Ungelöster Mordfall: Frau in Erlanger Tiefgarage erstochen

11.2.2019, 12:18 Uhr
In dieser Tiefgarage wurde Susanne M. 1999 in Erlangen durch Messerstiche tödlich verletzt. Bis heute ist der Täter unbekannt.

© Hilde Stümpel In dieser Tiefgarage wurde Susanne M. 1999 in Erlangen durch Messerstiche tödlich verletzt. Bis heute ist der Täter unbekannt.

Bis heute ist völlig offen, wer die junge Frau aus dem Kreis Erlangen-Höchstadt umgebracht hat – und vor allem: warum? In zwei Indizienprozessen vor dem Nürnberger Landgericht wurde der mutmaßliche Täter jeweils freigesprochen. Da Mord nicht verjährt, wird die Polizei die Akten erst zuklappen, wenn der wahre Mörder gefasst ist. Noch immer gibt es Ansatzpunkte für Ermittlungen.

"Aktuell läuft in der Sache ein Verfahren gegen unbekannt", erläutert Philip Engl, Sprecher der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth. Es gebe archivierte DNA-Spuren, die man aber nicht zuordnen könne – noch nicht. Die Ermittler hoffen, dass irgendwann in der DNA-Datenbank ein passender genetischer Fingerabdruck "aufleuchtet". Oder sich ein Täter stellt beziehungsweise sich verrät.

Ungelöster Mordfall: Frau in Erlanger Tiefgarage erstochen

© Polizei

Wie jeder "Cold Case" werde auch der Mordfall Susanne regelmäßig wieder vorgelegt, so Engl. Noch im Februar gebe es ein Treffen von Kripo und Staatsanwaltschaft. Zuständig ist dabei nicht die neu gegründete Mordkommission "MK 4", wie die Sprecherin der Polizei Mittelfranken, Elke Schönwald, erläutert. Dieses Team befasse sich nur mit den ungeklärten Tötungsdelikten im Raum Nürnberg – derzeit 46 an der Zahl. Für den Tiefgaragen-Fall ist die Erlanger Kripo zuständig – gemeinsam mit der dortigen Staatsanwaltschaft.

Es war der 5. März 1999 früh um 7.30 Uhr, als Susanne M. wie jeden Morgen mit ihrem Auto in die Tiefgarage an der Erlanger Nägelsbachstraße fuhr. Hier parkte sie auf ihrem Stellplatz, um sodann den Aufzug in die Arztpraxis zu nehmen. Beim Aussteigen muss der Mörder bereits auf sie gewartet haben. Er schlug sie und stach mehrmals mit einem Messer zu.

Kollegin fand Schwerverletzte

Gegen 7.45 Uhr fand eine Kollegin die Schwerverletzte in einer Blutlache liegend. Die 27-Jährige starb noch am Tatort. Dort stellte die Polizei neben etlichen Spuren wie Zigarettenkippen auch eine Messerscheide sicher, konnte die Tatwaffe aber nie finden.

Zehneinhalb Jahre später, am 8. Oktober 2009, besichtigen Prozessbeteiligte und Medienvertreter den Ort des Geschehens an der Erlanger Nägelsbachstraße (r.). Mit dabei war auch der Angeklagte (nicht im Bild), der in Handschellen in die Tiefgarage geführt wurde.

Zehneinhalb Jahre später, am 8. Oktober 2009, besichtigen Prozessbeteiligte und Medienvertreter den Ort des Geschehens an der Erlanger Nägelsbachstraße (r.). Mit dabei war auch der Angeklagte (nicht im Bild), der in Handschellen in die Tiefgarage geführt wurde. © Anestis Aslanidis

Die Ermittlungen gestalteten sich fortan schwierig, wenngleich rasch feststand: Täter und Opfer mussten sich gekannt haben. Zu dieser Überzeugung gelangte ein Profiler. Doch weder im beruflichen noch im privaten Umfeld wurde die zeitweise aus 60 Beamten bestehende "Soko Susanne" fündig. Auch bei "Aktenzeichen XY... ungelöst" und der Sat1-"Fahndungsakte" wurde der Fall ausgestrahlt – ohne Ergebnis.

Erst 2008 kam die Polizei im Zuge eines Missbrauchsverfahrens einem möglichen Täter auf die Spur. Die Staatsanwaltschaft glaubte ein Motiv und damit auch Susanne M.s Mörder gefunden zu haben: Peter S., einen Bekannten der 27-Jährigen.

Missbrauchsfall sorgte für Spur

Der Landschaftsgärtner aus dem Kreis Erlangen-Höchstadt ist der Vater des Patenkindes von Susanne M. Zu dieser Patenschaft war es wohl gekommen, weil Susanne M. eine gute Freundin der Ex-Frau von Peter S. war. 1998, im Jahr vor dem Mord, hatte sich der dreifache Familienvater an seiner damals 13-jährigen Tochter vergangen. Das Mädchen, so vermuteten die Ermittler, habe sich möglicherweise ihrer Patin anvertraut, weshalb der Vater befürchtet habe, dass Susanne M. zur Polizei gehen und den sexuellen Missbrauch zur Anzeige bringen würde.

Auf dieser Prämisse beruhte die Anklage. Im ersten Prozess vor dem Nürnberger Schwurgericht, der von Oktober 2009 bis Januar 2010 dauerte, stritt Peter S. den Mordvorwurf ab, räumte jedoch den Missbrauch der Tochter ein. Genauer gesagt, ließ er dies über seinen Verteidiger erklären. Der damals 44-Jährige sagte nämlich während beider Prozesse kein Wort.

Nach der Anhörung von Dutzenden Zeugen und Sachverständigen sprach das Schwurgericht Peter S. vom Mordvorwurf frei, verurteilte ihn aber wegen sexuellen Missbrauchs zu vier Jahren Freiheitsstrafe. "Es bestehen vernünftige Zweifel an der Täterschaft von Peter S.", erklärte der Vorsitzende Richter damals zum Mordvorwurf. Weder gebe es objektive Spuren noch ein nachvollziehbares Tatmotiv, so die Grundaussage. Dass Peter S. tötete, um damit den Missbrauch an seiner Tochter zu verdecken, passe so nicht: Es gebe keine Beweise, dass Susanne M. von dem Missbrauch ihres Patenkindes tatsächlich etwas wusste.

Opfer hatte sich massiv gewehrt

Außerdem: Die Polizei habe weder DNA-Spuren von Peter S. an der Leiche noch solche von Susanne M. an der Kleidung, im Auto oder in der Wohnung von Peter S. gefunden. Schon damals spielten die DNA-Spuren unter den Fingernägeln des Opfers eine zentrale Rolle, hatte sich Susanne M. doch wohl massiv gegen ihren Mörder gewehrt. Die sichergestellte DNA-Spur einer unidentifizierten männlichen Person müsse die DNA des Täters sein, so der Richter.

Der Paukenschlag folgte im Februar 2011: Auf die Revision, die in erster Linie von der Staatsanwaltschaft betrieben worden war, hob der Bundesgerichtshof das Urteil auf: Der 1. Strafsenat des BGH bemängelte einen handwerklichen Fehler in der Urteilsbegründung, nämlich, dass die Beweiswürdigung der Nürnberger Richter zur Frage des Alibis des Angeklagten nicht ausreichend erörtert worden sei.

Der Fall wurde also zurückverwiesen an das Landgericht. Hier musste der Mordprozess von der 7. Strafkammer neu aufgerollt werden. Doch auch dieses Gericht kam Mitte Juni 2012 zu dem Ergebnis, dass dem Landschaftsgärtner die Tat nicht nachzuweisen war.

In Wohnung abgehört

Der neue Vorsitzende formulierte damals: "Summa summarum: Wir haben nichts!" Weder Zeugen, Sachverständige oder die Expertise eines Profilers, noch die Auswertung von Spuren - nicht einmal Abhörmaßnahmen in der Privatwohnung von Peter S. ("Großer Lauschangriff") - hätten einen Beleg dafür geliefert, dass der Landschaftsgärtner der Täter war.

Co-Verteidiger in der zweiten Hauptverhandlung war der Nürnberger Rechtsanwalt Ralf Peisl. Hatten im ersten Prozess noch der Staatsanwalt lebenslang und die Verteidigung Freispruch gefordert, waren im zweiten Prozess beide Seiten einig, dass hier keine Verurteilung wegen Mordes infrage kam. "Ohne Bauchgrummeln haben wir einen Freispruch beantragt", so Peisl, der seinen Mandanten als jemanden beschreibt, der einer solchen Tat von seiner Persönlichkeit her nicht mächtig gewesen sei.

Einjährige Tochter wurde zur Waise

Nebenklägeranwältin Andrea Kühne, die seinerzeit die Angehörigen von Susanne M. vertrat, erinnert sich: "Die Verfahren waren sehr umfangreich und äußerst emotional." Die Arzthelferin hatte bereits ein schweres Schicksal erlitten: Am Silvestertag 1997 war ihr Ehemann erst 32-jährig gestorben. Im April 1998 brachte die junge Witwe dann ihre Tochter zur Welt.

Als Susanne M. getötet wurde, war ihr Baby noch kein Jahr alt. Anwältin Kühne hofft, "dass man an der Aufklärung des Mordes dranbleibt". Und für Anwalt Peisl steht fest: "Die wahre Geschichte hinter dem Mord ist sicher eine ganz andere." Nach all den Jahren könne nur noch Kommissar Zufall helfen.