Wo der Baron den Pfarrer aussucht

5.5.2021, 09:55 Uhr
Großgründlach, Hallerschloss und, dahinter, der Turm der St. Laurentius-Kirche. Der Stadtteil ist 1000 Jahre alt.

© e-arc-tmp-20210426_153134-1.jpg, NN Großgründlach, Hallerschloss und, dahinter, der Turm der St. Laurentius-Kirche. Der Stadtteil ist 1000 Jahre alt.

Im klassizistischen Mausoleum auf der Gründlacher Herrenwiese liegt, auf einem kleinen, von Bäumen gesäumten Hügel, ein Herz begraben, das Herz des Reichsfreiherrn Johann Sigmund Haller von Hallerstein. Er war Reichsschultheiß in Nürnberg, als er 1805 starb, war auch das Schicksal der Freien Reichsstadt schon besiegelt – 1806 ging Nürnberg auf Geheiß des französischen Kaisers an das neue Königreich Bayern. Die Reichskleinodien mit der Krone, der Heilige Lanze und dem Reichsapfel hatte noch Johann Georg Haller von Hallerstein vor Napoleons heranrückenden Franzosen gerettet, Johann Sigmunds Bruder brachte sie 1796 aus Nürnberg über Prag nach Regensburg, von wo aus sie nach Wien gelangten. Dort befinden sie sich noch immer.


So viel Geschichte. Ob er manchmal Ehrfurcht empfindet? Nein, sagt Berthold Freiherr Haller von Hallerstein, nur Interesse, „alles hat seine Zeit“. Er hat ins Hallerschloss von Großgründlach geladen, dessen Geschichte bis ins 14. Jahrhundert zurückreicht, zu den Reichsministerialen von Gründlach. Seit 1766 gehört es den Haller von Hallerstein, seit 1946 ist es der Stammsitz der Nürnberger Patrizierfamilie, die ab 1314 bis zum Ende 1806 immer im Inneren Rat der Reichsstadt vertreten war. Als Besucher glaubt man durchaus, Geschichte zu atmen.

"Im Schloss wohnt der König"


„Den Baron“ nennen sie Berthold von Haller im Ort; „oben im Schloss wohnt der König“, das, erzählt Norbert Krehan, „sagt mein Patenkind immer“. Norbert Krehan führt seinen Friseursalon in Sichtweite des Schlosses, mitten im Ort in der Hauptstraße, er schneidet auch dem Baron die Haare, und der muss dafür keine Krone ablegen. Dem Patenkind erklärt Krehan dann, dass der König in Nürnberg wohnt, passenderweise auch so heißt, nämlich Marcus König, und Oberbürgermeister ist.


Seit 1972 gehört Großgründlach, zuvor im Landkreis Fürth zu Hause, zu Nürnberg, zumindest formal, aber, sagt der Friseurmeister Krehan, „wir fühlen uns als Gründlacher“. Der Ortsteil, der in diesem Jahr seinen tausendsten Geburtstag feiert, ist urkundlich sogar 29 Jahre älter als Nürnberg; Berthold von Haller, meint Krehan, sei durchaus ein gefühltes Oberhaupt – das gehört schon auch zum Selbstbewusstsein der Gründlacher.

Die Preußen und die Hirsche


Der Baron, 62 Jahre alt, empfindet es aber „in dieser Form nicht mehr so“, wie er sagt, ihm ist das ganz recht, und auf Etikette muss man im Schloss nicht achten; „auf die Anrede“, sagt der Hausherr, „lege ich nicht den geringsten Wert“. Berthold von Haller, ein freundlicher Mann und ein Freigeist mit Talent auch zur Selbstironie, empfängt in Jeans und Pullover, in den Besuchersaal im zweiten Stock geht es durch eine kleine Baustelle – die prächtige Stuckdecke bröckelt, überhaupt, sagt er, dürfe man sich keine falschen Vorstellungen machen. Die vielen schönen alten Möbel – „manchmal“, sagt er, „liegt ein Häufchen drunter, dann weiß man, dass sie bewohnt sind“. Die Ölbilder der Vorfahren – „nicht unbedingt schön, aber alt“. Und die unzähligen Geweihe im unteren Flur – „sind aus Oberbayern, die Hirsche im Reichswald haben vor 200 Jahren die Preußen komplett erledigt“.


Das Schloss war Teil eines 1525 aufgelösten Zisterzienserinnenklosters, wurde im Dreißigjährigen Krieg von kurbayerischen Truppen zerstört und Ende des 17. Jahrhunderts als zweistöckiger Vierflügelbau neu aufgebaut. Als Berthold von Hallers Eltern 1946 hier einzogen, hatte es keine Fenster mehr, Folge der Bombardierung durch die Royal Air Force im Februar 1943. Es gab weder Strom noch Heizung oder fließendes Wasser, nur Platz genug in 20 Zimmern (und einem Theatersaal).

"Nicht jeder ist ein Guttenberg"

In welch großzügigen Verhältnissen er mit drei älteren Schwestern aufwuchs, erzählt von Haller, sei ihm bewusst geworden, wenn er Kinder aus dem Dorf besuchte – zum Fernsehen, ein TV-Gerät gab es im Schloss nicht, das habe die Eltern nicht interessiert (aus heutiger Sicht zu recht nicht, findet er). Aber im Winter, sagt von Haller, „ist es immer noch ungemütlich“, irgendein Zimmer ist meistens eine Baustelle, „und nicht jeder ist ein Guttenberg mit hundert Millionen Euro Vermögen“. Die Lindenallee, die in einen ehemaligen Irrhain führt, musste er 2004 neu anlegen.


Heute wohnen hier nur noch der Baron und seine Lebensgefährtin. Auf dem Tisch liegen historische Bücher, der Hausherr, studierter Jurist, ist ein belesener Mann, über St. Laurentius, die schöne evangelische Pfarrkirche mit ihrer 800 Jahre alten Geschichte, hat er ein wunderbares Buch geschrieben; „auch im Metzgerladen“, sagt von Haller lächelnd, „hat es sich ganz gut verkauft, es scheint die Leute interessiert zu haben“.

Ein ganz besonderes Recht

Und es ist ja eine sehr interessante Geschichte, gewesen und geblieben, den Hallers als Patronatsherren steht bis heute (neben dem Logenplatz im Gotteshaus) das sehr selten gewordene sogenannte Präsentationsrecht zu: Solange sich das Schloss im Besitz der Familie befindet, bestimmt der Schlossherr den Pfarrer – nur in 13 Gemeinden in ganz Bayern hat sich das bis heute so erhalten.


„Und die Kirche kann dieses Recht nicht kassieren“, sagt von Haller, ihm gefällt es, „wenn ich die Kirchenämter ein bisschen ärgern kann“, einerseits. Andererseits „will ich ja nicht die Gemeinde ärgern“, im Gegenteil, wer zu Gründlach passe, meint von Haller, könne er eben ganz gut einschätzen. Unter zwölf Bewerbern um die Pfarrstelle hat er 2012 mit Silvia und Gerhard Henzler offenbar eine sehr gute Wahl getroffen – das Ehepaar ist auffällig beliebt in der zum Dekanat Erlangen gehörenden Gemeinde und darüber hinaus. Die in Großgründlach gelebte Ökumene, sagen die Menschen, trage viel zu einer attraktiven Ortschaft bei. „Herr von Haller“, sagt Pfarrer Henzler, „mischt sich nicht ein, aber unterstützt uns, gerade wenn es um die Geschichte geht, ist er unschlagbar“. Man sieht sich in der Kirche, aber auch das Tor zum Schloss steht meistens offen. Im Mai feiern die Vereine ihr Fest im Schlosshof, der im Sommer Bühne für die Schlosskonzerte ist. Wenn er sonst etwas mitzuteilen hat, sagt Bertold von Haller, „gehe ich zum Norbert“, der Friseursalon Krehan sei ihm – „so komplizierte Kreationen brauche ich ja nicht“ – auch ein Kommunikationszentrum.

"Beim Bader tauscht man sich aus"


Norbert Krehan lacht. Ja, sagt er, „beim Bader, beim Friseur, tauscht man sich aus“. Die Kunden kommen nicht nur zum Haareschneiden, der Salon ist ein zentraler Treffpunkt – eine Art inoffizielles Bürgeramt. Wer eine Wohnung sucht oder ein Auto oder einfach nur einen ermunternden Plausch, schaut vorbei. Norbert Krehan, 55 Jahre alt, ist ein charmanter Mann und ein guter Unterhalter, ein überzeugter Gründlacher sowieso. Er war erst 18 Jahre alt, als er den Salon von seinem Vater Walter – der wegen eines Hüftleidens zum Elektromeister umschulte und nur noch nach Feierabend Haare schnitt – übernahm und um eine Damen-Abteilung erweiterte. Die Mama hilft noch heute mit, das Ambiente ist familiär geblieben. Die meisten Kunden haben ihm das Du angeboten, „das“, sagt Krehan, „sehe ich als schönes Kompliment“.

Der Baron ist skeptisch

Der Ort ist über Jahrzehnte beträchtlich gewachsen, auf fast 5000 Einwohner, Berthold von Haller ist nicht sehr optimistisch beim Blick in die Zukunft, bald, fürchtet er, werde Großgründlach etwas beliebig aussehen, „zugebaut und nur noch von Industriegebieten umgeben“. „Aber ein Miteinander“, sagt der Familienvater Norbert Krehan, „gibt es hier noch, man hilft sich.“


Er denkt an den Großbrand in der Marktheidenfelder Straße im Dezember 2020 – „so furchtbar das war, so großartig war die Welle der Hilfsbereitschaft“, die Menschen stellten kostenlos Wohnungen zur Verfügung, Kleidung, Lebensmittel, Geldspenden in fünfstelliger Höhe. „Das war einfach klasse“, sagt der aktive Feuerwehrmann Krehan, „in der Anonymität der Großstadt wäre so etwas wohl kaum möglich.“

Das besondere Flair

Sein Haus, das sein Vater 1978 gekauft hat, ist rund 500 Jahre alt, Krehan liebt „das verwinkelte Flair“, wie er sagt, und den Blick über die Hauptstraße. Viel Fachwerk, alte Bäume, das liebevoll renovierte Pfarrhaus – im Kern ist es immer noch eine Idylle, wenn Krehan mehr darüber wissen will, klopft er beim Baron an, „er hat ja wirklich ein unglaubliches Wissen“. Sie sind auch schon lange per Du.


Ob er einen Lieblingsplatz hat? „Der Lieblingsplatz ist ganz Großgründlach“, sagt Norbert Krehan, er ist gern unterwegs im Knoblauchsland, in Neunhof, in Kraftshof, den wunderschönen Nachbardörfern. „Und den Kirchturm von St. Laurentius sieht man ja kilometerweit – dann ist es schön zu wissen: Da bin ich daheim“. Noch ein Gründlacher Herz, eines, das sehr lebendig schlägt.

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