Selbsthilfegruppen in Weißenburg dürfen sich treffen

16.11.2020, 06:06 Uhr
Selbsthilfegruppen in Weißenburg dürfen sich treffen

© Foto: Markus Steiner

Die Leiterin der Kiss in Weißenburg ist froh, dass sich Selbsthilfegruppen trotz steigender Corona-Zahlen wieder treffen dürfen, wenn die Hygieneregeln eingehalten werden. Denn die Selbsthilfekoordination Bayern hat mit dem Bayerischen Gesundheitsministerium eine Regelung gefunden, dass für medizinisch sinnvolle Gruppen weiterhin Präsenztreffen stattfinden können.

Für Helmut Roßkopf und Dieter Kruse, die beide die Gruppe des "Blauen Kreuz" leiten, ist die neue Regelung ein Segen. Die beiden waren in ihrem früheren Leben selbst Alkoholiker und bezeichnen sich nach etlichen Jahren oder sogar Jahrzehnten der Abstinenz selbst als "trockene Alkoholiker". Dieter Kruse weiß aus Erfahrung, wie wichtig die Selbsthilfegruppe für die Menschen sein kann, die gerade eine Entwöhnung hinter sich haben.

"Die Selbsthilfegruppe gibt einem die nötige Motivation und neue Impulse", ist er überzeugt. Er selbst trinkt seit 26 Jahren keinen Alkohol mehr. Dennoch ist ihm die Selbsthilfegruppe noch immer wichtig: "Der Austausch mit Gleichgesinnten gibt mir immer wieder neue Impulse." Zudem wisse er, dass für einen trockenen Alkoholiker vor allem eines wichtig sei: "Konsequenz".

Rituale helfen, mit der Sucht umzugehen

In der Selbsthilfegruppe, die zwischen sechs bis acht Mitglieder besuchen, wird jedes Mal Rückschau auf die vergangene Woche geworfen. Dieses Ritual kann Tanja Günther zufolge auch mithelfen, dass die Suchtkranken stabil bleiben.

Auch Helmut Roßkopf weiß durch sein persönliches Schicksal, dass Alkoholmissbrauch und Sucht ganze Familien zerstören können. 1998 habe er seinen persönlichen Tiefpunkt erreicht: Er verlor seinen Führerschein und die eigene Frau verließ ihn wegen seiner Alkoholsucht. Heute ist Helmut trocken und hat seine Frau wieder zurückerobert, mit der er inzwischen seit 41 Jahren verheiratet ist.

"Ich hätte das damals nie geglaubt, dass ich das schaffe, ganz ohne Therapie." Nur mit seinem festen Willen, den Glauben an Gott und mit der Unterstützung der Selbsthilfegruppe habe er das Unmögliche möglich gemacht. "Gruppengespräche machen frei und helfen", weiß er.

Sein Gegenüber Dieter pflichtet ihm bei: "Jeder hat mal mit nur einem Monat Abstinenz angefangen, auch wir. Deshalb wollen wir neue Mitglieder durch unsere Geschichten auch motivieren." Helmut plant, irgendwann einmal über seine Lebensgeschichte ein Buch zu schreiben.

Online oder Telefon ist kein Ersatz

Tanja Günther ist ebenfalls froh, dass sich die Selbsthilfegruppen jetzt wieder mit dem Segen des Gesundheitsminsteriums treffen dürfen, das auch erkannt habe, wie wichtig diese Gruppen sind, die nie durch Online- oder Telefonkonferenzen ersetzt werden könnten.

Ihr Lob schließt auch das Landratsamt in Weißenburg ein, das noch vor der offiziellen Freigabe durch das Ministerium eine Ausnahmegenehmigung für Treffen erteilt habe.

Sie selbst habe beim ersten Lockdown nicht verstehen können, warum die Geschäfte schon wieder öffnen durften, sich die Selbsthilfegruppen aber noch nicht treffen durften. "Da geht es ja vor allem auch um die psychische Stabilität, und einige wurden rückfällig, weil ihnen der Kontakt und Austausch zu Gleichgesinnten fehlte."

Eine Einschätzung, die auch alle Mitglieder der Selbsthilfegruppe "Depression" so unterschreiben können. So bestätigt eine Dame, die sich Emma nennt: "Es war total beschissen während des ersten Lockdowns, als wir nur telefonieren konnten. Die Gruppe hat mir total gefehlt." Nur in der Gruppe habe sie das Gefühl, dass sie auch richtig verstanden werde, weil eben alle das gleiche Schicksal und die gleichen Erfahrungen teilten.

"Ein Anker"

Cindy, die neben ihrem Beruf keine Sozialkontakte zu anderen Menschen hat, pflichtet ihr bei: "Ich freue mich jedes Mal auf die Gruppe und die sozialen Kontakte bei Kaffee und Kuchen." Ohne die regelmäßigen Gruppentreffen verstärkten sich die Depressionen bei ihr.

Auch für Micha, gesteht der große, kräftige Mann, sei die Gruppe "wie ein Anker, der mich hält". Die Selbsthilfegruppe sei wie eine große Familie. Deshalb sei der erste Lockdown für ihn auch "ziemlich brutal" gewesen.

Die Treffen, die jetzt wieder erlaubt sind, "tun mir gut und sind wie ein Lichtblick". Vor allem auch, weil sich in der Gruppe alle gegenseitig verstehen würden. "Hier kann man sein, wie man ist", fasst Cindy zusammen und alle anderen nicken. "Gott sei Dank hat sich Tanja für uns eingesetzt."

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