Erwin Pelzig

Schwabach: Die Rückkehr des Unentbehrlichen

17.10.2021, 18:00 Uhr
Läuft wieder für den Mann mit dem Pepita-Hütchen und der Männer-Handtasche: Erwin Pelzig bei seinem Auftritt am Wochenende im Schwabacher Markgrafensaal.  

© Robert Schmitt, NN Läuft wieder für den Mann mit dem Pepita-Hütchen und der Männer-Handtasche: Erwin Pelzig bei seinem Auftritt am Wochenende im Schwabacher Markgrafensaal.  

Erwin Pelzig mag den Markgrafensaal. „Es gab kein Programm, das ich hier nicht gespielt habe“, sagt er anlässlich seines jüngsten Auftritts in Schwabach, der zu den ersten nach 18 Monaten Corona-Pause gehört. In dieser Zeit habe er vor allem eines gemerkt: „Dass ich entbehrlich bin“, ordnet Pelzig sein öffentliches Fehlen schonungslos ein. Das hat sein Publikum nach zwei Stunden Vorstellung an diesem Abend ganz gewiss anders gesehen.

Neuerdings Polit-Philosoph

Pelzig hat sich in den 18 auftrittslosen Monaten offensichtlich nicht nur mit der „Bäckerblume und der Apothekenumschau“ befasst, wie er sagt. Nein. Pelzig hat seine Fähigkeiten weiterentwickelt: vom Zelebrator des politischen Kabaretts zum Polit-Philosophen, der weite Bögen liebt, Missstände aufs Korn nimmt und Erklärungen liefert.

Die idiotischen Corona-Schwurbler bekommen dabei ebenso ihr Fett weg wie er die heilsame Wirkung kluger Frauen feiert. „Unsere Zeit ist vorbei, es ist Zeit, die Bühne den Frauen zu überlassen“, ist Pelzig überzeugt.

Er betrachtet den Kern der Stoiker, zählt die größten Kränkungen der Menschheit auf und weiß die Gründe, warum Hitler, Stalin und Mao zu den grausamsten Diktatoren der Weltgeschichte wurden. „Sie sind bereits als süße Jungs verprügelt, gefoltert und gedemütigt worden.“ Nicht nur Pelzigs Meinung zufolge ist „das Familienklima von Heute das politische Klima von Morgen“.

Kröten, die man schlucken muss

Er kennt Kröten, die man schlucken muss, und auch solche, die man über die Straße tragen kann. Pelzig führt das Publikum zu alten weißen Männern mit dem Liebreiz eines Peter Altmaier und deckt die Schwächen politischer Systeme auf: „Demokratie, die große alte Dame der guten Absichten. Er sieht die Wirkung des von Lobbyismus bedrängten Bundestags eher kritisch, wird aber noch deutlicher. „Was nützt mir die Meinungsfreiheit, wenn ich mir keine Wohnung leisten kann?“

Die chinesischen Kapitalismus-Kommunisten und der Oligarchen-Sumpf Russlands gefallen ihm indes noch weniger.

Für ihn sind es Figuren wie Bolsonaro, Trump und Kurz, die das Vertrauen in die Demokratie untergraben.

In neuen Rollen

Das alles stimmt Erwin Pelzig nicht gerade optimistisch. Gleichwohl sieht er Chancen für die Zukunft, wenn die Menschheit „Freundlichkeit“ zu ihrem obersten Leitprinzip macht. „Freundlich sein könnte jeder Idiot“, glaubt er, schließlich sei das innere Wohlwollen der Kern des Menschseins. „Keine Zeit mit unfreundlichen Menschen zu verschwenden“, lautet seine Empfehlung.

Darstellerisch und methodisch greift Erwin Pelzig erfolgreich ganz tief in den Instrumentenkasten, der insbesondere intellektuell bestens bestückt ist. Denn seine philosophische Essenz entwickelt er entlang zahlreicher Zitate aus dem Off. Eine Frauenstimme liest zunächst die Empfehlungen welterklärender alter Männer wie Seneca, Nietzsche, Einstein und Puffpaff. Als es seiner Begleiterin zu viel wird, kommen nur noch berühmte Frauen wie die Philosophin Hannah Arendt und die französische Schriftstellerin Sidonie Colette zu Wort.

Wer ist der größere Arsch?

Weiter tritt Pelzig alias Frank-Markus Barwasser zwei Mal sogar aus seiner Bühnenrolle heraus. Als Corona-Virus und 19-jähriger Demokratiezweifler liefert er nachdenkliche Monologe. „Menschen zerstören, was uns ernährt. Ich zerstöre die Zerstörer. Wer also ist das größere Arschloch?“, will er als aktuelle Geißel der Menschheit wissen. „Deutsche Unternehmer haben eine Zweitwohnsitz im Enddarm des chinesischen Präsidenten“, stellt er als Erstwähler fest.

Auch seine beiden alten Kumpel fehlen nicht. Mit Hartmut und Dr. Göbel liefert Pelzig sich zwei darstellerisch wie inhaltlich aufsehenerregende Trielle, wie man nach dem jüngsten Wahlkampf sagen darf. Einmal geht es um die Wirkungen gewalttätiger Erziehung, dann um die Stellung der Frau.

Die Ambivalenz der Existenz

Dabei werden Pelzigs Überzeugungen von zwei Seiten heftig unter Beschuss genommen. Der Kosmos erweitert sich: Prolet und Intellektueller kommen zu Wort. Die ganze Ambivalenz menschlicher Existenz packt Pelzig allerdings in die letzte Off-Stimme. Charlie Chaplins grandiose Rede aus dem Film „Der große Diktator“ ist zu hören, in der er an die Menschheit appelliert, sich vom Hass abzuwenden und die Liebe zum Grundsatz des Zusammenlebens zu erheben.

Doch Pelzig kennt den Stummfilmkomiker besser als die Frau aus dem Hintergrund. Denn Chaplin habe viele junge Mädchen mißbraucht und geschwängert. Einem solchen Mann wolle er das Schlusswort nicht überlassen, beschwert er sich.

Wofür leben wir?

Wir wollen das auch nicht, sondern einer Schriftstellerin aus Nicaragua diese Ehre zuteil werden lassen, die wohl den treffendsten Satz des Abends geliefert hat: „Schlimmer, als zu sterben, ist, nicht zu wissen, wofür man lebt“, wird Gioconda Belli per Lautsprecher verlesen.
Frank-Markus Barwasser weiß es gewiss: für seine großartige Kunst. Zum großen Glück für Schwabach offensichtlich auch dafür, immer wieder in den Markgrafensaal zu kommen.

Per Applaus brachte das Publikum eines klar zum Ausdruck: Hier wird er nie „entbehrlich“ sein.

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