Wo Mörder und Mafiosi einkaufen

21.3.2009, 00:00 Uhr
Wo Mörder und Mafiosi einkaufen

© Johanna Säuberlich

Schlangestehen im Supermarkt, den Einkaufswagen des Hintermanns bereits in den Hacken - das gibt es auch hinter hohen Mauern, Panzerglas und Stacheldraht. Selbst Sonderangebote. Joghurt, Zucker, Briefmarken, ein Sex-Magazin stehen auf der Einkaufsliste, Pulverkaffee und Tabak natürlich. Einkaufen im Knast bis der Wagen voll ist, das ist für viele Gefangene in der Justizvollzugsanstalt Würzburg ein echtes Luxus-Erlebnis. Ein Höhepunkt, vergleichbar mit der Besuchszeit oder Hafturlaub.

Einmal im Monat geht es los, mit der Ikea-Tüte unterm Arm. Zum Knastladen, durch sonst schwer verschlossene Türen. Auch, wenn Anstaltskaufmann Werner Massak das Wort Knast oder Knackies nie über die Lippen käme. «Für mich sind das meine Kunden«, betont er ernst. «Ich will gar nicht wissen, was die angestellt haben. Ich bin nicht Richter.« Sondern: Ein cleverer Kaufmann mit 220 Angestellten und JVA-Geschäften in fünf Bundesländern. Vier Edeka-Märkte in Bamberg und Umgebung leitet er außerdem. Und da, sagt er, fragt er seine Kunden ja auch nicht nach ihren kriminellen Eigenschaften. Höchstens sie klauen Kaugummi.

Frauen und Sex-Täter getrennt

Die Reihenfolge, in der seine Würzburger Stammkundschaft vorbeischaut, ist streng festgelegt: Erst kommen die arbeitenden Gefangenen, dann die Frauen, später die Untersuchungshäftlinge, zum Schluss die Sexualverbrecher. Ordnung muss sein, der Sicherheit halber.

«Schließlich haben wir ein hochkriminelles Publikum, sagt JVA-Leiter Robert Hutter. Der Einkauf muss möglichst schnell erledigt sein. Deshalb läuft in dem Laden auch einiges anders. Elf Angestellte sind sofort zu Stelle, Service ist das A & O.

Es gibt erstaunlich viel, aber nicht alles. Leberkässemmeln ja, Mohnschnecken nein. Berauschendes ist verboten. Wie alles, was irgendwie nach Alkohol riecht: Eine Marzipan-Schokolade ist deshalb aus dem Regal geflogen. Die Deo-Roller sind auch ohne Alkohol. Hefe ist tabu. Es gilt das eherne Gesetz: Gefangene sind erfinderisch. Stahlharte Rasierklingen mussten aus dem Sortiment, weil die Gitter vor den «Sägen« nicht sicher sind. Abgeschafft ist auch die Haftcreme für die Dritten, mit der sich Verstecke hinter Fliesen verfugen lassen.

Dafür stapeln sich andere Waren bis unter die Decke. Extrawünsche werden erfüllt, von türkischen bis zu russischen Spezialitäten. Schließlich hat Massak internationale Kundschaft: 62 Nationen sind in der JVA Würzburg vertreten. Nur bei einigen, meist Prominenten, weiß er manchmal nicht mehr weiter. Wenn zum Beispiel die Nivea-Gesichtcreme bemängelt wird, weil sie einfach nicht wie die Botox-Spritze wirkt.

Aber sonst ist alles da, wie im Bahnhofskiosk. Im Schnelldurchlauf greifen die 650 Würzburger Insassen zu, bedient von aufmerksamen Mitarbeitern. Mitten unter ihnen Werner Massak, vertieft in ein Gespräch über den Eistee für 1,29 Euro. «Draußen werden die Discounter immer billiger, und drinnen wird alles teurer«, motzt ein 25-Jähriger, der wegen Körperverletzung, Nötigung und Bedrohung sitzt. Massak geht mit ihm die Zutatenliste des Eistees und die Dosierung durch. Schließlich steht seine Ehre als Kaufmann auf dem Spiel. Und irgendwie auch seine Existenz.

«Kapitalist im Knast«

«Wenn meine Kunden unzufrieden sind, ist das der Anfang vom Ende«, erklärt der 53-Jährige. So etwas spricht sich herum, von Anstalt zu Anstalt. «Da sind sie ganz sensibel, die harten Jungs.« Nur ein JVA-Insasse in Bruchsal meckert trotzdem weiter und beschimpft Massak im Internet als «Kapitalist im Knast«.

Massak rechnet also zu seiner Verteidigung vor: 50 Prozent vom Umsatz mache er mit preisgebundenem Tabak, 18 Prozent mit Kaffee. «Daran ist kein Geld verdient.« Das zahlreiche Personal koste, der eigene Fuhrpark für die JVA-Belieferung auch. Und wenn Hofgang, Duschzeit wäre oder es eine Schlägerei gebe, «dann steht der Laden still«. Das Geschäft lohne sich also nur in der Masse. Von einem Monopol bei 54 Läden in rund 200 deutschen JVAs mag er nicht reden. «Wir wollen Marktführer werden,« so drückt er sich aus.

Aber immerhin: Den Ladendetektiv, den kann er sich sparen. Rechnet sich nicht. Diebstahl sei das kleinste Problem in seinen Läden. «Wer hier erwischt wird, bekommt Sport- oder Einkaufsverbot von der Anstalt, plus eine Anzeige von uns«, sagt Massak. Das wirkt. Am Ende säßen sie halt länger. Und stehen wiederum als Kunden bei ihm an der Kasse.