erinnerte sich Karl Kittsteiner.

Zusammen mit Kessler trainierte er fast täglich eisern. Dieser Ehrgeiz zahlte sich aus: Ab 1935 waren die zwei "K’s" kaum mehr zu bremsen! Bereits 1936 hatten Karl Kittsteiner und Konrad Kessler bei sämtlichen Jugendrennen keine Gegner mehr zu fürchten, so dass sie vorzeitig ins Lager der Amateure wechselten. Auch hier eilte das schnelle Duo von Sieg zu Sieg. Karl Kittsteiner war erst 18 Jahre alt, als er in die Nationalmannschaft der Straßenamateure aufgenommen wurde!

Nie vergessen hatte er auch die extrem harten Bedingungen bei den damals sehr langen Straßenrennen in den 1930er-Jahren. "Es war schon eine große Schinderei, denn die Landstraßen waren alle miserabel, je nach Wetter staubig oder schlammig und voller Schlaglöcher. Unsere Rennmaschinen waren doppelt so schwer wie heute, und man fuhr auf Holzfelgen, auf denen die ebenso schweren Ballonreifen aufgezogen waren. Reifenschäden gab es sehr häufig. Die Fahrer mussten Schäden selbst beheben und hatten deshalb immer zwei bis drei Ersatzreifen dabei. Es waren sehr harte Jahre, aber zugleich auch die schönsten meines Lebens!"

In den Jahren 1939 bis 1943 waren Karl Kittsteiner und Konrad Kessler ohne Unterbrechung die besten und erfolgreichsten deutschen Straßenamateure! Ein besonderer Höhepunkt war für Karl Kittsteiner die Deutsche Straßenmeisterschaft der Amateure , die er 1940 in Magdeburg vor Hans Preiskeit (Breslau) und Emil Schöpflin (Berlin) gewann. 1941 wurde er mit dem Team des RC Herpersdorf (mit Kessler, Pfannenmüller und Meyer) Dritter der Deutschen Mannschaftsmeisterschaft über 100 Kilometer. 1942 war Karl Kittsteiner Dritter der Einer-DM, 1943 wurde er hinter dem Berchtesgadener Harry Saager Vizemeister.

Schade nur, dass ihm der 2. Weltkrieg einen Strich durch die weitere sportliche Rechnung machte. 1943 musste Karl Kittsteiner an die Front, schwer verwundet kam er zum Kriegsende mit einem zerschossenen rechten Handgelenk wieder nach Hause. An eine Fortsetzung seiner Laufbahn nach 1945 war nicht mehr zu denken, doch Sportleiter Andreas Egerer ermunterte ihn schließlich doch, seine Karriere fortzusetzen.

Aus hartem Holz geschnitzt

Es zeigte sich dann schnell, aus welch hartem Holz ein echter Straßenfahrer geschnitzt ist. Dass seine rechte Hand für immer teilweise gelähmt blieb und er nur noch zwei Finger bewegen konnte, hielt ihn nicht davon ab, noch im Herbst 1945 mit dem Training zu beginnen. Allerdings musste er eine stützende Ledermanschette tragen, um den Lenker und die Bremsen wieder optimal bedienen zu können.

1946 – der Radsport-Verband war gerade erst wieder neu gegründet worden – beantragte Karl Kittsteiner optimistisch eine Profi-Lizenz. Zum großen Erstaunen seiner Fans fuhr er auf Anhieb auch bei den Berufsfahrern in der absoluten Spitzenklasse mit! Bei der Deutschen Kriteriums-Meisterschaft 1946 belegte er den zweiten Platz. Bei der Zweier-Mannschafts-Meisterschaft über 100 Kilometer wurde er zusammen mit seinem Freund Georg Voggenreiter Deutscher Vizemeister! Kittsteiner ließ selbst Insider staunen. Zum ganz großen Schlag holte er noch im gleichen Jahr bei der deutschen Profi-Straßenmeisterschaft, die er 1946 in Schweinfurt souverän gewann!

Unzählig waren in den Nachkriegsjahren Karl Kittsteiners Siege bei den damals sehr beliebten Rundstrecken- und Aschenbahnrennen. Diese rasanten Rennen, oft mitten in den total zerbombten Großstädten, wurden eine Spezialität des schnellen Allrounders, der 1947 ein neues Metier des Radsports für sich entdeckte: Der Stehersport, der damals noch 10 000 und mehr Zuschauer auf die Rennbahnen brachte, hatte auch Karl Kittsteiner fasziniert.

Am Reichelsdorfer Keller machte er seine ersten Versuche hinter Motoren, die so vielversprechend verliefen, dass er ab 1948 ganz auf den Stehersport umstieg. Sehr schnell eroberte sich Karl Kittsteiner auch hier einen Spitzenplatz unter den deutschen Profi-Stehern. Von 1948 bis 1950 wurde er dreimal Deutscher Steher-Vizemeister, bis ihm 1954 der große Wurf gelang: In einem bis heute unvergessenen Finale über die damals üblichen 100 Kilometer zerlegte er auf der schweren Wuppertaler Piste die gesamte Steher-Elite und holte sich mit 34 Jahren verdient den Deutschen Meistertitel!

Neben dem zwei Jahre jüngeren dreifachen Meister Heinz Jakobi war Kittsteiner bei den vielen großen Steher-Schlachten der 1950er-Jahre erfolgreicher und gefeierter Lokalmatador "am Keller". Als er 1957 nach 24 erfolgreichen Radsportjahren sein Abschiedsrennen fuhr, hatte nicht nur er feuchte Augen. Auch viele treue Fans, die ihm zehn Jahre begeistert zugejubelt hatten, waren sichtlich gerührt. Die Rennbahn blieb noch fünf Jahrzehnte lang sein "zweites Zuhause". Bis zu seinem 90. Geburtstag versäumte der beliebte Altmeister kein Rennen am Reichelsdorfer Keller, die er stets in seiner humorvollen Art kommentierte. "Gut für ihn, dass er das Ende der traditionsreichen Piste nicht mehr erleben musste", sagen viele Fans.

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