Praktikant sein: Ist doch ganz einfach, oder?

24.7.2012, 12:00 Uhr
Praktikant sein: Ist doch ganz einfach, oder?

Meinen Praktikumsplatz habe ich beim Courrier International, einem Ableger von Le Monde, Frankreichs größter Tageszeitung. Das Konzept dieses Magazins ist einzigartig und in Deutschland unbekannt: Die Redaktion wälzt sich durch die größten Zeitungen der Welt und wählt Artikel aus, die ins Französische übersetzt werden.

So bekommt der Franzose mit, was über Frankreich im Ausland berichtet wird, aber auch einen Einblick in Geschehnisse im Rest der Welt aus der Sicht der dortigen lokalen Presse. Im 13. Arrondissement, einem futuristischen Viertel von Paris unweit der Bibliothek François Mitterrand, arbeite ich in der Agentur des Magazins. Diese Abteilung hat einen besonderen Platz in der Redaktion.

Praktikant sein: Ist doch ganz einfach, oder?

„Einerseits bin ich für Webmatin, den ersten Artikel des Tages auf der Webseite, zuständig. Andererseits muss ich für externe Firmen, wie zum Beispiel Air France Magazine, einen internationalen Pressespiegel erstellen“, beschreibt Sabine, ein etwa 1,55 Meter kleiner Wildfang mit blonden Haaren und unaufhaltsamem Temperament, ihre Arbeit.

Sie ist die Chefin der Abteilung und gleichzeitig die einzige, die dort arbeitet. Und nun hat sie mit mir einen Journalistenfrischling an der Backe, der meint, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben.

Praktikant sein: Ist doch ganz einfach, oder?

© privat, afp

Ich verbringe den Tag damit, die ausländische Presse zu lesen und wähle dann einfach einen Artikel aus, der mir gefällt. Ziemlich ruhiger Job – tranquille, würde ein Franzose sagen. Denn zu übersetzen brauche ich gar nicht. Nein, für sowas gibt es doch die professionellen Übersetzer im Büro nebenan.

„Es muss ein Gesellschaftsthema sein. Aktuell, interessant, etwas schräg, aber vor allem gut geschrieben“, lautet die Vorgabe Sabines. Voilà, meine erste Aufgabe: einen Artikel für Webmatin zu finden. Höchst motiviert mache ich mich auf die Suche, und in kürzester Zeit habe ich eine Auswahl parat.

Leider werden die von Lähmung geheilten Ratten („hab’ ich heut’ früh schon im Radio gehört“, sagt Sabine) oder der Bahnaccessoires-klauende Schaffner („zu regional“) sofort für unbrauchbar erklärt. Zurück an die Suche also.

Und dieses Mal habe ich mehr Gück: Eine Reportage über die Party-Eskapaden norwegischer Abiturienten vor den schriftlichen Prüfungen wird akzeptiert. Hier und da muss der eine oder andere Satz gekürzt werden, ohne dass die Seele des Textes in Mitleidenschaft gezogen wird.

Ab in die Übersetzungsabteilung damit, und schon bin ich fertig mit dem Webmatin des Tages. Facile, alles ganz einfach, denke ich mir, und bin bereit, die nächste Aufgabe in Angriff zu nehmen.

Doch was nun kommt, darauf bin ich nicht gefasst. Für ein Gemeindeblatt soll Sabine regelmäßig eine internationale Presseschau zu einem bestimmten Thema erstellen. „Biodiversität in der Stadt“, lautet es für die nächste Ausgabe. Geniale Konzepte, bizarre Probleme oder futuristische Ideen — alles ist erlaubt.

Die Stunden vergehen bei der Suche wie im Flug. Aber die Ausbeute ist alles andere als zufriedenstellend. Indische, japanische oder italienische Presse: Nichts zu finden. Frustration macht sich bei mir breit. Ich suche sogar Artikel in Sprachen, die ich nicht beherrsche, in der Hoffnung, irgendetwas Brauchbares zu finden.

Ich fühle mich schlecht und bin wütend auf die Journalisten. Mon Dieu, warum schreibt denn niemand über Biodiversität?! Passiert denn auf der ganzen Erde nichts in diesem Sektor? „Gar nicht mal so einfach, etwas Passendes zu finden, nicht wahr?“, fragt Sabine schmunzelnd vom Schreibtisch nebenan. „Artikel lesen und suchen hört sich einfach an, aber das ist es nicht.“ Ich fühle mich ertappt.

„Probier’ es mal mit anderen Stichwörtern wie Umwelt oder Urbanismus“, lautet ihr Tipp, „wenn ich nichts Brauchbares finde, wandele ich die Suchbegriffe etwas ab.“ Dank Sabines Rat finde ich dann tatsächlich noch etwas. Nicht alle Probleme, die im Berufsalltag auftauchen, können in der Schule oder auf der Uni behandelt werden. Zum Glück gibt es aber die Praktika, die es einem erlauben, genau dieses Wissen zu erlangen.

Gelernt wird eben nicht nur in der Theorie, sondern vor allem in der Praxis. Das haben jetzt auch manche Arbeitgeber verstanden und bringen die Praktikanten immer öfter an ihre Grenzen. Der Praktikant von heute ist nämlich der Mitarbeiter von morgen. Und beim Einstieg in die Berufswelt sollte er doch mehr können als Kaffee kochen und kopieren.

 

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