Wo das alte Nürnberg noch lebendig ist

16.11.2020, 13:55 Uhr
Wo das alte Nürnberg noch lebendig ist

© Verlag Heinrich Bayer (Sammlung Sebastian Gulden)

Es besteht kein Zweifel daran, dass die weitgehende Zerstörung der Nürnberger Altstadt am 2. Januar 1945 eine tiefe Wunde in das kollektive Gedächtnis unserer Stadt gerissen hat. Eine Wunde, die weder die Stadtplaner, Architekten und Bauherrn des Wiederaufbaus, noch jene späterer Generationen heilen konnten. Das Beruhigende daran ist, dass die Geschichte weitergeht, dass Geschmäcker und Einstellungen sich stets wandeln, dass das, was wir heute als hässliche architektonische Massenware empfinden morgen seltenes Zeugnis einer vergangenen Zeit sein kann. Und dass ja doch ein paar Ecken geblieben sind, in denen das „Alt-Nürnberg“ der Vorkriegszeit lebendig ist. Ein solcher Ort ist der Hefnersplatz in der Lorenzer Altstadt.

Dieser Platz, benannt nach den früher hier ansässigen Hefe- und Essigmachern (Hefnern), imponiert schon durch seine heimelige, von Gebäuden verschiedener Epochen umfriedete Anlage, in die versetzt vier Straßenzüge einmünden. Mittendrin steht hoch auf seiner Brunnensäule, lässig in klassischer Standbein-Spielbein-Haltung, Max Meißners 1905 enthüllte Bronzestatue des Feinmechanikers Peter Henlein († 1542). Der linst auf seine Taschenuhr, als warte er auf die werte Gattin (er war dreimal verheiratet), die sich gerade auf Weihnachts-Shopping-Tour um die Ecke befindet.

Wo das alte Nürnberg noch lebendig ist

© Boris Leuthold

Da kann er lang warten, laden die Läden an den Rändern des Platzes doch – wenngleich derzeit mit coronabedingten Einschränkungen – durchaus zum Verweilen und Stöbern ein, dies umso mehr, als dass ein Großteil des Platzes bei der Neugestaltung 1980 für den Durchgangsverkehr gesperrt wurde. Da bleibt Herrn Henlein nur der Ausblick auf die gleich Orgelpfeifen aufragenden, zwei- bis sechsgeschossigen Fassaden, die vom Werden und Vergehen des Platzes erzählen. Von der noch kleinstädtischen Beschaulichkeit der Reichsstadtzeit zeugen die Senioren am Platze, die früheren Handwerkerhäuser Färberstraße 5 (Juwelier „Zeitjuwel“, im Kern von 1412), Hefnersplatz 6 (Juwelier „Bucherer“) und 8, die beide aus dem 16. Jahrhundert stammen. Letzteres, Heimat der bekannten Buchhandlung Jakob, erhielt um 1905 ein Fassaden-Lifting im Jugendstil.

Wo das alte Nürnberg noch lebendig ist

© Grafik: unbekannt (Sammlung Sebastian Gulden)

Als sich die Lorenzer Altstadt ab 1880 zur modernen City herausbildete und allerorten Hotels und große Geschäfts- und Wohnpaläste die alten Bürgerhäuser ablösten, entstanden auch am Hefnersplatz Neubauten weltstädtischer Prägung: Den pompösesten Bau, das Eckhaus Karolinenstraße 57, nahm die Nürnberger Bank für sich in Anspruch und ließ ihn – passend zur Örtlichkeit und dem Namen des Unternehmens – 1903 von Architekt Emil Hecht im Nürnberger Stil gestalten. Einen nicht minder himmelsstürmenden „Klopper“ gönnte sich Kaufmann Louis Gerstel mit dem Neorenaissance-Bau Nr. 10 (1899–1901 nach Entwurf des Büros Ochsenmayer & Wißmüller errichtet), dessen riesige Schaufenster in der Beletage, wo der Herrenausstatter Gebrüder Manes residierte, von der Frühzeit der Kaufhauskultur künden. Vis-à-vis im Haus Nr. 7, einem modernen Stahlbetonskelettbau mit Jugendstilfassade aus der Feder von Architekt Hans Ebert, versorgten die Brüder Sachs ab 1912 die Damen der Schöpfung mit erlesener Mode und passenden Accessoires.

Ein seltenes Zeugnis des frühen Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Färberstraße 3 mit dem „Café Mohr“: Hier hat man das ausgebrannte Obergeschoss nach 1945 abgebrochen und dem Erdgeschoss ein neues Satteldach mit historisierenden Giebelgauben aufgesetzt. Das Eckhaus Hefnersplatz 3 gegenüber wiederum zeigt sich als wunderbares Beispiel der konservativen Strömung des Wiederaufbaus, wie man ihn etwa in Münster oder Lübeck praktizierte. Hinter den 1947 vereinfachten und ergänzten Fassaden verbirgt sich ein von Georg Lübke erbauter Prunkbau im Nürnberger Stil. Als Sitz der „Wittelsbach-Drogerie“ war dieser im Jahre 1900 Stammhaus des Traditionsunternehmens Dr. Carl Soldan (Em-eukal). Vorgänger des Gebäudes war ein Anwesen mit Braurecht, das um 1500 dem Färber Sebald Wagner gehört hatte.

Wo das alte Nürnberg noch lebendig ist

© Sebastian Gulden

Anfang der 1950er Jahre völlig neu erstanden die Anwesen Hefnersplatz 1 mit Laubengang im Erdgeschoss und Nr. 4 mit seiner aparten Verkleidung aus Sandstein. Jüngste architektonische Schöpfung am Platze ist schließlich das Geschäftshaus Färberstraße 2: Im Geiste der Postmoderne der 1980er und 1990er Jahre greift es klassische Elemente Nürnberger Bürgerhäuser aus reichsstädtischer Zeit auf, erkennbar etwa in der Verkleidung aus Sandsteinvorsatzplatten, dem gestäbten Giebel zur Karolinenstraße oder dem Kastenerker zum Josephsplatz, und verbindet diese mit modernen Metallelementen aus brüniertem Kupferblech und großen Dachflächenfenstern.

Herr Henlein hätte also, würde er den Blick von seiner Uhr abwenden, einiges zu sehen. Und wenn im Advent dann die klassische Nürnberger Festbeleuchtung angeworfen wird, da kommt selbst beim größten Weihnachtsmuffel und trotz Pandemie ein Hauch von feierlicher Stimmung auf – dem heimeligen Platz, seinen illustren Baudenkmalen und bunten Läden sei Dank.

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