Wo Otti Fischer vor wenigen Zuhörern auftrat

9.4.2011, 00:00 Uhr

Bis zu 60 Schüler aus vier Jahrgangsstufen füllten den großen Raum einst. Heute sitzt Roland „Golly“ Hertlein oft ganz allein in dem früheren Klassenzimmer. Und liest. Oder musiziert. Ein Platzproblem hat der 59-Jährige nicht: Sein Haus, das er mit Ehefrau Hanne bewohnt, bietet rund 440 Quadratmeter Wohnfläche. Ziemlich viel für zwei Leute, oder? „Uns gefällt’s gut“, hält Hertlein dagegen.

Und verweist darauf, dass die eigentliche Wohnung, die früher dem Lehrer-Ehepaar vorbehalten war, „nur“ 130 Quadratmeter groß ist. So viel Platz gab es anfangs in dem Haus nicht — denn zu Beginn der 80er Jahre wagten insgesamt neun Leute den Sprung aus einer Nürnberger Wohngemeinschaft aufs Land. Dass es ausgerechnet ein entlegenes 50-Seelen-Dorf im Dreieck zwischen Nürnberg, Ingolstadt und Regensburg werden sollte, hatte niemand auf der Rechnung. „So weit weg von Nürnberg wollte keiner von uns“, sagt Hertlein rückblickend.

Langhaarige Exoten

Und erinnert sich mit einem Schmunzeln an die ersten Begegnungen mit den Einheimischen im Kreis Neumarkt: „Wir galten als langhaarige Exoten — und wurden entsprechend kritisch beäugt.“ Dass sieben der neun Bewohner nach kurzer Zeit Oberweiling den Rücken kehrten, hatte damit aber nichts zu tun. „Wir haben uns im Guten getrennt.“

Übrig blieben Hanne und Golly Hertlein. Während Hanne als Lehrerin das nötige Geld zur Renovierung des 1909 erbauten Schulhauses verdiente, widmete sich Golly seinem alten Hobby, der Kunst, und seiner neuen Beschäftigung, der Gebäudesanierung. Ein weites Feld: Das ungedämmte Haus musste in den 80er Jahren mit 18000 Litern Heizöl beheizt werden, mittlerweile liegt der Verbrauch unter 5000 Litern jährlich.

Kurz: Es galt Hand anzulegen. Für Hertlein eine gravierende Umstellung. Statt weiter an seiner Doktorarbeit zu schreiben, galt es, handwerkliches Geschick zu entwickeln: „Als ich hierher kam, wusste ich nicht, wie herum eine Schraube gedreht werden muss.“ Das hat sich gründlich geändert: Eine vom Vorbesitzer des Gebäudes übernommener Gastraum wurde flugs aufgemöbelt — schon schlug die Geburtsstunde der Kneipenbühne Oberweiling.

Anfangs viel belächelt, hat sich das ambitionierte Vorhaben, Musiker und Kabarettisten aufs Land zu locken, längst bewährt: Über 1000 Veranstaltungen haben die kleine Kneipenbühne, die in einem ehemaligen Klassenzimmer im Erdgeschoss angesiedelt ist, zu einem festen Bestandteil der regionalen Kleinkunstszene gemacht — und den musizierenden Kneipenwirt zu einem preisgekrönten Kulturschaffenden.

Jüngste Auszeichnung: Der Kulturpreis des Bezirks Oberpfalz, verliehen im vergangenen Jahr. Zu Recht: Denn immer wieder debütieren Künstler in Oberweiling, die später den Durchbruch schaffen — die Kabarettisten Ottfried Fischer oder Lissy Aumeier zählen zu dieser Kategorie, ebenso der Musiker Wolfgang Haffner, dessen erster Auftritt in Oberweiling über die Bühne ging.

„Das freut einen dann schon“, sagt Hertlein lächelnd, während er im Eingangsbereich des Jugendstil-Gebäudes auf die Plakate deutet, die in mehreren Schichten wie eine Tapete die Wand bedecken.

Was ist das Besondere am Leben in einem alten Schulhaus? „Bekannte, die uns besuchen, sagen, hier riecht es immer noch nach Schule“, antwortet Hertlein. Er selbst findet nach drei Jahrzehnten nichts Außergewöhnliches. Nur, dass es ihm langsam doch zu groß wird. Deshalb gibt es bereits erste Planspiele, dass das Ehepaar Hertlein eines Tages in eine kleinere Wohnung innerhalb des Schulhauses umsiedelt und ein Nachfolger als Kneipenbühnen-Wirt einzieht.

Ausziehen aus seiner Schule, so viel steht fest, will Golly Hertlein nicht: Dazu hat er in den vergangenen 30 Jahren viel zu viel Herzblut in das Gebäude gesteckt. Und wenn an den Wochenenden bis zu 100 Gäste die Kneipenbühne füllen, weiß Hertlein, dass sich der Aufwand gelohnt hat.

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