Die Krise geht den Weißenburgern auch auf den Geist

6.4.2020, 12:00 Uhr
Die Krise geht den Weißenburgern auch auf den Geist

© Foto: Ina Brechenmacher

  "Wir müssen hier die Stellung halten," erklärt Gregor Plaskacewicz-Hoffmann, leitender Oberarzt der Psychiatrischen Institutsambulanz und der Tagesklinik in Weißenburg. Die beiden Angebote im Neubau am Weißenburger Krankenhaus laufen weiter, die Plätze der Tagesklinik wurden jedoch von 20 auf 15 reduziert. Ihm fällt es schwer, nach zwei Wochen Ausgangsbeschränkung schon ein Fazit zu ziehen. Auf längere Sicht erwartet er jedoch, dass es durch die Pandemie auch mehr Herausforderungen im Bereich der seelischen Gesundheit geben wird.

Telefonische Luftbrücke

Menschen mit Depressionen kann es beispielsweise schwerfallen, ihr Haus zu verlassen, um an der frischen Luft spazieren zu gehen und so neue Kraft zu tanken. Auch Zwangs- und Angststörungen können sich verschlimmern. "Ich kenne ja meine Pappenheimer", meint der Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, der nun jeden seiner Patienten zu Corona befragt und besonders aufpasst, wenn Patienten mit Zwängen nun auf einmal mit Einweghandschuhen zu ihm kommen.

Vor ein paar Tagen erreichte die Awo-Tagesstätte Brücke eine handgeschriebene Nachricht einer ihrer Besucherinnen. "Danke, Danke, Danke, Danke für die Telefon-Luftbrücke" steht darauf in verschiedenen Neon-Farben geschrieben. Gemeint ist der neue Telefondienst des Brücke-Teams, das seit der vorübergehenden Schließung nun täglich telefonischen Kontakt zu seinen Besuchern hält. "Viele unserer Klienten leben allein und nicht in Familien", erklärt Norbert Fiedler, der Leiter der Tagesstätte, "deswegen bieten wir jetzt eine telefonische Luftbrücke in die Isolation an".

Die Tagesstätte der Arbeiterwohlfahrt in der Nähe des Arbeitsamtes bietet sonst für rund 40 Besucher pro Tag eine feste Struktur mit Beschäftigung und sozialen Kontakten, was den Betroffenen ein Leben außerhalb von Kliniken und Heimen ermöglicht. "Manche kommen weiter zu uns – mit denen unterhalten wir uns dann einfach kurz am Fenster", erzählt Fiedler. Manchmal müsse er auch nochmal erklären, was eine Ausgangsbeschränkung genau bedeutet. "Für viele Klienten löst die Situation Krisen aus – manche von ihnen weinen auch offen am Telefon."

Auch die Gruppenräume der Kiss Weißenburg ein paar Straßen weiter bleiben erstmal leer – hier treffen sich normalerweise Selbsthilfegruppen und Mitarbeiter beraten Hilfesuchende. Tanja Günther, Sozialpädagogin und Leiterin der Weißenburger Kiss, die wir im Homeoffice erreichen, telefoniert gerade alle Gruppen ab. "Viele haben sich bereits schon vernetzt", erzählt sie uns, "andere machen wir auf Möglichkeiten von virtuellen Treffen aufmerksam".

"Das Problem ist, dass das Ziel unklar ist", bemerkt die Pädagogin im Hinblick auf eine mögliche Verlängerung der Ausgangsbeschränkungen. Es fehle der regelmäßige, persönliche Austausch, der vor allem für Suchtkranke eine wichtige Stütze im Alltag darstellt. "Ich glaube, dass noch ganz viel auf uns zukommen wird", bemerkt sie. Trotzdem bleibt sie hoffnungsvoll – die Einrichtung von virtuellen Treffpunkten könnte in Zukunft auch neuen Zielgruppen helfen.

Lehren aus der Vergangenheit kann der Oberarzt der Tagesklinik, Gregor Plaskacewicz-Hoffmann, nur schwer ziehen. "Es war schon immer so, dass in Krisen erstmal andere Themen wichtiger waren", erklärt er im Hinblick auf die seelische Gesundheit. Lese man beispielsweise über die Spanische Grippe im Jahre 1918, ist der psychische Zustand der Leute überhaupt kein Thema. Dabei geht er davon aus, dass es durch Pandemien auch immer mehr Menschen mit seelischen Problemen gibt.

Neue Krisen kommen

Ein wunder Punkt ist dabei oft das Berufsleben. Gibt es nun neue Probleme im Job, mehr Stress und finanzielle Nöte, kann das zu mehr Sorgen und Zukunftsängsten führen. Auch wenn Routinen, die uns sonst ein gutes Gefühl gegeben haben, wegbrechen und wir uns auf einmal einsam fühlen, kann das schnell zur seelischen Unausgeglichenheit führen. Mit neuen Ansätzen und Routinen lässt sich diesem Stress entgegenwirken. Der Leiter der Tagesstätte Brücke, Norbert Fiedler, verschreibt seinen "Klienten" vier Spaziergänge pro Tag: "Bewegung an der frischen Luft ist das beste Psychopharmakon – und das ganz ohne Nebenwirkungen."

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