Über 9000 Meter: Das tiefste Loch der Erde liegt in der Region

12.11.2019, 05:57 Uhr
Über 9000 Meter: Das tiefste Loch der Erde liegt in der Region

© Foto: André Ammer

Norbert Neugirg formulierte es gewohnt deftig. "Wir waren hier schon immer am A . . . der Welt, und jetzt haben wir auch noch das Loch dazubekommen", spottete der scharfzüngige Kommandant der Altneihauser Feierwehrkapell’n unter anderem bei einer Art Veteranentreffen der KTB. Viele Akteure des einstigen Großprojekts bei Windischeschenbach treffen sich immer noch in regelmäßigen Abständen, obwohl die Bohrarbeiten am tiefsten Loch der Erde vor mittlerweile 25 Jahren eingestellt wurden.

Im Herbst 1994 stießen die Wissenschaftler in einer Tiefe von 9101 Metern auf das erhoffte Phänomen, das Geologen als Spröd-Duktil-Übergang der Erdkruste bezeichnen. Bei einer Temperatur von 287 Grad und einem Druck von 3800 Bar erreichte der Bohrkopf jenen Bereich, in dem das Gestein aufgrund der enormen Hitze und des gigantischen Drucks zähflüssig wird.

Bohren war ab diesem Punkt nicht mehr möglich, "das wäre dann nur noch wie Rühren im Honig gewesen", erklärt Frank Holzförster, der wissenschaftliche Leiter des Geo-Zentrums an der KTB. Doch auch ein Vierteljahrhundert nach dem Abschluss der Hauptbohrung wird nach wie vor geforscht auf dem Gelände nordwestlich von Windischeschenbach.

Deutsche Universitäten und wissenschaftliche Einrichtungen wie das GeoForschungsZentrum (GFZ) Potsdam betreiben eine ganze Reihe von Messgeräten in den beiden Bohrlöchern der KTB. Neben dem 9101 Meter tiefen Loch gibt es nämlich noch eine etwa 4000 Meter tiefe Vorbohrung, in dem die Wissenschaftler und Techniker damals erst einmal die für dieses Projekt teilweise neu entwickelten Bohrverfahren und -instrumente testeten.

Nahtstelle der Kontinentalplatten

Gemessen und dokumentiert werden auf dem Gelände im Oberpfälzer Landkreis Neustadt an der Waldnaab unter anderem Erdbeben auf der ganzen Welt, und das mit einer Präzision, die angesichts der hervorragenden Messbedingungen im tiefsten Loch der Erde ihresgleichen sucht. Die Gegend rund um die 5000-Einwohner-Stadt Windischeschenbach glänzt nämlich mit einem Alleinstellungsmerkmal, mit dem sie damals erste Wahl war für das bislang größte geowissenschaftliche Forschungsprojekt in Deutschland.

Vor über 500 Millionen Jahren waren nämlich vom damaligen südlichen Großkontinent Gondwana zwei kleinere Kontinentalplatten abgebrochen, nach Norden gedriftet und im Bereich des nördlichen Oberpfälzer Waldes zusammengestoßen. Von der KTB erhoffte sich das damalige Ministerium für Forschung und Technologie deshalb unter anderem wertvolle Erkenntnisse über die Kontinentalverschiebung und die damit verbundenen geologischen Prozesse.


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Umgerechnet über 270 Millionen Euro flossen deshalb zwischen den Jahren 1987 und 1995 in dieses Projekt, von dem auch die umliegenden Ortschaften in hohem Maß profitierten. Gerade Windischeschenbach und seine Ortsteile wurden zu jener Zeit vom Niedergang der Oberpfälzer Porzellan- und Bleiglasindustrie gebeutelt, etwa 4000 Arbeitsplätze wurden im Laufe der Jahre abgebaut.

Und das in einer Gegend, die angesichts der Grenznähe zu Tschechien jahrzehntelang unter dem Eisernen Vorhang zu leiden hatte. Der Kalte Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion versperrte die Märkte und lähmte die regionale Wirtschaft. Da waren die Investitionen in dieses Bohrprojekt und die positiven Folgeeffekte hochwillkommen.

Viel zusätzliche Kaufkraft

Unter anderem ging der Großteil der Bauaufträge an Unternehmen aus der Region, die Zahl der Übernachtungen in Windischeschenbach verdoppelte sich von 38 000 auf fast 80 000 im Jahr 1989, und die zahlreichen Wissenschaftler, Ingenieure und Bohrtechniker, die damals an der KTB mitarbeiteten, sorgten für viel zusätzliche Kaufkraft. Einige blieben auch in der zwar etwas abgelegenen, aber landschaftlich sehr reizvollen Gegend hängen.

"Manche Leute dieser Bohrtrupps waren natürlich auf der Suche nach Mädels, ein paar haben auch hier geheiratet", erzählt Frank Holzförster, der seit elf Jahren das Geo-Zentrum neben dem Bohrturm – mit 83 Metern immer noch der höchste Landbohrturm der Welt – leitet und auch heute noch viele persönliche Kontakte zu einstigen KTB-Mitarbeitern pflegt.

Über 9000 Meter: Das tiefste Loch der Erde liegt in der Region

© Foto: André Ammer

Nach dem Abschluss der Bohrarbeiten sollte das Gelände eigentlich rekultiviert werden, doch der Freistaat Bayern als Grundstückseigentümer stimmte später nicht nur einer wissenschaftlichen, sondern auch einer pädagogischen und touristischen Nachnutzung des Areals zu. Bis zu 25.000 Besucher pro Jahr, darunter zahlreiche Schulklassen, informieren sich in dem inzwischen auch als Umweltstation anerkannten Geo– Zentrum über die damaligen Arbeiten, die daraus gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse und das Innenleben unseres Planeten.

"Die positiven Effekte der Kontinentalen Tiefbohrung wirken bis heute nach – allein dadurch, dass unsere Stadt auf einmal in aller Welt bekannt war", freut sich Windischeschenbachs Bürgermeister Karlheinz Budnik (CSU). Die einstige wirtschaftliche Flaute ist überwunden, die aktuelle Arbeitslosenquote in der Gegend liegt bei drei Prozent, viele Unternehmen interessieren sich für einen Standort in einem neuen, rund 400.000 Quadratmeter großen Gewerbepark an der A 93.

Besonders beliebt bei Touristen ist die Kombination aus einem Besuch des KTB-Areals und einem geselligen Abend in einer der Zoigl-Wirtschaften in Windischeschenbach und Umgebung. Das von örtlichen Kommunbrauhäusern produzierte unfiltrierte Bier ist nämlich ähnlich einmalig wie das ein paar Kilometer entfernt liegende XXL-Loch.

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