Für zwei Monate als Stadtschreiber in Weißenburg

16.6.2020, 06:58 Uhr
Für zwei Monate als Stadtschreiber in Weißenburg

© Foto: Jan Stephan

"Sehr schön", schwärmt Clemens Berger von seinen ersten Eindrücken in der Stadt. "Vor allem wahnsinnig idyllisch. In so einer Geschlossenheit habe ich das noch nicht erlebt", erzählt der gebürtige Burgenländer und Wahl-Wiener. Nur das mit dem Wetter sei ausbaufähig. "Als ich im März da war, war es auch nass. Das zieht sich so als Konstante durch", lacht er mit seinem Regenschirm in der Hand auf dem Weißenburger Marktplatz.

Die vergangenen Tage hat er trotzdem genutzt, um sich die Stadt ein wenig zu erlaufen. "Am Samstag war ich auf der Wülzburg und das Bergwaldtheater haben wir mit meinen Schwiegereltern aus Berlin auch gleich inspiziert." Er wolle nun langsam die Stadt entdecken. "Ich mache das, was ich immer tue. Ich gehe spazieren, rede mit Leuten, höre zu, tauche ein, erkunde die Gegend. Man muss verstehen, wie so eine Stadt funktioniert."

Das System Kleinstadt kennt der 41-Jährige. Er wuchs im burgenländischen Oberwart auf, wo Österreich auf den Balkan trifft, Ungarisch, Kroatisch und Deutsch nebeneinander existieren. "Eigentlich wollte ich Fußballer werden", erzählt er von seiner Jugend. Und ganz illusorisch war das nicht. Beim SV Oberwart spielte er in den Nachwuchsteams und der Reserve eines österreichischen Zweitligisten und bekam sogar ein kleines Gehalt überwiesen. Heute noch ist der glühende Anhänger von Rapid Wien leidenschaftlich gerne selbst am Ball, unter anderem im Team der österreichischen Autorennationalmannschaft.

Neben dem Fußball hatte er aber eine zweite Leidenschaft. "Zuerst war ich Leser, dann habe ich selbst geschrieben. Mit zwölf, 13 Jahren. Abenteuergeschichten. Ein cooler Typ auf einer Vespa, Lucky Strike rauchend", lacht Berger. "Die Geschichten führten nie irgendwohin." Später schrieb er Gedichte, was er aber für sich behielt. "Ich war ja Fußballer und ein cooler Typ." Im Mannschaftsbus hatte Berger aber trotzdem seinen Peter Handke dabei, während der Star des Teams mit dem Playboy unter dem Arm den Bus betrat.

Sein schriftstellerisches Erweckungserlebnis war der Gewinn eines Europäischen Literaturwettbewerbs. "Ich bekam einen Anruf aus Wien und man sagte mir, dass ich den ersten und zweiten Platz gewonnen hatte", erinnerte sich Berger. Mit den Preisträgern der anderen Länder war er eine Woche in Brüssel und Straßburg und eine Woche in Israel unterwegs. "An meinem 18. Geburtstag bin ich in Jerusalem aufgewacht und hab‘ mir gedacht, dass das schon was ist. Du schreibst was und kommst damit in der Welt herum."

Mit 18 ging es für Berger nach der Matura in die Stadt. "Etwas anderes als Wien war für mich nicht vorstellbar." Dort spielte er weniger Fußball, veröffentlichte neben seinem Philosophie-Studium aber immer mehr. Irgendwann kam der erste, dann der zweite Roman, und Berger stellte fest: "Ich kann davon leben." Neun Bücher hat der 41-Jährige inzwischen veröffentlicht, im August erscheint mit "Der Präsident" sein neuester Roman.

Das Angebot aus Weißenburg kam gerade zur rechten Zeit. Das eine Projekt abgeschlossen, noch kein anderes angefangen. "Wir waren in Venedig, als wir davon erfuhren, und haben erst mal nachschauen müssen, wo Weißenburg eigentlich ist. Dann haben wir aber schnell gesagt: Dass wird unser Sommer." Eine hübsche Kleinstadt, mitten im Grünen, dazu die Seen und ein spannendes Projekt . . .

Eine Idee für sein Weißenburg-Stück hat Berger schon. "Die ist mir in einem Wiener Kaffeehaus gekommen als ich mich mit Regisseur Georg Schmiedleitner getroffen habe." Berger will sich nicht mit Weißenburgs Vergangenheit beschäftigen, sondern einen Blick in die Zukunft werfen. "Im Moment bin ich in der Sammlungsphase, aber ich hatte bei den ersten Spaziergängen schon gute Ideen, wie man manche Dinge auch formal lösen kann."

Nach dem Sommer-Aufenthalt der Familie will Berger im Oktober oder November noch ein zweites Mal in die Stadt kommen, um dort für einige Wochen zu leben. Dann dürften auch die Strukturen des neuen Stücks schon etwas klarer sein. Clemens Bergers Weißenburg-Aufenthalt wird in der literarischen Welt jedenfalls schon mal mit Sympathie betrachtet. Auf Bergers Facebook-Post der Weißenburger Seeweiher-Stadtmauer antwortete mit Nora Gomringer eine Bachmann-Preisträgerin mit guten Wünschen aus dem nicht minder hübschen Bamberg.

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