So beeinflusst der milde Winter die Tier- und Pflanzenwelt

25.2.2020, 05:48 Uhr
Bislang haben Nagetiere in diesem Winter noch nicht viel Schnee von ihrem Bau aus sehen können.

© dpa Bislang haben Nagetiere in diesem Winter noch nicht viel Schnee von ihrem Bau aus sehen können.

"Moment mal", sagt Uwe Kirsche vom Deutschen Wetterdienst in Frankfurt und wirft einen Blick auf die Zahlen in seinem Computer. "Wir liegen jetzt drei Grad über dem langjährigen Durchschnitt. Damit erleben wir gerade einen der zehn wärmsten Winter seit 1881. Das ist schon eine Nummer."

Soll und darf man sich freuen, wenn sich viele Tage im Januar und Februar anfühlten wie ein etwas durchwachsener April? Oder kommt in der Natur einiges kräftig durcheinander, wenn das Jahr nur noch drei Jahreszeiten hat?

Die Auswirkungen eines im Schnitt drei Grad zu warmen Winters sind laut Christine Margraf vom Bund Naturschutz (BN) schon deutlich wahrzunehmen. "Viele Pflanzen, die auf Temperatur, nicht auf die Tageslänge reagieren, treiben bereits jetzt aus." Ob das für sie fatale Folgen haben wird, entscheidet sich erst in ein paar Wochen. Wenn dann ein anhaltender Frosteinbruch kommt und Blütenknospen erfrieren, kann das beispielsweise bei Obstgehölzen große Schäden verursachen.

Insekten noch nicht da

Ein anderes, möglicherweise gravierenderes Problem stellt laut Margraf die Frage dar, "wer diese frühen Blüten bestäubt". Denn wenn Sträucher und Obstbäume schon Ende Februar blühen, heiße das noch lange nicht, dass auch schon genügend Bienen, Schmetterlinge oder andere Insekten unterwegs sind.

Wobei es gerade unter den Insekten Arten gibt, denen warme Winter durchaus gefallen – was wiederum aus Sicht des Menschen nicht sehr erfreulich ist. Der Borkenkäfer vermehrt sich dank der lang anhaltenden Wärmeperiode mit einer Generation mehr pro Jahr. Margraf: "Und die Zecken sind sicher auch früher aktiv." Nur eine Stechmückenplage lässt sich jetzt noch nicht prognostizieren. In welchem Ausmaß diese Plagegeister über den Menschen herfallen, hängt ausschließlich davon ab, ob wir ein regenreiches, feuchtes Frühjahr erleben.

 

 

 

Von Hochwasser und anhaltendem Frost verschont, vermehren sich auf den landwirtschaftlichen Wiesen beziehungsweise in deren Untergrund derzeit die Mäuse ganz vortrefflich. Auch wenn die Greifvögel reichlich zugreifen, können der von Mausgängen durchzogene Untergrund und die abgenagten Wurzeln für die Bauern im Frühjahr zum echten Ärgernis werden.

Alles in allem fallen die Klagen der Landwirte über den ausgefallenen Winter aber sehr moderat aus. Anton Huber, Referent des Bayerischen Bauernverbands für Getreide und Ölsaaten, versichert, dass die milden Temperaturen für die Entwickung der Nutzpflanzen am Acker so gut wie keine Auswirkungen hätten. "Für Regen sind wir dankbar, und wichtig ist, dass es keine Spätfroste gibt."

Frost lockert die Böden

Wogegen Minustemperaturen im Januar und Februar durchaus im Sinne der Landwirte gewesen wären. Sie sorgen normalerweise für die sogenannte Frostgare. Huber: "Das Wasser gefriert im Boden, dehnt sich dabei aus und lockert den Boden auf." Wenn dieser Effekt mehrere Jahre hintereinander ausbleibt, hat das durchaus negative Auswirkungen auf das Pflanzenwachstum.



Sehr unterschiedlich bekommt der milde Winter der heimischen Vogelwelt. "Star, Kibitz und Feldlerche, die im Mittelmeerraum überwintern, kriegen es mit, wie das Wetter hier ist und kommen früher zurück", erzählt Sonja Dölfel vom Landesbund für Vogelschutz. "Und je eher sie hier sind, desto besser sind ihr Chancen, ein gutes Brutrevier zu finden."

Sorgen muss man sich dagegen um den Kuckuck machen. Er überwintert im fernen Süd- oder Zentralafrika und kehrt – egal wie die Temperaturen hier sind – stets erst Mitte, Ende April zurück. Nach milden Wintern kommt er damit zu spät, um seine Eier als Brutparasit rechtzeitig in die Nester der bevorzugten Wirtsvögel abzulegen. Die Bachstelze etwa hat ihr eigenes Gelege da schon längst bebrütet, das Kuckuckjunge hat keine Chancen mehr als erstes im Nest zu schlüpfen und anschließend die Eier der Wirtsvögel aus dem Nest zu schmeißen. Ob es an diesem Problem liegt, weiß Sonja Dölfel nicht, aber die Kuckuck-Population in unseren Wäldern scheint tatsächlich rückläufig zu sein.

Echten Stress verursacht der ausgefallene Winter in diesem Jahr vermutlich den ehrenamtlichen Naturschützern, die in der Region die Wanderung der Amphibien durch das Aufstellen kleiner Spezialzäune am Rand stark befahrener Landstraßen oder durch andere Hilfsaktionen begleiten. "Die Tiere sind so früh dran mit ihrer Wanderung wie noch nie", sagt BN-Mann Kai Frobel. Bergmolche, Feuersalamander, Grasfrösche, Erdkröten – alles sei schon gesichtet worden. Wenn es wieder kälter werde oder das Februarende und der März durch Trockenheit geprägt seien, könne die Wanderung viele Wochen dauern. "Früher waren die Tiere schlagartig zu Tausenden unterwegs, jetzt geht das eher tröpfchenweise."

Welche konkreten Folgen die Auswirkungen des Klimawandels auf Tier- und Pflanzenwelt haben, das sei derzeit noch lange nicht abzusehen, sagt Frobel. "Wir erleben gerade so etwas wie ein Großexperiment in Sachen Natur."

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