Zweifel an dem Szenario

Verteidiger vermuten Beziehungsmotiv hinter Starnberger Morden

11.10.2021, 14:34 Uhr
In der Nacht zum 13.01.2020 sind in dem Wohnhaus in Starnberg drei tote Menschen gefunden worden: ein Ehepaar, das in dem Haus lebte, und dessen Sohn.

© Lino Mirgeler, dpa In der Nacht zum 13.01.2020 sind in dem Wohnhaus in Starnberg drei tote Menschen gefunden worden: ein Ehepaar, das in dem Haus lebte, und dessen Sohn.

Die Anwälte eines als Komplizen angeklagten Slowaken forderten am Montag in München die Verlesung von Chatverläufen zwischen dem Hauptangeklagten und dem Sohn der getöteten Familie. Daraus soll aus Sicht von Rechtsanwalt Alexander Stevens hervorgehen, dass die beiden jungen Männer eine Beziehung hatten.

Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass der heute 21 Jahre alte Hauptangeklagte in der Nacht im Januar 2020 die Starnberger Familie auslöschte - dass er eine 60 Jahre alte Frau, ihren 64 Jahre alten Mann und den gemeinsamen Sohn erschoss. Anschließend habe der Deutsche die wertvolle Waffensammlung des Sohnes gestohlen. Das soll das Motiv gewesen sein. Er steht unter anderem wegen Mordes vor Gericht. Ein 20 Jahre alter Slowake ist als Mittäter angeklagt.

Die Verteidiger des Slowaken äußern immer wieder Zweifel an dem Szenario, das die Staatsanwaltschaft entwirft. Sie betonen auch, dass der Angeklagte nach seinen Handydaten Pornos schaute, als er sich in der Tatnacht im Haus der Familie aufhielt.

Wäre das Motiv für die Tötung eine Beziehungstat, wäre es nach Auffassung Stevens' womöglich "kein Mord, sondern Totschlag, mit einem deutlich geringeren Strafmaß".

Anwälte werfen Polizei Folter vor

Im Prozess um den mutmaßlichen Dreifachmord in Starnberg erhebt die Verteidigung eines der beiden Angeklagten Foltervorwürfe gegen die Ermittler. Es geht dabei um die Vernehmung des Hauptangeklagten. Dieser hatte dabei laut Polizei die Tat gestanden und einen Komplizen benannt. In einem Schreiben an das Landgericht München II fordern nun die Anwälte des angeblichen Komplizen, diese Aussage nicht als Beweismittel zuzulassen. Sie wollen den entsprechenden Antrag an diesem Montag im Gericht stellen - kurz bevor eine ermittelnde Beamtin von der Aussage des Hauptangeklagten berichten soll.

"Erniedrigung, Quälerei und Misshandlung"

Die "angeblich gewonnenen Informationen beruhen auf verbotenen Vernehmungsmethoden", heißt es darin. Die Anwälte werfen der Polizei "Erniedrigung, Quälerei und Misshandlung" vor, wie Rechtsanwalt Alexander Stevens am Sonntag mitteilte.

"Die Zelle war dunkel, abgesehen von einer Neonlampe", schreiben die Anwälte weiter. Der Angeklagte, der ihren mitangeklagten Mandanten in seiner Aussage belastete, sei "entweder ganz nackt oder nur mit einer Unterhose bekleidet und darüber hinaus lediglich notdürftig mit einer braunen Decke" versorgt gewesen. Aufgrund einer schweren Neurodermitis habe der junge Mann "blutige Stellen am gesamten Körper" gehabt. Unter diesen Umständen hätte er nach Ansicht Stevens' nicht verhört werden dürfen.

Polizei weist Foltervorwürfe zurück

Die Polizei weist Foltervorwürfe bei den Ermittlungen zum mutmaßlichen Dreifachmord von Starnberg entschieden zurück. "Der Vorwurf der Folter entbehrt jeglicher Grundlage", sagte ein Sprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Nord am Sonntag.

Die Polizei wollte sich zu den Vorwürfen weiter nicht äußern. "Es gebietet der Respekt vor der Justiz, dass die Polizei in einem laufenden Gerichtsverfahren zu Vorgängen, die in diesem Verfahren behandelt werden, keine Auskunft erteilt. Sofern die Verteidigung derartige Vorwürfe bei Gericht vorbringt, werden sie Gegenstand der richterlichen Überprüfung sein", sagte der Sprecher.

Die Vernehmung des Deutschen, bei der er nach Polizeiangaben gestanden hatte, seinen Freund und dessen Eltern in deren Haus in Starnberg erschossen zu haben, wurde nach Angaben Stevens' nicht aufgezeichnet. Dadurch habe "die Folter (...) offensichtlich kaschiert werden" sollen.

Stevens und seine Kollegen verteidigen in dem Aufsehen erregenden Kriminalfall den slowakischen Mitangeklagten (20), der den mutmaßlichen Haupttäter zum Haus der Familie gefahren und nach der Tat wieder abgeholt haben soll.

Anwälte sprechen von Folter

Die Anwälte, die nun von Folter sprechen, vergleichen die Vorwürfe mit denen im Fall des ermordeten Bankierssohns Jakob von Metzler.

"Angesichts der Tatsache, dass im tatgegenständlichen Fall die Opfer bereits vor der Vernehmung tot waren und im hiesigen Fall – anders als im Fall des Kindermörders Markus Gäfgen – konkrete Foltermethoden angewendet (und nicht nur angedroht) wurden", wiege die Folter, die ihr Mandant erfahren habe, ungleich schwerer, hieß es in der Mitteilung der Anwälte.

Das Landgericht Frankfurt hatte dem verurteilten Mörder Markus Gäfgen vor rund zehn Jahren 3000 Euro Entschädigung zugesprochen, weil die Polizei ihn mit Folter bedroht hatte. Bei dem Verhör am Morgen des 1. Oktober 2002 ging es um den Aufenthaltsort des entführten Jungen. Gäfgen offenbarte unter Druck das Versteck von Jakob, den er schon vier Tage zuvor getötet hatte.


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