Recherchen

Wer in Altmühlfranken stand auf der NSU-Liste?

9.12.2021, 16:46 Uhr
Neun Morde gingen auf das Konto des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Auf einer Liste fanden sich tausende weitere Adressen in ganz Deutschland - darunter auch sieben im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen.

© Michael Matejka, NN Neun Morde gingen auf das Konto des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Auf einer Liste fanden sich tausende weitere Adressen in ganz Deutschland - darunter auch sieben im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen.

So war es nun auch möglich zu erfahren, welche Adressen sich im Landkreis konkret auf der Liste finden. Bekannt war, dass die frühere SPD-Landtagsabgeordnete Christa Naaß mit ihren Büros in Haundorf und Gunzenhausen Teil der Liste war. Das Bundeskriminalamt hatte sie 2011 darüber informiert. Naaß hatte Anfang des Jahrtausends bereits Drohschreiben von einer Neonazi-Gruppierung erhalten, die im Nürnberger Raum verortet wurde.

Nicht klar war bislang, dass das Gunzenhausener Büro des damaligen Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments, Dr. Ingo Friedrich (CSU), ebenfalls in der Sammlung aufgeführt wird. Zudem findet sich mit einer Treuchtlinger Adresse des „CSU-Kreisverbands“ eine weitere lokale politische Institution in der Sammlung.

Darüber hinaus sind dort auch die Adressen von insgesamt vier muslimischen Vereinen verzeichnet. In Gunzenhausen der Türkisch-Islamischen Verein, in Treuchtlingen die Islamische Gemeinschaft, in Weißenburg der Türkisch-Islamische Verein und der Türkische Kulturverein.

Welche Aktivisten waren beteiligt?

Bis heute ist unklar, wer die insgesamt rund 10 000 Adressen in ganz Deutschland gesammelt hat. Das Rechercheteam von NN und BR geht davon aus, dass mehrere Aktivisten der Neonazi-Szene beteiligt waren und sie in den 2000er-Jahren entstand. „Wir wissen zum Beispiel, dass sie Telefonbücher ausgewertet haben“, stellt Elke Graßer-Reitzner gegenüber unserer Zeitung fest. Sie leitet das Rechercheteam aufseiten der Nürnberger Nachrichten.

Die Eintragungen für Weißenburg-Gunzenhausen und die nähere Region scheinen keinen klaren Vorgaben zu folgen. So sind mit Christa Naaß und Ingo Friedrich zwei wichtige Politiker der Region vertreten, aber nicht der damalige Pleinfelder CSU-Landtagsabgeordneter Rudolf Klinger aus Pleinfeld oder sein Nachfolger Gerhard Wägemann aus Weißenburg.

Und das obwohl man ansonsten die Abgeordneten von CSU und SPD standardmäßig auf der Liste findet. Auch sind nicht alle damaligen muslimischen Vereine der Region aufgeführt.

Eher Telefonbuchrecherche

All das spricht dafür, dass man sich bei den Adressen im Landkreis weniger auf lokale Beobachter vor Ort stützen konnte, sondern eher Telefonbuchrecherche betrieb. So handelte es sich etwa im Falle der Adresse des CSU-Kreisverbands um die Privatanschrift des damaligen Kreisgeschäftsführers der Partei, der vor Ort nicht zu den wichtigsten Gesichtern der CSU gehörte.

Auch fehlen Namen und Einrichtungen, die man auf einer solchen Liste hätte erwarten können, wenn man Informanten vor Ort gehabt hätte. Die Qualität der erhobenen Daten scheint an anderen Örtlichkeiten allerdings deutlich höher zu sein.

So hat das gemeinsame Rechercheteam von NN und BR für Objekte in Nürnberg oder auch Dortmund nicht nur Adressen, sondern auch Beobachtungen zu den einzelnen Immobilien gefunden, die offenbar das Ergebnis konkreter Ausspähungen waren.

"Harmlos"

„Wir sind nicht der Meinung des BKA, dass diese Sammlung an Adressen harmlos ist“, stellt Elke Graßer-Reitzner gegenüber unserer Zeitung fest. Das sehen etwa auch die Anwälte so, die die Hinterbliebenen der Mordopfer vertreten. Sie glauben, dass der NSU viel mehr war als nur die drei Personen Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt. Es habe vielmehr ein Netzwerk an Helfern und Unterstützern gegeben.

Eines, das möglicherweise auch geholfen hat, die 10 000 Adressen im gesamten Bundesgebiet zu sammeln. Immerhin: Es wirkt eher nicht so, als hätte es in Weißenburg-Gunzenhausen konkrete Zuträger für die Liste gegeben.

Ganz unvorstellbar war das bislang nicht. Immerhin hatte man in Weißenburg einige Jahre später mit den Freien Nationalisten Weißenburg eine bekennende Neonazi-Gruppe in der Stadt, die regelmäßig mit Aktionen auf sich aufmerksam machte und auch in Richtung Nürnberg gut vernetzt war.

Verwandte Themen


Keine Kommentare