Lange Debatten und kurze Nächte

17.4.2012, 06:00 Uhr
Lange Debatten und kurze Nächte

© Jennifer Hertlein

„Wo bist du her? Was studierst du? Bist du in meinem Komitee? Und für welches Thema auf der Agenda bist du?“ Ich kann schon gar nicht mehr zählen, wie oft ich diese Fragen gestellt habe. NMUN fängt bald mit der Eröffnungszeremonie an, und in einem großen Festsaal in unserem Hotel tummeln sich gerade Tausende von Studenten.

Mir schwirrt der Kopf. Nach einer Stunde quatschen habe ich fast keine Stimme mehr, weil der Lautstärkepegel unglaublich hoch ist. Und ich denke mir: Das sind so viele Leute hier – wie sollen wir da jemals eine Mehrheit für unsere Position finden?

In diesem Jahr vertritt die Delegation der Uni Erlangen-Nürnberg bei NMUN die Republik Sudan. Alles andere als ein leichtes Los, denn auf spontane Sympathien für die Politik dieses schwierigen Landes dürfen wir nicht hoffen.

Ein halbes Jahr lang habe ich mich zusammen mit 19 Kommilitonen auf diese Woche in New York vorbereitet. Dort ist unsere Sudan-Delegation in Zweierteams auf die verschiedenen Ausschüsse der Vereinten Nationen aufgeteilt. Mein Komitee-Partner Joao und ich sind in einem Komitee, das sich mit Menschenhandel, transnationaler Verbrechensbekämpfung und den Rechten indigener Bevölkerungen beschäftigt.

In den sechs Monaten intensiver Arbeit haben wir unter der Anleitung der Projektorganisatoren Nicolai Makosch und Alexander Hoeppel Positionen zu diesen Themen ausgearbeitet – und die gilt es jetzt hier in New York zu vertreten. Wir müssen Verbündete finden, um eine Resolution in unserem Komitee ausarbeiten und verabschieden zu können. Doch zuerst gilt es, unser Lieblingsthema Menschenhandel auf Platz eins der Agenda zu bringen.

„Bitte, bitte, seht uns!“

Nach der Eröffnungszeremonie geht es schon mit unserer ersten Ausschuss-Sitzung los. Auch hier fühle ich mich ähnlich wie am Times Square, der direkt vor unserem Hotel liegt: Etwa 400 Leute wuseln herum, und ich weiß gar nicht, wohin ich zuerst schauen soll.

Lange Debatten und kurze Nächte

© privat

Doch dann beruhigt sich alles ein bisschen, der formelle Teil fängt an, die Delegierten nehmen Platz. Die Vorsitzenden fragen, wer auf die Rednerliste will. Ich reiße unser Schild „Sudan“ hoch. „Bitte, bitte, seht uns!“, denke ich inständig. Es wäre so wichtig, dass wir eine der ersten Reden halten dürfen, denn nur die bleiben in Erinnerung.

Das Problem: Außer uns strecken gerade noch viele andere ihre Arme in die Höhe. „Beweg’ unser Schild hin und her, dann fällt es eher auf“, flüstert mir Joao zu. Ich tue, was er sagt. Sudan wird aufgerufen. Ein erster kleiner Erfolg!

Nur wenig später stehe ich am Rednerpult und blicke in 400 neugierige Gesichter. Mein Herz klopft bis zum Hals. Ich habe noch nie vor so vielen Leuten gesprochen. Doch ich nehme die anderen Delegationen kaum wahr. Ich atme einmal tief durch, erinnere mich daran, wie ich in zahlreichen Übungen daheim in Erlangen gute Reden gehalten habe und lege los.

90 Sekunden bleiben mir, um zu erklären, warum Menschenhandel ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist. Am Schluss gehe ich zwar mit zittrigen Knien aber einem guten Gefühl von der Bühne.

Im Komitee verlieren wir gänzlich das Zeitgefühl, und ein Tag verschwimmt mit dem nächsten. Früh um halb neun geht es los, abends um zehn Uhr ist die Sitzung beendet. Außerdem haben wir jeden Abend eine Nachbesprechung mit unserer ganzen Delegation. Wir reden nochmal über den vergangenen Tag und bekommen viele Tipps von unseren Delegationsbetreuern Nadine Paulick und Oliver Burger. Es tut gut, mitzubekommen, dass die Kommilitonen in den anderen Komitees genauso zu kämpfen haben wie wir.

Jetzt schockt nichts mehr

Menschenhandel wird leider nicht zum Thema Nummer eins auf der Agenda. Dafür die transnationale Verbrechensbekämpfung. Trotzdem schließen wir uns mit Kamerun, Zambia und einigen anderen Ländern zusammen und verfassen eine Resolution gegen Menschenhandel.

Als wir damit fast fertig sind, wird es nochmal kniffelig: Wir waren nicht die einzigen in dem Ausschuss, die sich mit diesem Thema befasst haben. Daher müssen acht Gruppen nun gemeinsam arbeiten und ihre Ideen zusammenfassen. Das sind fast hundert Leute mit unterschiedlichen Standpunkten. Aber das schockiert mich nicht mehr. Auch das werden wir schaffen.

Am Freitagabend nach der Schlussabstimmung fallen Joao und ich uns müde, aber zufrieden in die Arme. Geschafft! Unser Konzept wurde vollständig in eine Resolution umgesetzt. 145 der 193 vertretenen Länder in unserem Komitee haben dafür gestimmt!

Auch unsere Kommilitonen der Uni Erlangen-Nürnberg, die in anderen Ausschüssen gearbeitet haben, waren ähnlich erfolgreich: Manche haben sogar von den Vertretern der anderen Länder eine Auszeichnung für ihre herausragende diplomatische Arbeit im Ausschuss verliehen bekommen.

Am Samstag sitzen wir alle im Raum der „echten“ UN-Generalversammlung und erfahren, dass wir insgesamt als ausgezeichnete Delegation prämiert wurden und unsere Uni damit erneut zu den erfolgreichsten Hochschulen in dieser internationalen Konferenz gehört. Ein guter Grund, beim „Delegates Dance“ ordentlich zu feiern.

In den folgenden Tagen erholen wir uns von den Strapazen, liegen bei schönstem Frühlingswetter im Central Park und fahren an den Strand von Staten Island. Ein schönes Kontrastprogramm zum hektischen Treiben bei den Model United Nations und am Times Square.

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