Wo Steine sprechen

5.8.2010, 04:03 Uhr
Wo Steine sprechen

© Horst M. Auer

Das Ehepaar Ruth (66) und Aaron Bruck (68) aus Jerusalem reinigt und dokumentiert seit 2009 die Grabsteine der Verstorbenen aus 17 Landgemeinden im weiten Umkreis.

  Wo das Laubdach alter Bäume Schatten spendet, sind einst über 8000 Menschen bestattet worden. Von den meisten Verstorbenen weiß man nicht einmal mehr ihre Namen, denn ihre Grabsteine sind spurlos verschwunden: eingesunken, verwittert, zerfallen.

Doch nahezu 2400 dieser Kulturdenkmäler stehen noch. Wer ihre Inschriften und die eingemeißelten Symbole entziffern kann, bringt die Geschichtszeugnisse zum Sprechen. Sie erzählen von jüdischen Gebräuchen und Traditionen, von sozialen Wohltaten und von Tragödien.

Gelehrte und Rabbiner haben auf dem mehr als zwei Hektar großen Gelände am nordwestlichen Ortsrand von Bechhofen ihre letzte Ruhestätte gefunden. Einer von ihnen, Akiba Bär, hat sogar drei Grabsteine erhalten. Der Gunzenhausener Rabbiner war Anhänger der Kabbala, der mystischen Tradition des Judentums. Gegner dieser Glaubensrichtung aus der konservativ geprägten Gemeinde in Bechhofen haben seine Grabsteine immer wieder umgeworfen. „Von derartigen Übergriffen haben wir noch nie etwas gehört“, sagt Aaron Bruck.

Stärker verwittert als die Grabdenkmäler aus Solnhofener Kalkstein sind jene aus Sandstein. Der 68 Jahre alte Bruck zeigt auf das Grab eines Mädchens, das 1607 eine Woche vor seiner Hochzeit gestorben war. Es ist eines der ältesten Denkmäler auf dem zweitgrößten jüdischen Friedhof in Bayern.

Völlig verschmutzt war ein anderer Stein, den Ruth Bruck erst in dieser Woche, wiederum ganz vorsichtig nur mit Wasser und Schwamm, gereinigt hat. Die hebräische Grabinschrift weist den Verstorbenen aus Wassertrüdingen als „Mann Gottes“ aus. „Was hinter dieser Bezeichnung steckt, muss man erst noch erforschen“, sagt die 66-Jährige. Seine nebenan bestattete Ehefrau war die Tochter eines Prager Rabbiners.

Auch dieser Grabstein wurde fotografiert und inventarisiert. Bisher haben die Brucks über die Hälfte der von ihnen mühevoll gesäuberten Steine dokumentarisch erfasst. Das auf mehrere Jahre angelegte und auf 70000 Euro veranschlagte Projekt unter der Regie des Frankenbunds soll 2011 abgeschlossen werden.

„Für unsere Seele“

„Wir tun es für unsere Seele und für unsere Geschichte“, sagt der pensionierte Bankdirektor Bruck. Bei einem Aufenthalt in München waren er und seine Ehefrau, eine Lehrerin in Ruhestand, auf das Projekt aufmerksam geworden. Vor Bechhofen hatten die Eheleute mit deutschen Wurzeln schon in gleicher Weise die jüdischen Friedhöfe in Ichenhausen und Pappenheim katalogisiert.

„Über jeden Grabstein könnte ich stundenlang erzählen“, meint Aaron Bruck. Im östlichen Bereich des mehrfach erweiterten Friedhofs fallen zahlreiche Kindergräber auf. Einmal sind in einem einzigen Monat fast 40 Buben und Mädchen gestorben. „Da muss“, sagt Ruth Bruck, „in Bechhofen eine Epidemie geherrscht haben.“

Im neueren Teil befindet sich eine Grabstätte, die schon der frühere US-Außenminister Henry Kissinger besucht haben soll: Peppi Stern, die 1919 in Leutershausen starb, war die Großmutter des in Fürth geborenen Politikers.

Hochgeachtet in Bechhofen war ein sozial engagierte Fabrikant, der ebenfalls im neueren Teil des Friedhofs bestattet ist: Steindecker hatte maßgeblichen Anteil am Aufschwung der örtlichen Pinsel- und Bürstenmacherindustrie. Den Fleck nebenan hatte er vor seinem Tod für die Grabstelle seiner Ehefrau reserviert. Doch der Platz blieb leer: Seine Frau ist in Auschwitz von den Nazis ermordet worden.

Wer den jüdischen Friedhof besuchen will, kann sich im Rathaus der Marktgemeinde Bechhofen, Martin-Luther-Platz1, den Schlüssel für die üblicherweise verschlossene Anlage ausleihen.