Surfer-Welle für Nürnberg: Wo München als Vorbild dient

21.8.2020, 06:00 Uhr
"Bucklig" sei sie, die Welle im Münchner Eisbach. Umso spektakulärer reiten die Surfer auf ihr.

"Bucklig" sei sie, die Welle im Münchner Eisbach. Umso spektakulärer reiten die Surfer auf ihr.

Was treibt nur Menschen an, die sich kurz vor Mitternacht an einem niesligen Novembertag in den Münchner Eisbach stürzen, beleuchtet von ihren mitgebrachten Scheinwerfern? Die auch im Dezember nicht davor zurückschrecken und nicht im Januar. Die sich im Sommer mit Dutzenden anderen streiten, wer zuerst auf die Welle darf. Und wenn er dann auf ihr reitet, wie lange.


Alles zur geplanten Surfer-Welle in Nürnberg


Verrückt, nein, verrückt findet Yann Kippe das alles nicht. Seit er vierzehn ist, fasziniere ihn das Wellenreiten, sagt er. Seine ersten Versuche hat er Isar-aufwärts an der Floßlände gestartet, jenem Sehnsuchtsort, an dem die Flöße ihre bierselige Fracht an Land spucken. Später hat er sich über die kleine an die große Eisbachwelle herangearbeitet, sich allmählich den Respekt der Alteingesessenen und die Bewunderung des Publikums erarbeitet.

Der Eisbach: Eigentlich ist er nur einer von vielen Bächen in München, wenngleich der stärkste. Einen Teil seines Daseins fristet er unterirdisch in einem Kanal, knapp zwei Kilometer rauscht er durch den Englischen Garten. Und doch hat er es geschafft und sich zum Symbol für das Münchener Lebensgefühl gemausert.

Das mag auch daran liegen, dass die mittlerweile weltberühmte Eisbachwelle gleich neben der so berüchtigten wie bekannten Nobeldisko P1 liegt. Und daran, dass sich weiter nördlich die Nackten tummeln oder jedenfalls getummelt haben. Eine Sensation vor allem für amerikanische Touristen, die das aus ihrer prüden Heimat nicht kannten. Bis heute gilt der Sprung in den Eisbach unter Jugendlichen als Sport, die sich ein paar hundert Meter treiben lassen, an der Tivolibrücke aus dem Bach und in die Straßenbahn steigen und wieder zurückfahren zum Ausgangspunkt, nackt oder angezogen, je nach Lust und Laune.

Nackt und ohne Ticket

Die Schaffner hatten schon immer das Nachsehen und die Stadtwerke irgendwann ein Einsehen. Nackte haben keine Fahrkarte dabei, was in der Natur der Sache liegt. Heute ist das kurze Stück kostenfrei, muss niemand ein Ticket vorweisen. Einzig die Corona-Pandemie fordert ihren Tribut – ohne Maske kommen auch die Schwimmer nicht in die Tram.

Yann allerdings fasziniert mehr die Welle. "Das Ambiente ist schon cool", sagt er. "Das hat fast eine Stadionatmosphäre." Wenn oben auf der Brücke sich die Touristen fast noch dichter drängen als unten am Ufer sich die Surfer, dann passiert etwas. "Es ist seltsam, wenn man dann vor so einer Smartphonewand surft."

Apropos surfen: Offiziell erlaubt ist das am Eisbach erst seit ein paar Jahren. Als das Areal noch dem Staat gehört hatte, tauchte regelmäßig die Polizei auf. Legendär sind die Wettrennen zwischen den Surfern und den Beamten quer durch den Englischen Garten. Mal gewannen die Uniformierten und kassierten die Bretter ein. Mal waren die Surfer schneller, was barfuß, im Neoprenanzug und mit einem Brett unter dem Arm eine Leistung für sich war.

Die Zeiten sind vorbei. München kaufte das Areal, das längst weltberühmt war und holte die Surfer in die Legalität, in der sie sich schon immer gesehen hatten. Das sei eine eingeschworene Gemeinschaft, erzählt Yann Kippe, der das selbst durchleiden musste. "Gerade für Anfänger ist das eine sehr unentspannte Atmosphäre." Die Platzhirsche drängen sich gerne mal vor, Neulinge werden an die Floßlände verwiesen oder nach gefühlten 30 Sekunden auf dem Brett zum Abtauchen aufgefordert. Wenn sie sich denn überhaupt so lange halten können.

"Szene-Gehabe" nennt Yann das. Aber er weiß um die Risiken für Anfänger. Das Tückische an der Welle ist ihr Aufbau. Ein Balken, den die Wassersportler selbst vor der Brücke installiert haben und aus der eigenen Tasche weiter finanzieren, gibt ihr ein bisschen Gleichmäßigkeit. 16 Granitwürfel mit 20 Zentimetern Kantenlänge hinter der Welle sorgen dafür, dass sie zu einer wird. Und, ungewollter Nebeneffekt, dass der Sport einen zusätzlichen Kick bekommt, weil das Verletzungsrisiko durchaus vorhanden ist. Doch es ist Jahrzehnte her, dass einem Surfer etwas ernsthaft widerfahren ist. Jene, die im Eisbach sterben, ertrinken meist bachabwärts, weil sie betrunken ins Wasser gegangen sind. Und manchmal dauert es Tage, bis der Bach ihre Leichen wieder freigibt.

Surfprofis, sagen die, die die Welle beherrschen, bräuchten mindestens eine Saison, bis sie damit klar kommen. Wobei sie, typisch Münchner Arroganz, vielen Großen der Szene den Sprung in die Welle auch einfach mal verweigert haben, ganz so, als gehörte ihnen der Eisbach persönlich.

Immerhin haben sie damit etwas verhindert, was andernorts längst normal ist. "Bis heute ist das hier nicht kommerzialisiert", sagt Yann. "Das ist wie ein heiliger Graal hier. Da traut sich niemand ran." Klar, es gibt ein paar Werbefilmchen, die sie ab der Welle gedreht haben, und einen Streifen, der in den Kinos lief, gibt es auch. "Die in der Community sehen das kritisch"; erzählt Yann Kippe. "Die wollen sich nicht vermarkten lassen." Selbst die Rapid Surf League, die seit ein paar Jahren durch Städte mit so genannten stehenden Wellen tourt, macht bis heute einen Bogen um München.

"Schwer zu berechnen"

Das, sagt Yann, rette Münchens Welle, lasse ihr ihre Besonderheit, den Charme, den sie hat. "Vielleicht gibt es ein paar wenige, die hierher kommen, damit sie gesehen werden", sagt der 22-Jährige. "Aber eigentlich geht es allen ums Genießen, um den Sport." Die Welle sei der Ersatz für jene, die nicht am Meer wohnen und trotzdem surfen wollen. Und sie sei herausfordernder als jede Meereswelle, "weil sie jedes Mal anders ist, bucklig und schwer zu berechnen."

Heute lebt der 22-Jährige in Berlin und studiert Medizin. Die Gewässer der Hauptstadt fließen viel zu sanft, als dass sie sich zu einer Welle aufbauen ließen. Yanns Surfbrett hängt in München, wenn, geht er hier zum Surfen. Die künstliche Welle im Berliner Wellenwerk, sie wäre weit unter seinem Niveau.

Auch auf der Pegnitz darf bald gesurft werden. Die Bauarbeiten für die Surfer-Welle am Fuchsloch, für sich der Verein "Dauerwelle" schon seit neun Jahren stark gemacht hat, haben Ende Juli bereits begonnen. Das 1,7 Millionen Euro teure Projekt soll - trotz weiterhin ungeklärter Anbindung an den ÖPNV - bis Mai 2021 an den Start gehen.

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