Sinnliche Lyrik voller Poesie

8.11.2011, 08:00 Uhr
Sinnliche Lyrik voller Poesie

© Scherbel

Was Oberbürgermeister Matthias Thürauf und VHS-Leiterin Hanne Hofherr sich da am Sonntagabend von einem „Appetizer“ wünschen, weil sie den Erfolg aus den Vorjahren mit Zahlen belegen können, scheint erst einmal auf sich warten zu lassen.

Aber sobald Schauspielerin Nina Hoger und die vier Klezmer-Musiker des Ensembles Noisten auf die Bühne kommen und die ersten Töne zu hören sind, passiert das, was der Titel verspricht: „Tiefer neigen sich die Sterne.“ Es erscheinen Tino von Bagdad, Prinz Jussuf von Theben und Giselheer, der Tiger, und wandeln den Raum zum Märchenzelt.

Die Dichterin Else Lasker-Schüler erobert die zu große Bühne und den kühlen Saal im Sturm. Denn ihre fünf Fürsprecher setzen die ungebändigte Energie und Sinnlichkeit, die poetische Formulierungskraft dieser ungewöhnlichen Frau wunderbar um. Fünfstimmige Harmonie in leisem Ton und vollem Klang.

Nina Hoger verwebt biografische Notizen mit den lyrischen Texten der 1869 in Wuppertal geborenen und 1945 in Jerusalem völlig verarmt verstorbenen Dichterin, flicht Briefe mit ein, die sie an ihren zweiten Mann Herwarth Walden, an ihren geliebten Blauen Reiter Franz Marc oder an „Giselheer“ Gottfried Benn geschrieben hat.

Den freigeistig frechen Humor der unkonventionellen Frau in ihren auffallenden „unmöglichen“ Fantasiegewändern lässt Hoger allein mit einer Silbe, einem Blick aufblitzen. Ihr tiefes Sehnen, ihre Sinnlichkeit bekommen ihren Raum schon in der nächsten Zeile. Chronologisch faltet die Schauspielerin mit der reichen Stimme auf, wer das wohl war, der schwarze Schwan Israels, der Prinz von Theben und die Tino von Bagdad: „Sie dichtete ihr Leben und lebte ihre Dichtung“, sagt Nina Hoger über Else Lasker-Schüler.

„Das Lied meines Lebens“ und „Weltende“ liest die Schauspielerin vor. Berührende Wortkunst der verzweifelt Sehnenden auch im Gedicht an Benn: „Ich bin dein Wegrand.“ Doch Benn hatte geschrieben: „Niemand wird mein Wegrand sein.“

„Mein blaues Klavier“ entsteht 1937, „nachdem die Welt verrohte“. Else Lasker-Schüler war vor den Nationalsozialisten in die Schweiz geflohen. Von einer Reise nach Jerusalem darf sie 1939 nicht mehr in die Schweiz zurückkehren. Sie stirbt 1945.

Vor und nach den gesprochenen Versen erzählen Klarinette und Gitarre, Kontrabass und Trommel weiter. Die vier Musiker Reinald Noisten, Claus Schmidt, Andreas Kneip und Shan Dewaguruparan setzen die Worte in Klang fort. In einem fröhlichen Tanzlied taucht das vorwitzige Mädchen auf, immer schnellere Pirouetten dreht die übermütige junge Frau, melancholisch trägt die Klarinette den Klang der Verse weiter und ein Zauber macht aus Sprecherin und Musikern eine einzige Stimme – mit hellen und dunklen Tonlagen, ungebärdet fröhlich und tief trauernd.

Nina Hoger, deren Mutter Hannelore schon an derselben Stelle zu Gast gewesen ist, stellt sich selbst ganz hinter die Dichterin und gibt ihr damit den kompletten Raum. Und den füllt sie dann gemeinsam mit ihr aus – und tritt mit ihrem „Instrument“ wieder bescheiden zur Seite, wenn die Musiker ihre Stimmen erheben und den Teppich der Erzählungen dann fortweben.

Übrigens: Das Wort vom Appetizer stimmt natürlich, denn dieser Abend macht Appetit, wenn nicht sogar Hunger auf die beiden anderen Lesungen, die das Ensemble Noisten mit Nina Hoger zusammen aufgenommen hat. Eine davon hat Bezug zu Schwabach: Sie stellt die im Jahr 2006 verstorbene Dichterin Hilde Domin vor, die selbst noch in Schwabach gelesen hat.

Keine Kommentare