Revolution in Bayern: Der Traum vom Neuanfang

12.11.2018, 11:52 Uhr
Kurt Eisner war für 100 Tage bis zu seiner Ermordung erster Bayerischer Ministerpräsident. Von 1907 bis 1910 war er Chefredakteur der sozialdemokratischen Nürnberger Tageszeitung Fränkische Tagespost und wohnte in Behringersdorf. Foto: Richard Huber

Kurt Eisner war für 100 Tage bis zu seiner Ermordung erster Bayerischer Ministerpräsident. Von 1907 bis 1910 war er Chefredakteur der sozialdemokratischen Nürnberger Tageszeitung Fränkische Tagespost und wohnte in Behringersdorf. Foto: Richard Huber

LAUF/MÜNCHEN - Mit einem Staatsakt im Bayerischen Nationaltheater ist in dieser Woche in München der 100. Geburtstag des Freistaates Bayerns gefeiert worden. Im Rahmen der Laufer Literaturtage las Volker Weidermann aus seinem Buch zu diesem Thema: "Träumer – Als die Dichter die Macht übernahmen". In der Nacht vom 7. auf den 8. November vor 100 Jahren war in München etwas geschehen, das es so noch nie gegeben hatte: Ein kleiner Kreis von Schriftstellern und Theaterkritikern stand nach dem Sturz des Königs urplötzlich an der politischen Spitze Bayerns und erklärte das Land zum Freistaat.

Volker Weidermann, bekannt als Gastgeber des Literarischen Quartetts, Autor und Literaturchef beim Spiegel, hat mit "Träumer – Als die Dichter die Macht übernahmen" ein ebenso faszinierendes wie erschütterndes Buch geschrieben. Mit den Geschehnissen der Nacht vom 7. auf den 8. November beginnt Weidermann seine auf historischen Fakten beruhenden Schilderungen der damaligen Ereignisse.

Er spiegelt emotional und reportageartig die aufgewühlte Stimmung, den großen Enthusiasmus der Revolutionäre, die neuen geistigen Ideale in die Wirklichkeit zu tragen, begleitet die Protagonisten in ihrem Alltag und fängt die unheilvolle Atmosphäre des Scheiterns ein. Er nimmt den Leser mit in die ersten Tage nach dem Umsturz, in die turbulenten, oft stündlich neuen Geschehnisse, mit denen die politisch Verantwortlichen zurechtkommen müssen.

Und das sind eben keine "gelernten" Politiker, Juristen oder Verwaltungskräfte, im Gegenteil. Es sind Männer, die als ihre Ideale Poe­sie und Kunst gewählt hatten und nun die Verantwortung übernehmen müssen: An der Spitze als neuer Ministerpräsident der charismatische Journalist und Schriftsteller Kurt Eisner, früher SPD-Mann, inzwischen an der Spitze der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei USPD. In seinem Gefolge, neben vielen anderen, der Dramatiker Ernst Toller und Oskar Maria Graf, der in vielen literarischen Gattungen zu Hause war.

Einig sind sie sich in ihrer ablehnenden Haltung gegenüber dem 1. Weltkrieg, dessen Wunden noch überall schmerzlich zu spüren sind. Krieg dürfe es nie mehr geben, Frieden und soziale Gerechtigkeit sind ihre erklärten Ziele. Aber es gibt von Anfang an kontroverse Strömungen: Konservative, liberale, sozialdemokratische und kommunistische Parteien sind unterschiedlicher Meinung, wie und von wem das Land zu führen sei. Dieses gefährliche Machtstreben ist der Nährboden für tägliche Tumulte, denn jeder meint, der Richtige für die Führungsposition zu sein.

Der Autor lässt bedeutende Zeitgenossen zu Wort kommen, die in diesen Tagen in München leben: Auch Rilke ist angezogen von der Aufbruchstimmung, hofft auf die "Leuchtkraft des Geistigen" und auf "Besinnung" nach dem verheerenden Krieg. Ganz anders dagegen Thomas Mann, der durchaus kriegsbegeisterte Nationalist, der sich über das alberne Pack auf der Straße ärgert und um seine Privilegien fürchtet.

Ernst Toller fasst die Ziele der Dichter-Regierung kurz und prägnant zusammen: Gegen die Armut, für den Frieden und die kulturellen Werte. Eigentlich, so sollte man meinen, sei das der perfekte Start in eine bessere Welt. Doch da hat man die Rechnung ohne die Menschen gemacht. Denn Eisner wird von Anfang an bedrängt, von rechts, von links, von der politischen Mitte – niemandem kann er es recht machen. Vor allem nicht mit seinem Eingeständnis der Kriegsschuld Deutschland – das geht den meisten dann doch zu weit. Seine Kompromissbereitschaft wird ihm als Schwäche ausgelegt und zwei Monate nach der Revolution ist nach einem desaströsen Wahlergebnis klar, dass seine Vision zum Scheitern verurteilt ist, der "Traum wurde pulverisiert", schreibt Weidermann.

An der Spitze der Räterepublik, die nun folgt, steht jetzt Ernst Toller. Er und seine Mitstreiter sorgen zwar für sozial eminent bedeutende Neuerungen wie den Acht-Stunden-Arbeitstag, den Kampf gegen Mietwucher und die Freilassung der Kriegsgefangenen – doch auch sie sind zum Scheitern verurteilt.

Kurt Eisner wird am 21. Februar ermordet, 100.000 Menschen säumten den Trauerzug durch München, und am 13. April 1919 beendet ein Putsch endgültig die idealistischen Höhenflüge. Was folgt sind Konterrevolution, tägliche Erschießungen, ein weit verbreiteter Antisemitismus und die ersten planmäßigen Gruppierungen um nationalistische Kräfte wie die der Deutschen Arbeiterpartei (DAP).

Still und unbemerkt hat sich in diesen Monaten ein ursprünglicher Kompanie-Vertrauensmann der „roten“ Räterepublik nach deren Untergang zu einem Informanten der nachfolgenden Untersuchungskommission gewandelt: Adolf Hitler. Rilke verlässt München für immer, während Thomas Mann wieder auf eine „deutsche Mitte“ hofft.

Am Ende seiner fünfjährigen Haft schreibt Ernst Toller immer noch von seinem „Glauben an eine Welt der Gerechtigkeit, der Freiheit, der Menschlichkeit, an eine Welt ohne Angst und ohne Hunger“. 1939 begeht er Selbstmord. Die Niederschlagung der Räterepublik hatte nach offiziellen Angaben mehr als 600 Menschen das Leben gekostet, berichtet Weidermann in seinem Nachwort, Schätzungen gehen von weiteren 400 Toten aus.

 

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