Mia san a Studium: In Pilsen kann man jetzt Bayern studieren

4.7.2019, 10:27 Uhr
Germanisten beschäftigen sich mit Goethe und Schiller. Das Ziel der "Bayern-Studien" ist es, die Absolventen fit für die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Nachbar-Bundesland zu machen.

© Foto: Nicolas Armer/dpa Germanisten beschäftigen sich mit Goethe und Schiller. Das Ziel der "Bayern-Studien" ist es, die Absolventen fit für die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Nachbar-Bundesland zu machen.

Es geht schon mit der Begrüßung los. In Tschechien lernen Kinder im Deutschunterricht, dass es "Guten Tag" heißt. Wenn sie das dann aber in Bayern sagen, werden sie schief angeschaut.

Pfiat di, Grüß Gott, Habe die Ehre – welcher Ausländer soll da schon durchblicken? "Ich habe mal einen norddeutschen Studenten erlebt, der eine Bibliothekarin in Regensburg mit 'Servus' begrüßt hat, völlig unangemessen bei einer fremden, älteren Person und noch dazu völlig falsch betont", erzählt Boris Blahak. Seine Studenten sollen das einmal besser machen. "Da gilt es, viele Fettnäpfchen zu vermeiden."

Blahak ist einer der Initiatoren der "Bayern-Studien", die die Westböhmische Universität Pilsen ab Herbst als Master-Studiengang anbietet. "Deutschland ist kein einheitlicher Block, sondern jede Region hat ihre Eigenheiten", sagt er. Es lohnt sich, sie zu verstehen: Bayern ist der stärkste Außenhandelspartner Tschechiens. "Firmen von Nürnberg bis Prag suchen händeringend Mitarbeiter mit regional spezifischen Kenntnissen – und genau die bilden wir in den kommenden Jahren aus."

Fränkisch auf dem Stundenplan

Die Studenten lernen, Dialekte zu verstehen: Bairisch mit Oberpfälzisch, Fränkisch und Schwäbisch. Sie besuchen Seminare zu Wirtschaftsdeutsch und interkultureller Kommunikation. "In Bayern ticken die Uhren etwas anders als im Rest von Deutschland, da ist schon was dran", sagt Blahak. "Das Bundesland hat eine 1500-jährige eigenständige Geschichte und ist ökonomisch sehr erfolgreich, das prägt natürlich die Befindlichkeiten der Bevölkerung."

Der Studiengang ist am Lehrstuhl für Germanistik und Slawistik angesiedelt, dazu bieten die Politologen, Historiker, Kulturwissenschaftler, Archäologen und Juristen Kurse mit Bayern-Schwerpunkt an. Die Studenten können sich auf Kultur oder Politik und Wirtschaft spezialisieren. Der Unterricht wird auf Deutsch gehalten. "Unser Ziel ist nicht, dass die Studierenden am Ende Bairisch sprechen – das macht keinen Sinn – aber sie sollen es verstehen."

Arbeitsblätter zur Dialekt-Aussprache

Blahaks Biografie ist von beiden Ländern geprägt. Seine Eltern wurden als Sudetendeutsche in der Tschechoslowakei geboren und als kleine Kinder nach Bayern vertrieben. "Sie sind bayerisch sozialisiert", erzählt der Sohn. Er ist mit Niederbayerisch aufgewachsen und hat später Tschechisch gelernt. Blahak ist Germanist und arbeitet zurzeit an den Partneruniversitäten in Regensburg und Pilsen.

Dort gibt es seit Januar das Zentrum für Interregionalforschung. Wissenschaftler beider Unis arbeiten für die "Bayern-Studien" zusammen, forschen und entwickeln neue Lehrmaterialien. So ist zum Beispiel ein Buch über Ostbayerische Erinnerungsorte im Entstehen, die für beide Länder unterschiedliche, historische Bedeutung haben, wie die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg oder der geteilte Bahnhof Bayerisch Eisenstein, durch den bis 1991 der Eiserne Vorhang verlief.

Auch Arbeitsblätter zur Dialekt-Aussprache gibt es. "Ei wird im Mittelbayerischen oft zu oa – wie beim Wort Oachkatzlschwoaf für Eichhörnchenschwanz", erklärt Blahak. "Das sind feste Regeln, die man einfach lernen kann, wie man auch jede andere Fremdsprache lernt."

Aufnahmetest in Landeskunde

Der neue Studiengang startet zum Wintersemester. Die Anzahl der Plätze ist bislang nicht begrenzt. Es gab bereits eine erste Bewerbungsrunde, in der die Uni 26 Studenten angenommen hat. Bis Freitag, 30. August, können sich Interessenten für die zweite Runde anmelden.

Wer den Master studieren will, braucht vorher einen Bachelor-Abschluss in einer Geistes- oder Gesellschaftswissenschaft. Aber auch andere Fächer sind okay, vorausgesetzt, der Bewerber kann sehr gut Deutsch. Die Uni verlangt das in Europa einheitliche Niveau C1 auf einer sechsstufigen Skala von A1 für Anfänger bis C2 für Experten. Außerdem gibt es eine Aufnahmeprüfung mit einer Textverständnisübung zu einem bayerischen Thema und zu Grundlagen der Landeskunde. Mit 75 Prozent der Punkte haben sie bestanden. Nach vier Semestern bekommen die Absolventen dann einen Master of Arts.

Grenzraum wirtschaftlich stärken

Damit die künftigen Studenten den bayerischen Nachbarn nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch kennenlernen, ist ein Auslandssemester Pflicht. Pilsen kooperiert dafür mit Partneruniversitäten in "allen drei Sprachräumen" Augsburg, Bayreuth und Regensburg. So kann jeder entscheiden, welchen Dialekt er noch vertiefen will.

Dazu kommt ein achtwöchiges Praktikum in einer bayerischen Firma in Bayern oder Tschechien. "Wir wollen keinesfalls die schlauesten Köpfe aus Tschechien abziehen", sagt Blahak. "Ganz im Gegenteil: die Leute sollen in der Region bleiben und dann mit Bayern zusammenarbeiten statt massenweise wegzuziehen."

Der Europäische Fonds für Regionalentwicklung fördert den Aufbau des Studiengangs seit drei Jahren mit 300.000 Euro. Zwölf Mitarbeiter waren mit der Konzeption beschäftigt. Ziel sei es, den erweiterten Grenzraum zwischen Nürnberg und Prag wirtschaftlich zu stärken. "Da haben die Leute mit so einem Abschluss gute Karten."

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