Spannend statt dröge

7.6.2011, 11:00 Uhr
Spannend statt dröge

© Esterl

Schloss Burgfarrnbach im Jahr 1834. Die Grafen Friedrich und Ludwig von Pückler-Limpurg und ihre Familien teilen sich den Ahnensaal. Der eine will lesen, der andere tanzen, das bringt die „herzlich biederen Leute“, wie ihr Verwandter Fürst Hermann Pückler-Muskau feststellt, gegeneinander auf, „in einem Schloss, das von außen schön ist, aber innen nur niedere kleine Räume hat“.

Fürst Hermann, der weitgereiste Angeber, sitzt in einem kleinen Theaterstück von Felix Eckerle mit dem Landadel an einem Tisch. Geschmaust werden Schäufele und der Gast ist entsetzt darüber, wie mit vollem Mund konversiert wird.

Im lustigen Szenario im ersten Stock des Burgfarrnbacher Schlosses haben an einem Sonntagnachmittag rund 60 Gäste statt einer konventionellen Schlossführung die rückwärtsgewandte Zeitreise angetreten. Organisiert haben die historisch belegte Tour retour die Fürther Tourist-Information und das Stadtarchiv mit Schauspielern von der Bühne Erholung 27 e.V.

Autor Felix Eckerle nutzte als Quelle für „Zu Gast bei den Grafen Pückler-Limpurg“ die Aufzeichnungen Hermann von Pücklers. Im Fach-Terminus wird so ein Historienspektakel „Living History“ genannt. In diese Kategorie fallen zum Beispiel das Kochen mit historischen Rezepten auf primitiven Feuerstellen und das Szenario der „Landshuter Fürstenhochzeit“.

„Innovative Geschichtsvermittlung“, sagt Historiker Franz Sonnenberger dazu. Der ehemalige Leiter der Städtischen Museen hat seinerzeit in Nürnberg zu unkonventionellen Mitteln gegriffen, um einem bis dato wenig animierten Publikum plastisch vor Augen zu führen, „dass Geschichte nicht notwendigerweise tragisch, sondern zuweilen eine unterhaltsame Angelegenheit ist“.

Sonnenberger „erfand“ für das Dürerhaus die historische Agnes Dürer; im Tucherschloss platzierte er die Patriziertochter Sabine Welser als Gastgeberin. Schauspielerinnen verkörpern beide Figuren und die Zahl der Besucher im Dürerhaus stieg innerhalb von fünf Jahren von 20000 auf 70000 jährlich.

Wachsende Begeisterung

„Es werden Leute angesprochen, die nicht den klassischen Bildungskanon intus haben“, umreißt Sonnenberger seine Strategie, die mittlerweile viele seiner Kollegen kopierten. Die Historiker kreisen die wachsende Begeisterung für zelebrierte Geschichte inzwischen mit Fachbegriffen ein wie „Histotainment“ für das Treiben der Nachtwächter, das eine lockere Vermischung tatsächlicher Ereignisse mit unterhaltenden Elementen ist.

„Re-enactment“ dagegen, der andere Fachterminus, steht für Ritterspiele und die allerorten grassierenden Mittelaltermärkte. Sonnenberger steht solchem bunten Treiben eher skeptisch gegenüber, ihm geht es vielmehr um die „solide Aufbereitung von Geschichte mit illustren Namen.“

Figuren wie die Pückler-Limpurgs in Burgfarrnbach oder die Zisterzienser-Nonne Peregrina, in deren Kostüm die Historikerin Christine Diefenbacher mit dem früheren klerikalen Leben von Heilsbronn vertraut macht, „sind Gold wert, um die Leute zu begeistern.“ Und es ist erkannt worden, von Allersberg bis Wolframs-Eschenbach. Die Allersberger machen Themenführungen auf den Spuren von Drahtbaronen und des historischen Jacob Gilardi in der Barockzeit. Fürth belebt das „Pfeiffndurla“, ein Original aus der Zeit der Arbeiterbewegung, das durch die Stadt strich und Tabak erbettelte.

Ingrid Jäger, die Nürnberger Bundesvorsitzende des Deutschen Gästeführerverbandes, führt den Ansturm aufs Mittelalter auf einschlägige Romane zurück, die Bestsellerlisten stürmen; auf Mittelalterserien im Fernsehen und auf historische Filme. „Die Gäste sind medienverwöhnt und möchten die lockere Darstellung von Geschichte“, sagt die promovierte Mediävistin.

Die treibt oft Blüten. Der Rothenburger Nachtwächter Hans-Georg Baumgartner, der seit 20 Jahren in Englisch und Deutsch von Pest und 30-jährigem Krieg erzählt, ist in Duisburg geboren und in Würzburg aufgewachsen. Der Herzogenauracher Nachtwächter kommt aus dem Spreewald. „Suboptimal“, lacht Ingrid Jäger, „aber wir haben unser Ausbildungssystem für Gästeführer 2008 vereinheitlicht. Jeder kann sich einarbeiten und erhält ein Zertifikat in DIN-Norm.“

Tagesgäste sind meist nur auf einen Blick auf die Stadtgeschichte aus, der soll unbeschwert sein. Die oft tragische Angelegenheit interessiert die wenigsten. Der Rothenburger Hans-Georg Baumgartner im romantischen Rothenburg kann davon ein Lied singen. Er führt von März bis Januar durch die Stadt. In der Sommersaison folgen ihm oft 500 Personen in einer Gruppe, „Dann muss ich aufs Podest, um mir Gehör zu verschaffen“.

Auch Christine Diefenbacher aus Heilsbronn registriert wachsende Gästezahlen. Themenführungen könnte sie am laufenden Band gestalten, zumal es Mode geworden ist, beim 70. Geburtstag, anlässlich der Silbernen Hochzeit, aber auch bei Klassentreffen historische Führungen zu buchen. Nicht nur im Schloss Burgfarrnbach.