Sportler des Jahres: Tanzmariechen wird Schützen-Weltmeisterin

2.1.2020, 11:30 Uhr
Sportler des Jahres: Tanzmariechen wird Schützen-Weltmeisterin

© Foto: Peter Tippl

ROTH/RÖTTENBACH/THALMÄSSING. Dafür gibt es viele Beispiele: In aller Regel begeistern sich Kinder über ihre Eltern für eine Sportart. Ist der Papa Fußballer, geht er mit seinem Sprössling zum Kicken auf den Bolzplatz. Zeigt die Mama Leistung am Stufenbarren, wird das Töchterchen beim Kinderturnen angemeldet.

Die Rother Schützin Petra Schwendner gibt jedoch ein gewiss äußerst seltenes Beispiel. Bei der 61-Jährigen war es andersherum. Erfolge und Umfeld ihrer Tochter haben sie motiviert, mit 49 Jahren erstmals zur Sport-Waffe zu greifen. 2019 hat die damit einen Riesenerfolg erzielt. Im wahrsten Sinne des Wortes. Als Senioren-Weltmeisterin mit dem Luftgewehr könnte sie nun Sportlerin des Jahres im Landkreis Roth werden.

Selbst schießen statt lesen

Die heute 26-jährige Theresa Schwendner war Mitglied im Bayern- und im Bundeskader der Schützen, als die Mutter gewissermaßen zur Kommilitonin wurde. Denn Theresa war dauernd unterwegs und die Mama als Fahrerin des Teenagers gefragt. Das weckte ihr Interesse. Zunächst habe sie während des Trainings oder während des Wettkampfes ihrer Tochter gestrickt oder gelesen. Dann aber wollte sie nicht mehr nur herumsitzen. "Weißt Du was, ich mach’ da mit", habe sie sich gesagt. "Ich hatte ja immer die Topleute vor Augen und die besten Trainer um mich herum, die ich fragen konnte", sagt sie, schildert sie die perfekten Bedingungen beim späten Einstieg ohne klassische Vereinsausbildung.

Schnell schoss sie gute Ergebnisse. Erste Erfahrungen bei Wettbewerben konnte sie als Mitglied der SSG Röttenbach sammeln. Seit sieben Jahren gehört sie jetzt zur Bezirksligamannschaft der SG Thalmässing. Mit der Tochter teilt sie nun nicht mehr nur Talent und Leidenschaft für den Schießsport. Denn auch Theresa gehörte schon zwei Mal zu den bemerkenswertesten Sportlerinnen im Landkreis. 2009 und 2012 war sie als Sportlerin des Jahres nominiert gewesen.

Für Petra Schwendner ist aber nicht nur der Ansporn innerhalb der eigenen Familie gegeben. Als ältestes Mitglied der Mittelfränkischen DSB-Pokal-Mannschaft setzt sie sich selbst gewaltig unter Druck. Die Befürchtung, ihren jungen Kameradinnen etwas kaputt zu machen, treibe sie an, sagt sie. "Denn die Mannschaft darf nicht verlieren, nur weil die Alte nicht trifft." Eine Angst, die nicht völlig gerechtfertigt ist, denn das Reglement des Wettbewerbs schreibt einen Senior-Schützen vor. Letztlich ist sie also reguläres Mitglied einer Bezirksauswahl ihres Sports.

Früher war sie Tanzmariechen

Petra Schwendners Titelgewinn bei den Weltmeisterschaften im thüringischen Suhl und der Erfolg bei der Deutschen Meisterschaft zuvor wäre vermutlich jedoch nicht möglich gewesen, wenn sie nicht doch auf gewisse Grundsteine aus ihrer Jugend hätte bauen können. Denn Petra Schwendner führt ihre Klasse beim Schießen auch auf Persönlichkeitsmerkmale und Charaktereigenschaften zurück, die sie in einer anderen Sportart erworben hat. "Ich bin gewiss eine der wenigen, die in zwei völlig verschiedenen Disziplinen an Deutschen Meisterschaften teilgenommen hat", vermutet sie. Petra Lösel, wie sie damals noch hieß, war von 1971 bis 1981 Tanzmariechen und Mitglied der Garde beim RCV Roth. Ihr gutes Nervenkostüm, ihre Fitness, die Konzentrationsstärke, die Fähigkeit, im Training besonders hartnäckig zu sein und sich quälen zu können. All das führt Petra Schwendner auf die Erfahrungen im karnevalistischen Tanz zurück.

Zwei bis drei Mal pro Woche arbeitet sie mit dem Gewehr. Täglich widmet sie sich ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit. Dafür hat sie sich ein eigenes Programm aus Physiotherapie, Krafttraining und Ballett zusammengestellt. In einer Stunde arbeitet sie damit ihren gesamten Körper durch, wie sie die Wirkung beschreibt. Hinzu kommt, dass sie während des WM-Wettkampfs auf den gewiss besten Coach bauen konnte, der aus ihrer Sicht zu haben ist. "Theresa, Du musst mit, allein fahr ich da nicht hin", lautete Petra Schwendners Appell in Richtung Tochter vor der Reise nach Thüringen.

Von der Vergangenheit profitiert

Im Finale konnte sie sich dann nicht nur auf Theresas Tipps verlassen. Auch von ihrer Vergangenheit als Tanzmariechen profitierte sie in außergewöhnlichem Maße. Denn als die letzten Schüsse des gesamten Wettkampfs aufgerufen waren, setzte Musik ein. "Das Publikum hat zu ,We will Rock you‘ geklatscht" , erinnert sich Petra Schwendner. Andere Schützinnen hätte das vermutlich verrückt gemacht. Schließlich handelte es sich um K.o.-Runden. Ein einziger schlechter Treffer hätte also alles zunichte machen können. "Ich aber habe an meine Auftritte als Tänzerin gedacht und konnte mich umso stärker konzentrieren." Vor laut rasender Menge schoss sie sich mit sicherer Hand und genauem Auge zum WM-Titel. Innere Sammlung und Ruhe entwickelten sich dabei offensichtlich so stark, dass sie sogar für Umstehende zu spüren waren. "Du bis echt eine coole Sau", kommentierte eine Konkurrentin Schwendners Leistung.

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