Weißenburg: Sinnlose Opfer in den letzten Kriegstagen

22.4.2020, 15:00 Uhr
Weißenburg: Sinnlose Opfer in den letzten Kriegstagen

© Karte: Thomas Wägemann/Klaus Hüttinger

Für viele Menschen ging es in den letzten Kriegswochen ums nackte Überleben – kaum ein Landser wollte noch sein Leben lassen, ebenso wenig wie die frisch eingezogenen Rekruten oder die zwischen 16 und 60 Jahre alten Männer des Volkssturms. Viele von ihnen waren schon im Januar abkommandiert worden Richtung Osten, um dort den Vormarsch der Roten Armee an der Oder aufzuhalten. Viele ältere Männer aus Mittelfranken kamen nicht mehr zurück aus dem Oderbruch, der von den russischen Truppen binnen kurzer Zeit überrannt wurde.

Die Menschen im Weißenburger Land warteten im beginnenden Frühjahr vor 75 Jahren mit gemischten Gefühlen – "zwischen Angst und Erleichterung" so eine Zeitzeugin – auf den Einmarsch der Amerikaner. Was geschehen könnte, war nach den Bombenangriffen allzu präsent.

Doch noch immer wurde gekämpft. Etwa am Abend des 20. April und am folgenden Morgen. Damals unternahmen Stoßtrupps der 2. Gebirgsdivision von den Höhen um Stirn aus Gegenangriffe über Mühlstetten und Röttenbach, um die US-Truppen aufzuhalten. Die Trupps wurden zurückgeschlagen, am sogenannten Fünfteilholz bei Röttenbach fielen zwölf deutsche Soldaten. Die Folgen für Röttenbach sollten aber noch weit verheerender werden: Mehrere US-Jagdbomber griffen das kleine Dorf an. 48 Gebäude gingen in Flammen auf oder wurden stark beschädigt, es gab Tote und Verwundete. Am 22. April rollten dann die US-Panzer und Lastwagen kampflos in den Ort ein. Nahe Pleinfeld hatten die Tiefflieger Truppen der Wehrmacht und der SS angegriffen, die sich über Ellingen und Weißenburg Richtung Oberhochstatt zurückzogen.

Brühltor gesprengt

In der Deutschordensstadt übergaben Pfarrer Ruppert Schuster und der spätere Bürgermeister Karl Morgott die Stadt an die Spitze der "Blackhawks" (wie sich die 86. US-Infanterie-Division nannte). In Ellingen erfuhren die US-Infanteristen, die das zu enge Brühltor sprengten, um den gepanzerten Fahrzeugen die Durchfahrt zu ermöglichen, dass sich die schwachen deutschen Verbände zurückgezogen hätten, in Weißenburg war auch die Volkssturm-Kompanie aufgelöst worden und eine Verteidigung durch den Kampfkommandanten Servatius nicht wirklich ins Auge gefasst worden.

So ratterten am Morgen des 23. April die US-Shermans mit Infanterie-Begleitung aus dem Rezatgrund herauf durch die Nürnberger Straße in die Altstadt. Auf dem Marktplatz übergab der Weißenburger Stadtkämmerer Georg Schuster die Stadt offiziell. Einige französische Fremdarbeiter sollen ob der Befreiung gejubelt und die Trikolore geschwenkt haben, erinnerten sich Zeitzeugen.

Alles schien friedlich abgelaufen zu sein. Doch für vier junge Weißenburger sollte der 23. April zu einem schicksalshaften und ihrem letzten Tag werden. Walter Bülow, Hermann Hintermeier und Peter Grünbaum waren draußen – sie hatten ja Zeit, denn einen geregelten Schulunterricht gab es schon seit Längerem nicht mehr. Die Jugendlichen spielten im Bereich der Bismarkanlage, als plötzlich Granaten auf dem Marktplatz, in der Luitpoldstraße, nahe dem Bahnhof und in der Judengasse explodierten – abgefeuert von einer im Bereich Kehl/Oberhochstatt stehenden SS-Artillerieeinheit. Eine der Granaten explodierte neben den drei Jugendlichen. Hintermeier und Bülow waren sofort tot, Grünbaum kam schwer verletzt ins Krankenhaus und starb einige Tage später.

Nach dem kurzen Gefecht, die SS-
Artillerie, die wohl zu der Kampfgruppe Dirnagel gehörte, zog sich rasch zurück, um nicht von Tieffliegern vernichtet zu werden. Die US-Soldaten waren dadurch gewarnt und tasteten sich vorsichtig in Richtung Wald und Bärenloch vor. Von dort wurden die vorderen Fahrzeuge und Soldaten plötzlich mit Maschinengewehrfeuer eingedeckt. Im Stadtwald hatten sich deutsche Soldaten verschanzt, die den Rückzug ihrer Kameraden decken sollten.

Dem jungen Weißenburger Otto Hüttinger und dessen Freunden, die sich am frühen Nachmittag zwischen dem Birkhof und dem Aumühlweiher aufgehalten hatten, pfiffen plötzlich die Kugeln von zwei Seiten um die Ohren. Otto Hüttinger wurde in die Lunge getroffen und starb wenig später an der schweren Schussverletzung. Er war das vierte Weißenburger Opfer an diesem Tag.

Und beinahe wären es mehr geworden. Denn die US-Truppen rückten weiter entlang der Straße Richtung Eichstätt vor. Als ein US-Jeep die gesprengte Brücke am Sommerkeller umfahren wollte, ratterte ein deutsches Maschinengewehr erneut los. Ein amerikanischer Soldat wurde verletzt, das Fahrzeug zerstört. Wenig später rückten Panzer gegen das MG-Nest nahe der Weißenburger Sommerkeller vor. In die dortigen Stollen waren zahlreiche verwundete Soldaten aus den Weißenburger Lazaretten verlegt worden, zudem hatten dort viele Frauen und Kinder aus der Stadt Schutz gesucht.

Willy Wolkersdörfer, der am Waldwinkel wohnte, befürchtete eine Beschießung mit schweren Waffen und zahlreichen Opfern. Er ging den Amerikanern entgegen und konnte den Soldaten verdeutlichen, dass die Schüsse nicht aus den Sommerkeller-anwesen heraus abgegeben worden waren und sich die SS-Nachhut mittlerweile davongemacht hatte. Das verhinderte weitere sinnlose Opfer.

Die gab es in der Region noch dutzendfach in den letzten Kriegstagen. Tiefflieger bombardierten und beschossen nicht nur zurückziehende deutsche Einheiten, sondern auch Bauern auf den Feldern. Dass es zu keinen heftigen Gefechten und Bombardierungen kam wie etwa im Raum Neumarkt, wo die Reste der 17. SS-
Panzergrenadierdivision "Götz von Berlichingen" durch Gegenangriffe den US-Vorstoß entlang der Reichsautobahn verhindern wollten, war wohl den schwachen deutschen Kräften geschuldet.

Dünne Verteidigungslinie

Der SS-Gruppenführer Max Simon, der das XIII. SS-Armeekorps zeitweise von Steinhart bei Hechlingen aus kommandierte, hatte nur Resttruppen von etwa 3500 bis 5000 Mann zur Verfügung und sollte noch eine Verteidigungslinie vom Spalter Hopfenland bis Hilpoltstein aufbauen und so den deutschen Truppen den geordneten Rückzug über die Altmühl und die Donau ermöglichen.

Simon galt als überaus fanatisch und verfolgte selbst vor dem nahenden Ende seine Ziele mit unnachgiebiger Härte. Der SS-General hatte schon in Bechtheim jegliche Zuwiderhandlungen wie das Hissen weißer Flaggen, Entwaffnung des Volkssturms oder der Hitlerjungen sowie Verhandlungen über die kampflose Übergabe von Städten und Dörfern gnadenlos mit Standgerichten und Erschießungen verfolgt.

Der Entschluss, Weißenburg nicht zu verteidigen, war deshalb für den Kampfkommandanten nicht ganz ungefährlich, zumal sich auch noch kleinere SS-Verbände in der Region befanden. Doch militärisch machte ein Kampf um die Stadt keinen Sinn mehr, denn die 12. US-Panzerdivision war mit der 4. US-Infanteriedivision weiter westlich ins Ries vorgestoßen und hatte schon am Mittag des 22. April die noch intakte Donaubrücke in Donauwörth erobert.

Die deutschen Verbände im hiesigen Raum drohten abgeschnitten zu werden, was sicher auch Weißenburgs Kampfkommandant Major Servatius mitbekommen hatte. Deshalb zogen sich die bunt gemischten Häufchen aus Wehrmacht, Waffen-SS und Luftwaffensoldaten über Dettenheim zurück, die Treuchtlinger Altmühlbrücke blieb heil, jene in Dietfurt und Solnhofen flogen in die Luft.

Auch die Brücke mitten in Pappenheim war schon mit Sprengstoff bestückt, die Sprengung konnte aber noch verhindert werden. Dafür standen bald die US-Truppen in der Stadt. Von Stellungen auf den Jura-Anhöhen bei Übermatzhofen und Zimmern feuerten die deutschen Restverbände auf die Amerikaner. Am 24. April kam es zu den letzten heftigen Gefechten, bei denen gut ein Dutzend Landser fielen. Verluste der US-Seite sind nicht bekannt.

Am Abend und im Schutz der Nacht zogen sich die Verteidiger über das Steinbruchgebiet zurück und ließen zahlreiche Waffen und Munition (die später gesprengt wurden) im Wald Richtung Solnhofen liegen. Am Solnhofener Bruch brannte ein US-
Panzer aus – ob er abgeschossen wurde, auf eine Mine fuhr oder ein technischer Defekt die Ursache war, konnte nie geklärt werden.

In Weißenburg herrschte derweil schon die US-Militärverwaltung – und die suchte bald nach den lokalen NS-Größen. Doch die waren zunächst nicht greifbar. NSDAP-Kreisleiter Michael Gerstner und viele andere Parteigänger versteckten sich im Uhlbergwald zwischen Treuchtlingen und Gundelsheim. Dort wurden sie am 2. Mai entdeckt.

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