Das Weißenburger Gymnasium zeigt "Verbrennungen"

So anspruchsvoll kann Schultheater sein

Selina Yildiz

Weißenburger Tagblatt

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28.6.2022, 13:04 Uhr
Diese „Verbrennungen“ hinterlassen zwar keine Narben, aber dafür bleiben sie lange im Gedächtnis. Das Oberstufentheater des Gymnasiums hat ein Stück gewählt, das keinen Zuschauer kaltlässt. Hier eine Szene, in der Sauda (Hannah Alberter) und Nawal (Duygu Cengiz) vom Militär heimgesucht werden.  

© Selina Yildiz, WT Diese „Verbrennungen“ hinterlassen zwar keine Narben, aber dafür bleiben sie lange im Gedächtnis. Das Oberstufentheater des Gymnasiums hat ein Stück gewählt, das keinen Zuschauer kaltlässt. Hier eine Szene, in der Sauda (Hannah Alberter) und Nawal (Duygu Cengiz) vom Militär heimgesucht werden.  

Kanada, Gegenwart. Nachdem das Testament von Nawal (Duygu Cengiz) nach ihrer Beerdigung verlesen wird, sind die Zwillinge Jeanne (Sina Luff) und Simon (Michael Rohmer) kaum am Erbe ihrer Mutter interessiert. Eher sind sie wütend, denn Nawal hat die letzten fünf Jahre ihres Lebens nicht mehr gesprochen.

Die beiden ahnen nicht, dass es eine unglaubliche Last war, die ihre Mutter zum Schweigen gezwungen hat. Sie ahnen nichts von dem Berg an Geheimnissen, den Nawal mit sich herumgetragen hat, und nichts vom Bürgerkrieg in der Heimat ihrer Mutter und den Methoden, die im Krieg eingesetzt werden, um Menschen für immer zum Schweigen zu bringen.

Schließlich ist es der Notar (Mika Spey), der die Geschwister anweist, der Mutter wenigstens den letzten Wunsch zu erfüllen und dem verschollenen, älteren Bruder einen Brief zukommen zu lassen. Es beginnt eine Suche, bei der sich Jeanne auf den Weg in den Nahen Osten macht, in den Geburtsort ihrer Mutter, um herauszufinden, wer Nawal war und was sie erlebt hat.

"Verbrennungen" von Wajdi Mouawad ist eine tragische Familiensaga, situiert in einem erfundenen Regime, anwendbar aber auf viele Gebiete, die von Bürgerkrieg betroffen und belastet sind. Die Gegebenheiten erinnern an den Krieg in den 80er- und 90er-Jahren im Libanon.

Nawal, in ihrer Heimat bekannt als die Frau, die singt, war eine mutige und intelligente Frau, deren Ziel es war, den Anführer der Terrormiliz zu erschießen. Bei diesem Plan wurde sie gefangen genommen. Was sie dort in ihrer Gefangenschaft erlebt hat, kommt Stück für Stück heraus und lässt den Atem stocken. "Der Himmel stürzt ein", sagt Chamseddine (Taylan Yildiz), der Anführer der Milizen in seiner letzten Szene, und die Zuschauer spüren es. Ohne Zurückhaltung wird ihnen eindrücklich, teils brutal, gezeigt, was Krieg in einer Familie anrichten kann.

„Meine Würde ist eine Grimasse“, sagt in dieser Szene Nihad (Michael Rohmer) zu Nawal (Duygu Cengiz).  

„Meine Würde ist eine Grimasse“, sagt in dieser Szene Nihad (Michael Rohmer) zu Nawal (Duygu Cengiz).   © Selina Yildiz, WT

Beeindruckend am Aufbau des Stückes ist, dass die Vergangenheit, in der Nawal Wahab (Taylan Yildiz) liebt und schließlich von ihm weggerissen wird, parallel zur Gegenwart abläuft, in der ihre später geborenen Zwillinge leben. Die verschiedenen Ebenen verwirren aber nicht, sondern kreieren eine besonders greifbare Stimmung. Sie zeigen, wie sich Nawals Handlungen direkt auf die Gegenwart auswirken.

In der Pause des knapp zweistündigen Theaterstücks sammeln sich die Zuschauerinnen und Schauspieler auf dem Pausenhof, und schon hier hört man von allen Seiten Lob und Anerkennung für die schauspielerische Leistung der Gruppe. Es ist beeindruckend, wie Anna Fluch, Anne Pößnicker, Ameilja Filipovic, Duygu Cengiz, Hannah Alberter, Michael Rohmer, Mika Spey, Sina Luff und Taylan Yildiz ihre Rollen in einem inhaltlich so schweren Stück spielen.

Die Geschichte von Nawal spitzt sich im zweiten Teil zu, als Jeanne eine erschreckende Entdeckung macht. Am Ende ihrer Reise wissen die Zwillinge mehr, als sie ertragen können. Der Showdown lässt den Atem stocken, und nach dem intensiven Applaus wirkt es, als müsse sich das Publikum erst einmal kurz sammeln. Man meint auch bei dem ein oder anderen Zuschauer feuchte Augen zu sehen. Hauptdarstellerin Duygu Cengiz laufen nach der Aufführung selbst die Tränen über das Gesicht: "Wir haben dieses Stück noch nie so emotional gespielt wie heute", sagt sie.

Jan Cumme, der Leiter des Oberstufentheaters, ist froh, nach der zweijährigen Zwangspause nun wieder ein ordentliches Theaterstück auf die Mensabühne bringen zu können. "Ich wollte nach Corona nicht, dass die Leute sagen, für ein erstes Mal nach der Pause war‘s in Ordnung, ich wollte mit etwas Großem kommen. Und dafür habe ich genau die richtigen Talente gefunden."

Die Mensa des Gymnasiums ist bei der Premiere gut besucht gewesen, doch der Raum war nicht komplett gefüllt. Somit gibt es noch ein paar Menschen, die dieses intensive und nachhaltige Stück Theater noch verpasst haben. Sie haben am Mittwoch, 29. Juni, Gelegenheit, das Versäumte nachzuholen. Beginn von "Verbrennungen" ist um 19.30 Uhr in der Mensa des Weißenburger Gymnasiums.

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