Der Holzinger Tim Freitag startet beim Challenge

6.7.2019, 08:00 Uhr
Der Holzinger Tim Freitag startet beim Challenge

© Foto: Privat

"Für mich waren das alles Verrückte", erzählt Tim Freitag und lacht, als er von seinem ersten Mal als Zuschauer beim Challenge Roth erzählt. "Sich so was anzutun, das machte für mich keinen Sinn." Keine drei Jahre später sitzt er auf einer Terrasse und erzählt, wie sehr dieser Challenge seit einem Jahr sein Leben prägt. Tim Freitag wird am 7. Juli bei der weltgrößten Triathlon-Veranstaltung der Langdistanz an den Start gehen. Zusammen mit rund 4000 Startern aus 76 Nationen wird er 3,8 Kilometer schwimmen, 180 Kilometer Rad fahren, 42,2 Kilometer laufen.

Tims Geschichte ist besonders, weil er in wenigen Jahren von einem normalen Teenager mit ein paar Kilo zu viel zu einem Extremsportler wurde. Der Triathlon der Langdistanz findet im Grenzbereich des menschlichen Körpers statt. Ein normal-sportlicher Fußballer würde aus dem Stand wohl keine einzige der drei Disziplinen schaffen, die da auf dem Programm stehen. Triathleten machen sie nacheinander am Stück weg.

"Ich mache zurzeit wenig anderes als zu arbeiten und Sport zu machen", erzählt Tim Freitag. Bis zu 20 Stunden die Woche muss er in seiner 40-Stunden-Arbeitswoche bei Brose in Coburg unterbekommen. Wenn andere morgens auf die Arbeit kommen, hat Tim schon Yoga und eine Einheit Schwimmen oder Laufen hinter sich. Wenn die anderen nach einem Arbeitstag in Richtung Feierabend und Couch gehen, findet für Tim die zweite Einheit statt. Und wenn die Kollegen sich abends mal fürs Kino verabreden, liegt der 22-jährige Holzinger meist schon im Bett. Er muss ja früh raus für die erste Einheit. So ein Sportlertag beginnt um 4.30 Uhr und endet um 20.30 Uhr.

"Der Winter war brutal hart", erzählt er von seinen Erfahrungen, "In der Früh ist es noch und nach der Arbeit schon wieder dunkel. Und du musst dich immer wieder aufraffen." Aber der Winter ist es eben auch, in dem die Zeiten gemacht werden. "Da wird die Grundlage gelegt, im Frühjahr reißt du nichts mehr", weiß der 22-Jährige. Gerade war er in Treuchtlingen auf der Laufbahn, um Intervalltraining zu machen. "Früher hat man gesagt, ein halbes Jahr Grundlage, ein halbes Jahr Geschwindigkeit, ich mache das im dreimonatigen Wechsel."

Als Triathlet im Amateurbereich ist es aber nicht damit getan, viel laufen, schwimmen und Rad fahren zu gehen, man muss sich auch einiges an theoretischem Wissen draufschaffen. Man sollte ein solider Fahrradschrauber sein, sich mit Trainingslehre auseinandersetzen, physiotherapeutische Grundkenntnisse haben und natürlich muss man auf die Ernährung achten. Auch die richtet sich bei Tim längst nach dem Sport.

"Sport ist ja mal grundsätzlich Stress für den Körper, und wenn du deinem gestressten Körper mit einem ungesunden Essen noch mehr Stress zumutest, braucht er länger bis er regeneriert", erklärt Tim Freitag. "Dann wird halt die zweite Einheit an dem Tag eher beschissen laufen." Der 22-Jährige ernährt sich überwiegend vegan, gelegentlich vegetarisch. Viele Hülsenfrüchte, Salat, Gemüse, Trockenobst, und all das in erheblichen Mengen, denn irgendwo wollen die Kalorien ja herkommen, die tagtäglich bei mehreren Stunden Sport verbrannt werden.

Tims Entwicklung zum Extremsportler ist über wenige Jahre abgelaufen. Im Teenager-Alter hatte er eher ein paar Kilo zu viel auf der Waage und beschloss, mehr Sport zu machen. Mitte 2015 erst kaufte er ein Rennrad und fuhr mit einem Freund aus der Nachbarschaft seine Runden. Und auf einmal wirkten die Athleten in Roth gar nicht mehr so wahnsinnig.

"Es hat sich am Anfang keiner so recht sagen trauen, aber wir wollten das mit dem Triathlon auch machen", erinnert sich Tim Freitag an die Anfangszeit. Irgendwann hat es sich dann einer der beiden getraut, und aus dem Feierabendsport entwickelte sich eine Art Triathlonzentrum Ziegelfeld. So heißt die Siedlung im Weißenburger Ortsteil, in der neben Tim Freitag, der für die Eintracht Kattenhochstatt startet, auch seine Schwester Tina und die beiden Nachbarskinder Lucas und Jonas Stengel diesen Sport auf starkem Niveau betreiben.

Das Training der vergangenen zwei, drei Jahre hat viel mit dem jungen Holzinger gemacht. "Die Grenzen verschieben sich", erzählt er. "Ich weiß noch, früher war das Limit, wenn man mit dem Rad mal an den Brombachsee gefahren ist. Heute fahre ich meistens 100 Kilometer, wenn ich mich aufs Rad setze." Fit wie noch nie in seinem Leben sei er, und langsam fängt das Rechnen an. "Vielleicht fünf Prozent der Starter schaffen es, dass sie sagen, sie wollen nur ankommen. Der Rest rechnet und will eine bestimmte Zeit." Tim gehört nicht zu den ersten fünf Prozent. Unter zwölf Stunden sei sein Ziel gewesen, inzwischen hält er die elf Stunden für knackbar, wenn denn die Tagesform stimmt. "Von der Zeit her ist das Mittelmaß, aber für mich wäre das super."

Die deutlich mehr als 200 000 Zuschauer entlang der Strecke sorgen für Euphorie und viele Bestzeiten. Aber sie sind auch eine Gefahr. Wer es übertreibt, geht hintenraus ein. Deshalb fährt Tim Freitag etwa auf dem Rad streng nach Zahlen. Er weiß, wie viel Watt er in die Pedale drücken kann, ohne körperlich ins Minus zu gehen. "Wenn da aber viele Zuschauer sind und dich einer überholt, mit altem Rad und dickem Bauch, dann lässt du die Zahlen Zahlen sein und trittst rein", erzählt er. "Das machen alle Triathleten so."

Die Euphorie ist gefährlich

Und wer die Bilder vom Solarer Berg kennt, wo die Triathleten mit dem Rad durch eine enge Gasse den Berg hochkurbeln, frenetisch gefeiert von den Tausenden Zuschauern, der kann sich gut vorstellen, dass man den Watt-Messer dann mal für ein paar Minuten aus dem Blick lässt.

Je näher der Challenge rückt, desto mehr steigt die Nervosität und auch die Angst kommt langsam. "Ich bin da im Moment leicht panisch. Im Besprechungszimmer auf der Arbeit muss immer die Klimaanlage aus sein und im Auto genauso", erklärt der 22-Jährige. Eine Erkältung kurz vor dem Challenge. Ein Albtraum. "Ich habe da einen relativ hohen Einsatz gebracht, das wäre übel, wenn ich da nicht starten kann." Deshalb passt er auch bei seinen Radfahrten besonders auf und hat jedes Auto im Blick.

Der Holzinger Tim Freitag startet beim Challenge

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Im Prinzip hat ihn ein Radunfall vor einem guten Jahr überhaupt erst zum Challenge gebracht. Nach einer Schulter-OP konnte er monatelang weder Rad fahren noch joggen gehen. "Das hat mich so aufgeregt, dass ich das mit dem Challenge angegangen bin, sobald ich wieder fit war." Um einen der rund 4000 Startplätze zu ergattern, die elektronisch mittlerweile nach wenigen Minuten vergriffen sind, musste er sich mit anderen lokalen Triathleten um vier Uhr morgens in Roth vor das Büro des Challenge setzen, um einen der regionalen Plätze zu ergattern. 499 Euro muss man zahlen, damit man das Recht hat, sich ein Jahr später einen halben Tag lang zu schinden.

Ein wenig Geld muss man als Triathlet aber ohnehin mitbringen. Denn auf der Strecke gibt es schon auch eine Materialschlacht. Von den Laufschuhen über den Neoprenanzug bis zum kostspieligen Zeitfahrrad. "Der Triathlet an sich hat die Tendenz, sich das Training sparen zu wollen und dafür lieber Geld auszugeben", lacht Tim Freitag. Bei bis zu 20 Stunden Training in der Woche kann man das wohl kaum einem übel nehmen.

Wie Tims Challenge-Premiere laufen wird, weiß er am 7. Juli. Finisht er, wird er sich vermutlich in einem eigenwilligen Hochgefühl aus emotionalem Glück und körperlicher Erschöpfung befinden. "Die Ferienwohnungen in Roth, die barrierefrei sind, die sind immer als Erste weg", erzählt Tim Freitag lachend. "Treppensteigen ist danach erst mal eine Herausforderung." Eine Woche lang werde er sicher brauchen, um sich zu erholen. Vielleicht geht er dann mal mit den Kollegen ins Kino. "Das steht schon auf dem Zettel für die Zeit nach dem Challenge, so was wieder mehr zu machen." Dem Triathlon-sport wird Tim Freitag aber auf Dauer treu bleiben. "Das ist ein wunderbarer Sport, den ich so lange machen will, wie es geht."

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